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Polen: Popcorn essen im Kino, um einen Regierungswechsel zu beobachten

Donald Tusk wurde neuer Premierminister. Das alte Regierungslager der Partei Recht und Gerechtigkeit hat diesen Wechsel bis zum Schluss hinausgezögert. Einige Polen fanden das sehr unterhaltsam.

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Das polnische Parlament hat den ehemaligen Oppositionsführer Donald Tusk zum künftigen Regierungschef gewählt. Foto..aussiedlerbote.de

Warschau - Polen: Popcorn essen im Kino, um einen Regierungswechsel zu beobachten

Als Donald Tusk nach fast acht Wochen Wartezeit endlich an seinem Zielort ankam, hob er seine Hände und formte mit Daumen und Zeigefinger ein Herz. Das Parlament hatte den ehemaligen Oppositionsführer soeben mit einer Mehrheit zum künftigen Regierungschef gewählt. Während Tusk sprach, kämpfte der Friedensnobelpreisträger und ehemalige polnische Präsident Lech Walesa auf der Tribüne mit den Tränen der Rührung.

Wieder einmal wurde der Machtwechsel in Polen, der sich seit den Parlamentswahlen hinzuziehen scheint, in einem faszinierenden Film festgehalten. Dies geschieht, nachdem die neue nationalkonservative PiS-Regierung unter Führung des ehemaligen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki erwartungsgemäß bei einer Vertrauensabstimmung im Parlament gescheitert ist.

Sie markierte das Ende einer politischen Farce, bei der die polnischen Nationalkonservativen fast zwei Monate lang das Land beherrschten und den Ruf der Demokratie beschädigten, um ihren Sturz zu verzögern. Die Parlamentssitzung wurde sogar live aus zwei Sälen eines großen Warschauer Kinos übertragen - und das Publikum verfolgte das absurde Drama mit Popcorn und Cola.

Nach seiner Wahl sagte Tusk, es sei ein großer Tag für all diejenigen, die während der Regierung von Recht und Gerechtigkeit "daran geglaubt haben, dass die Dinge besser werden, dass wir die Dunkelheit vertreiben, dass wir das Böse vertreiben".

PiS schöpft alle Fristen aus

Bis vor kurzem hat die Partei Recht und Gerechtigkeit so getan, als könne sie an der Macht bleiben. Mit einer Rekordbeteiligung strömten die Wählerinnen und Wähler am 15. Oktober in die Wahllokale, um ihre Unzufriedenheit mit der Nationalkonservativen Partei auszudrücken, die seit 2015 an der Macht ist. Seit acht Wochen ist es praktisch allen klar: Die Partei Recht und Gerechtigkeit ist abgewählt, und die Oppositionskoalition um den ehemaligen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk hat die Parlamentswahlen gewonnen.

Dennoch hat die Partei Recht und Gerechtigkeit mit Hilfe des von ihr ernannten Präsidenten Andrzej Duda alle möglichen Tricks angewandt, um alle Fristen auszunutzen. Duda beauftragte den Politiker und ehemaligen Ministerpräsidenten Morawiecki mit der Regierungsbildung und vereidigte sein Kabinett - wohl wissend, dass diese Übergangsregierung nur zwei Wochen im Amt sein würde. Eine teure Show: Nach Berechnungen des Politikmagazins Polityka kosteten die Gehälter der zahlreichen Minister für nur zwei Monate den Steuerzahler rund 74.000 Euro.

Jetzt dürfte alles sehr schnell gehen. Tusk hofft, morgen eine Regierungserklärung abgeben und sein Ministerteam vorstellen zu können. Am Nachmittag wird eine Vertrauensabstimmung stattfinden. Da Tusk auf eine absolute Mehrheit der Abgeordneten zählen kann, gilt seine Wahl als sicher. Es wird erwartet, dass Duda am Mittwoch in Tusks Kabinett vereidigt wird. Dann wird sich endlich etwas ändern.

Tusks neue Drei-Parteien-Koalitionsregierung steht vor vielen Herausforderungen. Eines der drängendsten aktuellen Probleme ist die Blockade der Grenzübergänge zur Ukraine durch polnische Fuhrunternehmen. Sie sehen ihr Geschäft durch die Billigkonkurrenz aus den Nachbarländern gefährdet. Der Streit hat die Beziehungen der Ukraine zu Polen belastet, das seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges einer der wichtigsten Verbündeten Kiews ist.

Auch in Berlin und Brüssel gibt es viel zu tun. Die Partei Recht und Gerechtigkeit befindet sich in einem ständigen Konflikt mit der Europäischen Kommission über die Justizreform, während die Bundesregierung die Europäische Kommission verärgert hat, indem sie Billionen von Dollar an Reparationen aus dem Zweiten Weltkrieg fordert. Tusk und seine Kollegen hingegen favorisieren eine pro-europäische Linie und eine versöhnlichere Politik gegenüber Deutschland.

Alt und neu

Der 66-Jährige aus Danzig war von 2007 bis 2014 Chef der polnischen Regierung. In dieser Zeit pflegte er gute Beziehungen zur damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Tusk hofft, an diesem Wochenende zu einem EU-Gipfel nach Brüssel zu fliegen, wo weitere Hilfen für die Ukraine besprochen werden sollen.

Aber viele polnische Bürgerinnen und Bürger haben auch hohe Erwartungen an die neue Regierung. Die Verschärfung des Abtreibungsrechts durch die Partei Recht und Gerechtigkeit hat viele verärgert - und die zukünftige Regierung hofft, die Gesetzgebung wieder zu lockern. Tusk kündigte auch eine Umstrukturierung des öffentlichen Rundfunks an, den die Partei Recht und Gerechtigkeit in ihren Propagandaapparat integriert hat.

Trotz Tusks Wunsch nach Veränderung muss er sich auch mit der Frage des Zusammenlebens auseinandersetzen. Präsident Duda kann viele Reforminitiativen blockieren. In den letzten Wochen hat er überdeutlich gemacht, dass die verfassungsmäßig geforderte Überparteilichkeit des Staatsoberhauptes für ihn eine reine Formsache ist.

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Quelle: www.stern.de

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