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"Wir stehen vor einer besonderen Notlage, wie wir sie bisher nicht erlebt haben".

Uneingeschränkter persönlicher Verbrauch könnte potenziell das Wirtschaftswachstum stimulieren,...
Uneingeschränkter persönlicher Verbrauch könnte potenziell das Wirtschaftswachstum stimulieren, behauptet Brzeski, doch bisher hat sich dies nicht wie erwartet Materialisiert.

"Wir stehen vor einer besonderen Notlage, wie wir sie bisher nicht erlebt haben".

Von der deutschen Wirtschaft hagelt es eine negative Nachricht nach der anderen. Die konjunkturellen Daten zeigen deutlich nach unten. Trotzdem sieht der Chefökonom der renommierten Bank ING*, Carsten Brzeski, keine schwere Rezession für Deutschland auf uns zukommen. In einem Interview mit ntv.de erwartet der Ökonom eine Entwicklung, die wir hier noch nicht erlebt haben.

ntv.de: Die deutsche Wirtschaft ist kürzlich geschrumpft. Konjunkturindikatoren wie der Ifo-Index für die Geschäftserwartungen oder der GfK-Index für die Konsumlaune zeigen ebenfalls nach unten. Wenn Sie eine Note vergeben müssten, wie ernst ist die Lage der deutschen Wirtschaft?

Carsten Brzeski: Wir sind wieder bei einer 4 angelangt. Im Frühjahr gab es noch einen Hauch von Optimismus und eine Spur davon. Überraschenderweise verzeichnete die Wirtschaft im ersten Quartal Wachstum, mit zahlreichen Indikatoren, die auf einen Aufwärtstrend hindeuteten. Allerdings bemerken wir seit Mai, beispielsweise, eine Stimmungsänderung. Der Ifo-Index ist bereits zum vierten Mal in Folge gesunken. Seit Mai hat sich die Wirtschaftsentwicklung erneut abgekühlt.

Was treibt sie an? Was hat sich seit dem Frühjahr verändert?

Das ist eine Dosis Realität. Der Optimismus des Frühjahrs war leider übertrieben. Viele hatten gehofft, dass es besser wird. Daher spielte die Stimmung eine Rolle. Außerdem gab es die Hoffnung, dass die Weltwirtschaft, insbesondere die chinesische Wirtschaft, besser abschneiden könnte als zu Beginn des Jahres vorhergesagt. Die US-Wirtschaft hat auch gut gestartet. In Deutschland hat beispielsweise der Bau sector besser abgeschnitten als erwartet.

Was ist dann passiert?

Diese optimistische Einschätzung war kurzsichtig. Es war von Anfang an klar, dass die Wirtschaft abkühlen würde. Es war auch klar, dass das, was wir im Bau sector beobachtet haben, nur vorübergehend war, aufgrund des Endes des Winters. Vor allem aber hatte nicht jeder im Frühjahr verstanden, dass wir in unserer Wirtschaft sowohl konjunkturelle als auch strukturelle Probleme haben. Die Vorstellung, dass alles Teil des Geschäftszyklus sei und sich irgendwann verbessern werde, blieb bestehen.

Welche strukturellen Faktoren meinen Sie?

Was übersehen wurde, ist, dass sich beispielsweise die Rolle Chinas strukturell verändert hat. China hat sich zu einem systemischen Wettbewerber entwickelt. Unser Exportsektor profitiert nicht mehr so sehr von China, unabhängig davon, wie sich die Wirtschaft dort entwickelt. Und wir profitieren auch nicht mehr so sehr von der US-Wirtschaft aufgrund des zunehmenden Protektionismus dort. Die Optimisten hatten auch die Besorgnis unter der deutschen Bevölkerung unterschätzt. Die geopolitische Unsicherheit ist schon seit ein paar Jahren da, aber jetzt kommt noch die politische Unsicherheit hinzu, mangelnde Planungssicherheit für Unternehmen und Verbraucher, aufgrund des politischen Prozesses der Ampelkoalition, wie das Hin und Her beim Heizungsgesetz. Trotz steigender Einkommen werden die Verbraucher vorsichtiger, beispielsweise bei der Arbeitsplatzsicherheit. Die Arbeitslosenzahlen steigen, ebenso die Insolvenzen. Das ist noch kein Desaster, aber die Menschen spüren es und werden vorsichtiger beim Ausgeben.

Sie malen ein düsteres Bild. Was kommt als nächstes? Steuern wir auf eine große Wirtschaftskrise zu?

(Kein weiterer Text bereitgestellt)

Wir stecken in einer Krise, aber diese Krise ist nicht identisch mit denen, die wir zuvor erlebt haben. Wir erleben keine Rezession. Ob das Wachstum -0,1 Prozent oder +0,1 Prozent beträgt, ist nicht so wichtig. Wichtig ist, dass wir, betrachtet man die Größe unserer Wirtschaft, auf demselben Niveau sind wie vor der Pandemie. Das bedeutet, dass wir seit über vier Jahren kein nennenswertes Wachstum erlebt haben. Wir stecken in einer Stagnation, ähnlich wie Japan in den letzten Jahren. Eine langfristig stagnierende Wirtschaft hat Probleme, mit denen wir uns noch nicht auseinandersetzen mussten, wie Verteilungskonflikte zwischen Reich und Arm, zwischen Jung und Alt. Das sind strukturelle Veränderungen, die wir spüren und die weiter wachsen werden.

Gibt es wirklich keine Anzeichen für eine Wirtschaftserholung? Die realen Einkommen steigen in einem Tempo, das wir lange nicht mehr gesehen haben. Der Arbeitsmarkt hält trotz etwas Schwäche stand. Könnte das nicht die Grundlage für eine Wirtschaftsbelebung sein?

Es gibt zwei Joker für die Wirtschaft: Verbraucher, deren Einkommen steigt, und Unternehmen, deren Lagerbestände ungewöhnlich hoch sind. Normalerweise müssten diese Bestände reduziert werden, und dann würde die Produktion wieder anlaufen. Das könnte jeden Monat passieren. Wenn ein paar mehr Aufträge hereinkämen, sollte die Industrieproduktion wieder etwas anziehen. Allerdings waren das auch unsere Joker für die erste Hälfte des Jahres, und leider haben sie sich nicht ausgezahlt. Was die Verbraucher angeht, ist wichtig zu beachten, dass sie seit Jahren mit Einkommenseinbußen durch anhaltende Inflation

Diese Pakete der Verkehrslicht-Allianz treffen zwar in der Regel ins Schwarze, fallen aber in einigen Bereichen kurz, insbesondere bei finanzieller Unterstützung. Diese Initiativen sind nicht ausreichend, um das Wachstum wesentlich zu steigern. Das Hauptziel einer wirksamen Wirtschaftspolitik besteht darin, langfristige Sicherheit und Beständigkeit zu schaffen. Zum Beispiel gibt es ein Problem bei der Energiepolitik. Es liegt nicht daran, dass die Energiekosten zu hoch sind, sondern daran, dass Unternehmen keine Planungssicherheit haben. Sie wissen nicht, wie sich die Preise in den nächsten Jahren entwickeln werden. Da wir uns in einer anhaltenden Stagnation befinden und nicht in einem kurzfristigen Abschwung, bieten konventionelle keynesianische Strategien nicht viel Hilfe. Sie könnten allenfalls einen vorübergehenden Aufschwung auslösen. Was benötigt wird, sind langfristige Investitionen in Digitalisierung, Infrastruktur und Bildung. Wir brauchen eine umfassende, langfristige Wirtschaftspolitik, nicht nur vereinzelte Maßnahmen wie Subventionen hier und da oder Milliarden für eine Halbleiterfabrik. Und natürlich muss diese Strategie auch effektiv kommuniziert werden. Denn wie man sagt, ist die Wirtschaft zur Hälfte Psychologie. Dies könnte ein Gefühl der Hoffnung wecken, das uns dabei helfen könnte, aus dieser Stagnation herauszukommen.

Max Borowski hat mit Carsten Brzeski gesprochen

Die jüngste Schrumpfung des deutschen BIP spiegelt sich in der abwärtsgerichteten Tendenz von ökonometrischen Indikatoren wie dem Ifo-Index und dem GfK-Index wider. Trotzdem erwartet Carsten Brzeski, Chefökonom der ING, keine schwere Rezession in Deutschland.

Obwohl das BIP derzeit schrumpft und die ökonometrischen Indikatoren abwärts tendieren, erwartet Brzeski eine Entwicklung, die die deutsche Wirtschaft noch nicht erlebt hat.

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