Massaker des 7. Oktober - Israel will die Hamas eliminieren – doch der Plan geht nicht auf
In den zwei Monaten, seit israelische Streitkräfte Gaza als Reaktion auf Massaker der Terrorgruppe Hamas angriffen, hat ein Großteil der internationalen Gemeinschaft zwei eng miteinander verbundene Forderungen an alle Parteien des Gaza-Konflikts gestellt: Hamas fordert die sofortige Freilassung von Geiseln – und Israel hält sich bei Militäreinsätzen im Gazastreifen an das Völkerrecht. Das Problem besteht darin, dass Israel das Ende des Angriffs sofort an die Freilassung aller Geiseln knüpfte – eine Rechnung, die sich erst etwa zwei Monate später bewahrheitete. Es mehren sich die Fragen, ob die aktuelle Strategie Israels den Geiseln tatsächlich hilft.
Der Wunsch der israelischen Öffentlichkeit, die Geiseln irgendwann freizulassen, ist in jeder Hinsicht verständlich. Es ist nicht schwer, sich den Schmerz vorzustellen, den die Angehörigen der Geiseln und die Gefangenen selbst ertragen mussten. Es gibt keine Rechtfertigung für die Terroranschläge und Geiselnahmen der Hamas.
Aus der Sicht immer mehr Teile der Welt, insbesondere im globalen Süden, ist der Tod Tausender unschuldiger Zivilisten in Gaza gleichermaßen nicht zu rechtfertigen. In den letzten Tagen hat sich die israelische Militäroffensive im Gazastreifen auch auf den südlichen Teil des Gebiets ausgeweitet. Hunderttausende palästinensische Zivilisten sind aus dem Norden in sogenannte Sicherheitsgebiete geflohen. Zumindest jetzt ist hier niemand sicher. Damit hat die Lage im Gazastreifen eine neue Eskalation erreicht.
Nutzt der Westen seinen Einfluss auf Israel – oder hat er aufgegeben?
Nach dem Scheitern des Waffenstillstands und der zunehmend schlimmen Lage in Gaza erreicht der Krieg eine entscheidende psychologische Schwelle: Jedes einflussreiche Land der Welt wird in der Lage sein, Israel zu einem anderen militärischen Ansatz zu bewegen. Alternativ werden die Forderungen nach Verhältnismäßigkeit immer schwächer – bis ein Großteil der internationalen Gemeinschaft schließlich aufgibt.
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Wir haben uns an fast alles im Leben gewöhnt. Es ist auch eine Beschreibung von Leid und Schmerz, der anderen widerfährt. Wenn wir das nicht ändern können, werden viele von uns aus Selbsterhaltung ihren Job aufgeben. Was uns davon abhält aufzugeben und das Interesse zu verlieren, sind immer neue Szenen und Aspekte, neue Bilder, die uns hyperfokussieren. Angesichts der aktuellen Situation in Gaza wird es jedoch bald einen alarmierenden Mangel an solchen „neuen“ Informationen geben.
Seit Wochen hat die internationale Gemeinschaft die brutalen Details dieser Situation anschaulich beschrieben und sich vorgestellt: Tausende nicht verwandter Kinder, Mütter und Väter, die unter den Trümmern begraben sind. Um zu überleben, wanderten die alten Frauen von Norden nach Süden. Babys, die im Krankenhaus nicht mehr versorgt werden können.
Seit Wochen übertragen arabische Sender wie Al Jazeera all diese Szenen ohne Zensur live im Fernsehen. Dies und die daraus resultierenden Proteste haben den Druck auf westliche politische Eliten erhöht, eine klarere Haltung gegenüber Israel in Bezug auf die Achtung des Völkerrechts einzunehmen: Sowohl der Ton des französischen Präsidenten Emmanuel Macron als auch der des US-Präsidenten Joe Biden haben sich in den letzten Wochen verschärft. Ja, die Macht der Bilder ist mächtig, wie hier zu sehen ist. Aber ist es mächtiger als die Macht der Gewohnheit? hängt davon ab, hängt davon ab.
Allerdings dürfte der ausgeweitete Einsatz israelischer Truppen im südlichen Gazastreifen die Kritik noch lauter machen. UNICEF hat den Gazastreifen als den gefährlichsten Ort der Welt für Kinder bezeichnet. Die Weltgesundheitsorganisation hat Israel dringend aufgefordert, mehr Schutz für die Zivilbevölkerung zu gewährleisten. Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und Palästinenser vor Ort berichten täglich von der Unsicherheit im Süden und dem wachsenden Mangel an Möglichkeiten, sichere Orte zu finden. Werden diese Hilferufe einen Unterschied machen?
Nahostkonflikt: Die USA suchen nach einer neuen Haltung
An anderer Stelle hat US-Präsident Joe Biden kürzlich erste Anzeichen einer neuen Annäherung an Israel beobachtet: Die USA wollen die Einreise israelischer Extremisten einschränken, während Israelis gewalttätige Angriffe auf Palästinenser im Westjordanland verüben.
Dies wird das erste Mal sein, dass die Vereinigten Staaten tatsächlich Maßnahmen als Reaktion auf die Kritik an Israel ergreifen. Die Vereinigten Staaten sind Israels wichtigster Unterstützer und beherbergen mehr Juden als Israel. Wenn hier die Unterstützung der Bevölkerung für Israel zusammenbricht, wie die jüngste Blockade der Hilfen für Israel durch den US-Senat zeigt, könnte dies Konsequenzen haben. Hierzulande seien bereits erste Auswirkungen zu beobachten: Deutschland wolle die Einreisebeschränkungen für extremistische Siedler in die EU ausweiten, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes.
UN-Generalsekretär Antonio Guterres sprach am Mittwoch vor dem Sicherheitsrat. Er berief sich auf den selten genutzten Artikel 99 der Charta der Vereinten Nationen, der es ihm erlaubt, „auf alle Angelegenheiten hinzuweisen, die seiner Meinung nach die Garantien des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit gefährden könnten“. Obwohl dieser Schritt nicht rechtsverbindlich ist, ist er dennoch historisch. Es wird erwartet, dass der Sicherheitsrat das Thema zumindest in den nächsten Tagen diskutieren wird. Nichts davon stellt kollektiven Widerstand dar. Dies würde mindestens eine weitere verbindliche UN-Resolution erfordern, in der Sanktionen bei Nichteinhaltung festgelegt werden. Ob dies geschehen wird, bleibt abzuwarten.
Aber es ist klar, dass Israels derzeitiger Ansatz keinen dauerhaften Schutz für das israelische Volk erreichen kann, und im Gegenteil, die Kinder im Gazastreifen, die den aktuellen Krieg überleben, werden wahrscheinlich ihr Leben lang schwer traumatisiert sein. Sie leben von innerem Schmerz, Angst und Wut. Gaza und der arabische Raum schaffen derzeit einen Nährboden für weitere Terrorgruppen. Die Infrastruktur der Hamas mag zerstörbar sein, doch ihre terroristische Ideologie wird derzeit stark gestärkt. Diese traurige Gewissheit hilft weder Juden noch Palästinensern. Die Menschen beider Länder sollen ein friedliches und würdiges Leben führen.
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Quelle: www.stern.de