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Der Deutsche Fußball-Bund könnte die Situation erheblich eskalieren lassen.

Feiern Sie, liebe Fußballfans!

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Sie sind dabei: Julian Nagelsmann informiert seine EM-Spieler online über ihre Nominierungen für das Heimturnier.

Der Deutsche Fußball-Bund könnte die Situation erheblich eskalieren lassen.

Nominierungen für die Europameisterschaft: Instagram oder die Bäckerei von nebenan? In der heutigen Zeit kann alles passieren. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat einen weiteren Marketing-Schachzug vollbracht, indem er die Nationalspieler unter die Fans mischte. Wer sich über die Inszenierung beschwert, sollte gleich mit den ehemaligen Trainern Jürgen Klinsmann oder Jogi Löw sprechen.

"Eine solche Nominierung ist heutzutage auch ein Marketing-Event und kann helfen, die hohen Ziele auf dem Spielfeld zu erreichen", sagt der DFB-Präsident. Entgegen der landläufigen Meinung geht es hier nicht um den Adventskalender des DFB für Kader-Nominierungen. Diese Aussage stammt aus dem Jahr 2008 von keinem Geringeren als Theo Zwanziger, der heute nur noch als Angeklagter im "Sommermärchen"-Prozess wegen Steuerhinterziehung Schlagzeilen macht.

Die Bekanntgabe des Kaders für die Heim-Europameisterschaft (14. Juni bis 14. Juli) über soziale Medien, TV und Radio hat in der deutschen Fußballwelt für viel Aufsehen gesorgt. Im Vergleich dazu hebt der inszenierte Gipfelsturm" der Vergangenheit die heutigen PR-Aktivitäten auf und lässt sie positiver erscheinen.

Fax-Nominierungen gibt es schon lange nicht mehr, und ein DFB-Brief ist seit Jahrzehnten nicht mehr in den Briefkasten geflattert. Stattdessen erhielt Fritz Walter - der spätere Ehrenspielführer der Nationalmannschaft - einst einen Brief von der Fußballabteilung, als er befürchtete, zur Wehrmacht eingezogen zu werden. Der Brief enthielt nicht nur seine erste internationale Einberufung, sondern auch einen handschriftlichen Zettel von Sepp Herberger, der ihn ermunterte, seine Schwäche, das Kopfballspiel, zu verbessern.

DFB sucht Aufmerksamkeit, will undichte Stellen verhindern

Vielleicht haben die aktuellen Nationalspieler persönliche Botschaften von Julian Nagelsmann erhalten, überbracht von Social Media Influencerin Chiara (Manuel Neuer) oder Care Influencer Rashid Hamid und Oma Lotti (Jonathan Tah)? Das ist unklar, aber klar ist, dass Online- und Medien-Nominierungen Aufmerksamkeit erzeugen. Die Marketingstrategie beruht auf dem Motto "Es gibt keine schlechte Publicity" und zielt darauf ab, Spannung für die Heim-Europameisterschaft zu erzeugen. Unabhängig davon, ob die Reaktionen positiv oder negativ ausfallen, bleibt der DFB im Rampenlicht und erreicht ein großes Publikum.

Die Nationalmannschaft dreht den Spieß um und nimmt es mit selbsternannten Transfer- und Fußball-Leak-Göttern auf, die inzwischen selbst zu Influencern geworden sind. Vor jeder großen Kaderbekanntgabe gab es immer Artikel, Spekulationen und Wellen. Jetzt aber dominiert der DFB die Diskussion und nimmt die Leaks vorweg. Der Durchschnittsdeutsche, ganz zu schweigen vom Fußballfan, dürfte jedoch mindestens mit Misstrauen, wenn nicht gar mit Abscheu reagieren. Nach dem "viralen" Video zum neuen Trikot und dem Hype um die Hymne "Major Tom" haben die PR-Teams des DFB wieder einmal einen Erfolg erzielt. Die Einbindung von Medien, Fans und Online-Influencern ist nicht nur clever, sondern auch unterhaltsamer als manch frühere, weniger unterhaltsame Nominierungskampagne.

Klinsmann, Löw und Bierhoff machen es noch schlimmer

Es begann mit Jürgen Klinsmanns Multimedia-Show in einem Berliner Autohaus vor der WM 2006. Dann war da noch Zwanzigers "Marketing-Event" kurz vor der Europameisterschaft 2008, bei dem die Spieler auf der Zugspitze inszeniert wurden. Ein "Bergabenteuer" wurde gefilmt, von Mercedes gesponsert und sogar in Kinos gezeigt. Knapp unterhalb des Gipfels gab es eine Skizone, in der Rosi Mittermaier für fast schon Fußball-Atmosphäre sorgte.

Im Vorfeld der WM-Nominierung 2014 zeigte Manager Oliver Bierhoff stolz seinen Film vom Campo Bahia, wo das Spielfeld bereits angelegt war. Aber - oje! - die Umkleidekabinen auf dem Trainingsgelände waren 31 Tage vor der Ankunft der Nationalmannschaft noch nicht fertig. 2016 präsentierte der französische Botschafter Philippe Étienne zwar nicht die Mannschaft, versuchte aber, die besorgten deutschen Fans zu beruhigen: Der Eiffelturm sei gereinigt und die Champs-Élysées gefegt. Kein Scherz. Ebenfalls kein Witz war die Bekanntgabe der Vertragsverlängerung mit Löw und Bierhoff kurz vor der Bekanntgabe des WM-Kaders, die sich als etwas unschön herausstellte. Sie wurde von Fan-Liebling (oder dieses Mal ein Witz) Reinhard Grindel vorgenommen.

Der DFB ist jetzt nah dran an seinen Fans. Sie sind so nah dran wie noch nie auf der Zugspitze. Sie versuchen, mit allen ins Gespräch zu kommen, über neue und alte Medien. Und die Leute lesen lieber eine überraschende Quelle wie die "Bäckerei Seeger" als einen bekannten Experten aus der Boulevardpresse. Ein kurzer Clip mit Oma Lotti und einem Tiktoker ist interessanter als ein auffälliger, aufwändiger Film.

In der Welt des Fußballs wird alles, was nicht in den 90 Minuten auf dem Spielfeld passiert, trotzdem inszeniert. Das ist auch besser so. Der unwissende Fußballfan erfährt, dass die Bäckerei Seeger in Nagold im Nordschwarzwald Dinkelsprössle und Erdbeerschnitten Bayrisch Creme herstellt. Vielleicht sucht er sogar nach Details, wie zum Beispiel, dass die Bayrische Creme oder Crème bavaroise mit dem Bundesland Bayern zusammenhängt. Es ist erstaunlich.

Der DFB hat in der Vergangenheit unter zu viel Show und zu viel Unterhaltung gelitten. Aktionen wie #zsmmn, #AnEurerSeite und "Wenn 80 Millionen zu einer Mannschaft werden" sind nur einige Beispiele. Wenn die Nationalmannschaft beim nächsten Turnier im Sommer nicht so gut abschneidet, werden auch die Nominierungskampagnen zur Rechenschaft gezogen. Sehen Sie sich den Mannschaftsfilm aus Katar an.

Erwartet der DFB nun Loyalität, weil er die Medien mit exklusiven Informationen füttert? Ist das eine Gegenleistung? Unabhängig davon müssen Influencer und Social-Media-Kanäle keine journalistischen Standards einhalten und könnten stattdessen zu Werkzeugen des DFB werden. Themen innerhalb des Verbandes oder des Fußballs würden sie aber wahrscheinlich nicht ansprechen.

DFB unterhält und bindet ein

Was soll die ganze Aufregung? Wer sich darüber beschwert, dass diese Aktionen von der eigentlichen Vorbereitung auf die Heim-Europameisterschaft ablenken, oder fordert, der DFB solle sich auf die wichtigen Themen konzentrieren, hat den Sinn von Marketingteams nicht verstanden. Julian Nagelsmann selbst denkt sich in Strategiesitzungen nicht die nächste Instagram-Überraschung aus. Der DFB könnte einfach alle Spieler in einer Pressemitteilung bekannt geben, aber so wie es jetzt läuft, passt es perfekt zu den sozialen Medien, in denen die EM-Spieler vorgestellt werden.

Der DFB will amüsieren. Darum geht es schließlich im Fußball. Die einen mögen diese Art von Unterhaltung, die anderen nicht. Die PR-Strategie lockert den schwerfälligen und überfrachteten Nominierungsprozess auf. Auch wenn das Image des Verbandes durch diese Kampagnen nicht mit der Realität übereinstimmt, ist es ein Versuch, verschiedene Teile der Gesellschaft anzusprechen.

Ganz entspannt, ganz cool wird der DFB nie wirken. Dazu ist er zu sehr Verband, zu sehr DFB. Aber das muss er auch nicht sein. Es hat schon viel schlimmere "Gipfelstürmer" gegeben als einen Haufen Crème bavaroise. Shows und Events wie diese können Menschen zusammenbringen und ein Gemeinschaftsgefühl schaffen, das im Fußball immer willkommen ist.

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Quelle: www.ntv.de

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