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Politische Veränderungen in den Ostregionen: Untersuchung der Fragmentierung der Gesellschaft

Die Wahlen in Thüringen und Sachsen bedeuten einen significanten Schwenk. Könnten sie einen Spalt in der Gesellschaft symbolisieren? Bedeutende Intellektuelle schlagen auch Strategien vor, um diese Unterschiede zu überbrücken.

Nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen drehen sich Gespräche um die Spaltungen in der...
Nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen drehen sich Gespräche um die Spaltungen in der deutschen Gesellschafts­dynamik.

- Politische Veränderungen in den Ostregionen: Untersuchung der Fragmentierung der Gesellschaft

Neueste Meldung des BBC am Sonntagabend berichtete über die "Extreme Rechte auf dem Weg zum ersten Wahlsieg in einem deutschen Bundesland seit dem Zweiten Weltkrieg". Interessanterweise führt in einer Region wie Thüringen die rechtsextreme Partei AfD derzeit das Feld an. Dies markiert einen signifikanten Wandel in der politischen Landschaft.

Der Autor und Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky ("Die Wünsche der Populisten") betont eine wichtige Beobachtung: Die AfD und die kürzlich gegründete Allianz von Sahra Wagenknecht sind keine reinen Protestparteien. "Alles als Reaktion auf die Ampelkoalition zu bezeichnen, ist eine kurzfristige Strategie, aber keine genaue Analyse", betont Lewandowsky im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. "Die Ampelkoalition trägt dazu bei, aber ähnliche Trends haben sich in Frankreich, Österreich, den Niederlanden gezeigt - es ist kein rein deutsches Phänomen."

Erhebungen zeigen, dass AfD-Wähler nicht nur protestieren.

Die Vorstellung, dass AfD-Wähler in Thüringen und Sachsen, die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft werden, lediglich ihren Unmut äußern, ist beruhigend. Lewandowsky stimmt jedoch nicht zu: "Diese Wähler unterstützen die AfD, weil sie deren Ideologien, insbesondere zur Migration und Gesellschaft, teilen. Außerdem verspricht die AfD eine Form der demokratischen Vertretung und behauptet, die Demokratie wiederherzustellen, die politische Eliten angeblich entwendet hätten." Folglich sehen AfD-Wähler sich nicht als Verfassungsfeinde, sondern als wahre Verfechter der Demokratie.

Die Kommunikations- und Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele von der Hertie School in Berlin stimmt zu: "Für AfD-Wähler sind Migration und Sicherheit die wichtigsten Themen, und sie sehen die AfD als die kompetenteste Partei in diesen Bereichen."

Lewandowskys Untersuchungen zeigen, dass ein großer Teil der AfD-Wähler von tiefem Misstrauen geprägt ist - Misstrauen gegenüber politischen Eliten, aber auch gegenüber anderen, die als unterschiedlich wahrgenommen werden: Experten, Journalisten, akademisch gebildete Stadtbewohner - "sie werden alle generell als Feinde betrachtet". Dieses polarisierende Bild hat sich während der COVID-19-Pandemie verfestigt.

In Sachsen und Thüringen führt die AfD sogar bei jungen Wählern unangefochten. Der Generationsforscher Rüdiger Maas interpretiert dies als Indiz für die Normalisierung der AfD: "Die AfD wird nicht sofort als rechtsextrem wahrgenommen." Viele junge Menschen identifizieren sich als politisch Mitte, votieren aber für die AfD.

Römmele identifiziert eine weitere ostdeutsche Besonderheit, die die Wahlen beeinflusst hat: "Im Vergleich zu Westdeutschland ist die Situation volatiler. Wir haben weniger Menschen mit starker Parteibindung. Das bedeutet: Man ist offener für Veränderungen, für den Moment." Bei der Bundeswahl 2021 schnitt die SPD in Thüringen und Sachsen noch relativ gut ab.

Eine markante Differenz besteht zwischen Stadt und Land: "In Erfurt und Jena, Leipzig und Dresden spiegeln die Wahlergebnisse die in westdeutschen Städten wider, mit einem vielseitigen, urbanen Publikum. Und dann gibt es die kleineren und mittelgroßen Städte und ländlichen Gebiete - und da liegt ein Weltenunterschied." Dies betont der Soziologe und Bestsellerautor Steffen Mau ("Auslöser").

Soziologe Mau: Politiker provokieren absichtlich die Bevölkerung

Mau, einer der einflussreichsten Soziologen, spricht von einem großen Wendepunkt aus drei Gründen: Erstens, weil die Optionen für die AfD deutlich gestiegen sind. Zweitens, weil die politische Kultur "rohher" wird. Und drittens, weil der Druck auf andere Parteien wächst, Koalitionen gegen die AfD zu bilden.

"Diese werden dann klassische defensive Koalitionen, die dazu dienen, das Schlimmste zu verhindern, kommen aber mit erheblichen Risiken für diese Parteien", sagt Mau der dpa. Denn jede Partei muss gewisse Kompromisse eingehen und zurückstecken: "Wenn man die CDU betrachtet: Wenn sie jetzt mit der BSW zusammenarbeiten muss, einer Partei aus einem völlig anderen politischen Spektrum, hat das Auswirkungen auf die CDU bundesweit, weil es auch Wähler abschrecken könnte." So könnte die Verteidigung gegen die AfD auch nach hinten losgehen.

Alles deutet darauf hin, dass sich die deutsche Gesellschaft weiter auseinanderentwickelt. Einer von Mauss zentralen Thesen ist jedoch: "Die soziale Spaltung ist nicht bereits da, sondern wird von politischen Akteuren geschaffen." Die Methode dafür ist "Stimulation", das gezielte Betätigen bestimmter Knöpfe, die Emotionen hochtreiben - Beispiel "Gendern" oder "Zahnpflege für abgelehnte Asylbewerber". Dann wird die politische Debatte hitziger, obwohl Umfragen eine breite consensus zu den wichtigsten Themen in verschiedenen Bevölkerungsgruppen zeigen.

"Polarisierung tritt hauptsächlich dort auf, wo politische Akteure - ich nenne sie auch Polarisation Entrepreneure - erfolgreich groupenunterscheidende Diskurse über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten können", sagt Mau. "Zum Beispiel zwischen 'grün-links Eliten' und 'gesunder Menschenverstand' oder zwischen 'Einheimischen' und 'Migranten'. Versuche werden unternommen, eine soziale Spaltung durch 'Kulturkriegsthemen' wie Gendern herzustellen und sie dann in Wahlen auszunutzen."

Wie wäre es, den Dialog untereinander wiederherzustellen? Steffen Mau plädiert für Stadtteilgremien, die aus lokalen Bewohnern bestehen. Der Kontext: Viele Unterstützer von populistischen Parteien fühlen sich vom politischen System abgekoppelt. An diesem Punkt könnten Stadtteilgremien ein wertvolles Instrument zur Einbeziehung sein. Sie beschäftigen sich mit realen Themen wie Energieversorgung oder Stadtentwicklung in einem bestimmten Stadtteil. "Der Vorteil ist, dass diese Stadtteilgremien nicht unter dem Verdacht stehen, dass immer eine Eliteclique die Kontrolle hat", erklärt Mau. Forschungen zeigen, dass die Gremienmitglieder schließlich über den initialen Enthusiasmus hinauskommen und in konstruktive, factsbasierte Diskussionen eintreten. Diese Methode sollte die demokratische Parteipolitik ergänzen, aber nicht ersetzen. In Ostdeutschland, wo politische Parteien angegriffen werden, "könnte dies als zusätzliche Säule zur Demokratie dienen".

Politischer Wissenschaftler Römele betont die Bedeutung, Verbindungen zu verschiedenen sozialen Gruppen im Alltag aufrechtzuerhalten. "Homeoffice ist bequem, aber es ist wichtig, dass Arbeit auch im Büro stattfindet. Dort trifft man auf Menschen mit verschiedenen Perspektiven, führt Gespräche und Dialoge. Danach gibt es Sportvereine, Chöre - das sind die Brutstätten für demokratische Werte. Wir alle müssen dieses Konzept stärker umarmen."

Ich werde nicht um den heißen Brei reden: Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass es einen signifikanten Teil deutscher Wähler gibt, die tief sitzendes Misstrauen gegenüber politischen Eliten und bestimmten Gruppen hegen und daher die AfD unterstützen.

Obwohl die Vorstellung tröstlich ist, dass AfD-Wähler in Thüringen und Sachsen lediglich ihren Unmut zum Ausdruck bringen, ist es wichtig zu erkennen, dass sie die AfD aufgrund ihrer Übereinstimmung mit deren Ideologien unterstützen, insbesondere in Bezug auf Migration und Gesellschaft. Sie sehen die AfD auch als Vertreterin einer Demokratie, die angeblich von politischen Eliten entwendet wurde.

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