Debatte über Kernenergie - Neuer Unsinn über Atomkraft
Es ist seltsam: Das Christkind kommt jedes Jahr. Jedes Jahr fordern Politiker oder andere sogenannte Experten eine eventuelle Rückkehr zur Atomkraft, weil nur sie unser Klimaproblem lösen könne. Dieser Ansicht ist auch Markus Söder, Vorsitzender der CSU. Die CDU unter Friedrich Merz hat gerade die Forderung nach Atomkraft in ihren Grundsatzentwurf aufgenommen.
Auf eine Wiederbelebung des Brennofens hofft auch Michael Bröning, Politikwissenschaftler und Mitglied des Grundwerteausschusses der Sozialdemokratischen Partei. Er fand das Beharren Deutschlands auf dem Ausstieg aus der Kernenergie „reaktionär“, wie er in einem STAR-Artikel schrieb.Menschen sind verblendet und streiten zu sehr moralisch – so sieht er das.
Fakt: Auf dem laufenden Klimagipfel in Dubai haben 22 Länder aus vier Kontinenten die Nuclear Energy Alliance gegründet. Sie wollen die Stromproduktion von Kraftwerken weltweit verdreifachen. Um zu beweisen, dass sie auf dem richtigen Weg sind, führt der Politikwissenschaftler Bronin die Tatsache an, dass sogar die Klimaaktivistin (und ultimative Moralistin) Greta Thunberg die Kernenergie unterstützt, weil sie ein Zwillingsübel ist. Der weniger mächtige Ansatz.
Sollte das eine konsequente Klimapolitik sein?
Es gibt große Lücken in dieser Argumentation. Von EU-Politikern bis hin zu Wissenschaftlern wie Bronin reichen ihre Einstufungen von fett bis falsch, insbesondere wenn man die Situation aus wirtschaftlicher Sicht analysiert. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) macht die Kernenergie etwa 5 % der gesamten weltweiten Energieproduktion aus; 80 % stammen immer noch aus fossilen Quellen. Eine Verdreifachung der Atomstromerzeugung bis 2050 würde diesen überhöhten Wert nur um 10 Prozentpunkte auf 70 % reduzieren. Sollte das eine konsequente Klimapolitik sein, die bei vielen Anklang findet?
Erschreckend ist auch, dass nur Länder mit hohen Steuereinnahmen in neue Atomkraftwerke investieren, nicht aber private Unternehmen. Auch Deutschlands Energiebosse haben kein Interesse gezeigt. Denn sie wissen seit langem, dass die Kosten für Atomkraftwerke zu hoch sind. Die Kilowattstunden eines neuen Kernkraftwerks können nicht mit den Kilowattstunden einer Windkraftanlage oder eines Solarpanels mithalten. Das IPCC stellte in einer Stellungnahme klar: „Neue Kernkraftwerke waren noch nie wettbewerbsfähig und werden es auch in absehbarer Zukunft nicht sein.“
Die Bauzeit ist zu lang. Der weltweite Durchschnitt liegt bei sechs bis acht Jahren. Aber das liegt einfach daran, dass es in den asiatischen Ländern schnell geht und es wenig Widerstand gibt. Die Erfahrung zeigt, dass sich der Fertigstellungsfortschritt in Europa – derzeit sind acht Reaktoren im Bau – um viele Jahre verzögert und die Kosten explodieren. Bestes Beispiel ist das finnische Kernkraftwerk Olkiluoto 3: Der Bau dauerte 18 Jahre. Ein Druckwassertank in Flamanville, Frankreich, ist nach 16 Jahren immer noch unvollendet.
Konservative deutsche Politiker sehen kleine modulare Kernkraftwerke (SMR) als neue Hoffnung. Einige Länder planen tatsächlich, sie zu nutzen oder sogar mit dem Bau zu beginnen, darunter die USA, Südkorea und China, darunter auch Russland. Allerdings sind Kraftwerke nichts anderes als eine Wette auf die Zukunft. Die Hersteller versprechen viel, doch die Technik ist noch lange nicht erprobt, geschweige denn ausgereift.
Ihre Sicherheit ist fraglich, wie das Öko-Institut in Freiburg in einer Studie des Bundesamtes für Sicherheit in der nuklearen Entsorgung (BASE) nachgewiesen hat. Eine Studie der Stanford University zeigte außerdem, dass SMRs nicht so wenig Atommüll produzieren, wie die Hersteller behaupten, sondern im Verhältnis zur erzeugten Energie viel mehr.
Chinas grüne Welle
Als weltweit größter Kohlendioxid-Emittent ist es auch unwahr, dass China sich überhaupt nicht um erneuerbare Energien kümmert und nur auf Kohle und Atomkraftwerke setzt. Im Gegenteil: Kein Land der Welt investiert mehr Geld in grüne Energie. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur werden in diesem Jahr fast die Hälfte der weltweit neuen Ökostromkraftwerke in China stehen. Das Land steht vor einem Rekordjahr bei der Umstellung auf grüne Energieversorgung und will seine Anstrengungen deutlich ausweiten.
Natürlich hätte die Bundesregierung unter Merkel darüber nachdenken können, die Atomkraftwerke länger laufen zu lassen, anstatt die Luft durch Kohlekraftwerke zu verschmutzen. Aber was passiert ist, ist passiert. Jetzt sollten sich die Deutschen nicht länger von der Propaganda über billigen Atomstrom beeinflussen lassen. Denn ein Endlager für Atommüll wird es in Deutschland frühestens im Jahr 2046 geben.
Kernkraftwerke werden überwiegend von technisch inkompetenten Ländern gebaut. Diejenigen, die hierzulande den Bau neuer Atomkraftwerke befürworten, werden am meisten getäuscht – nicht diejenigen, die sich für erneuerbare Energien einsetzen. Aus physikalischer, politischer und wirtschaftlicher Sicht ist es sinnvoller, Energie zu nutzen, für die niemand bezahlt (Wind, Sonne und Wasser). Diese können jederzeit problemlos den Energiebedarf der gesamten Welt decken, und kein böser Mensch auf der Welt kann ihre Versorgung abschalten.
Deshalb muss unser Fokus darauf liegen, Speichermethoden zur Marktreife zu bringen, damit diese Energie leicht verfügbar ist. Beim Thema Fahrzeugbatterien und insbesondere beim Bau von Elektrolyseuren zur Herstellung von grünem Wasserstoff, der zum Betrieb von Erdgaskraftwerken genutzt wird, sind wir auf dem richtigen Weg. Keine seriöse Forschungseinrichtung zweifelt daran, dass billige Energie letztlich nur aus erneuerbaren Quellen kommen wird.
Das hoffen wir alle.
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Quelle: www.stern.de