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Grünes Licht für neue Stimmrechte - mit einer Einschränkung

Im nächsten Jahr soll der Bundestag nach einem neuen Wahlsystem gewählt werden. Gegen die Reform outrasthen Union und Links, die vor dem höchsten deutschen Gericht Klage eingereicht haben, was nicht jede Änderung bestätiget.

Das Bundesverfassungsgericht betrachtet vorwiegend das neue Wahlsystem als verfassungsgemäß.
Das Bundesverfassungsgericht betrachtet vorwiegend das neue Wahlsystem als verfassungsgemäß.

- Grünes Licht für neue Stimmrechte - mit einer Einschränkung

Der Vorschlag liegt bereits seit ein paar Tagen auf dem Tisch: Am 28. September 2025 soll der neue Bundestag gewählt werden. Ungewiss war bisher, ob die von der Ampelkoalition eingeführte Reform des Bundestagswahlrechts als Grundlage für diese Wahl dienen kann. Mehrere Klagen dazu mussten vom Bundesverfassungsgericht geprüft werden. Allein die Verlesung der langen Liste dauerte beim Bekanntgeben fast sechs Minuten, das Grüßen der anwesenden Vertreter etwa genauso lange.

Die wichtigste Frage vorab: Kann die Wahl nächstes Jahr stattfinden?

Ja. Das höchste deutsche Gericht hat die Reform largely als verfassungskonform erklärt. Nur die fünf-Prozent-Hürde ohne die sogenannte "Grundmandatsklausel" verletzt das Grundgesetz. Nach dieser Regelung entfällt die Hürde für den landesweiten zweiten Stimmenanteil der Parteien, die mindestens drei Direktmandate gewonnen haben. Die Linke profitierte davon bei der Wahl 2021, da sie nur aufgrund von drei Direktmandaten den Fraktionsstatus erreichte.

Ist eine Reform weiterhin notwendig?

Nicht unmittelbar. Das Gericht hat entschieden, dass die von der Ampelreform gestrichene Grundmandatsklausel bis zur Erstellung einer neuen Regelung durch den Bundestag in Kraft bleibt. Daher findet die Wahl, wenn nichts geändert wird, unter diesen Bedingungen statt.

Dementsprechend zeigten sich Vertreter der Regierungscoalition wie Till Steffen (Grüne) und Sebastian Hartmann (SPD) nach der Entscheidung entspannt. Zunächst müsse die Entscheidung genau geprüft werden, dann würden mögliche Schritte diskutiert - auch mit der Union. Ein schneller Schuss vor der Bundestagswahl 2025 klang da nicht danach. Dagegen sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich der "Rheinischen Post" (Mittwoch), dass eine Änderung des Wahlrechts nach den neuen Vorgaben vor der nächsten Wahl möglich sein könnte.

War eine Reform überhaupt notwendig?

Prinzipiell stimmen alle zu: Ja. Denn der Bundestag wächst unter den aktuellen Regelungen weiter - und wird damit auch teurer. Bei der Wahl 2021 stieg die Zahl der Parlamentarier von 709 auf 736 - der Deutsche Bundestag bleibt damit der größte gewählte Parlament weltweit. Die vorherige Reform der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD gelang es nur, den Anstieg der Parlamentarierzahl zu bremsen.

Wie sah die neue Reform aus?

Das von SPD, Grünen und FDP im Jahr 2023 beschlossene neue Wahlrecht beschränkt die Zahl der Sitze auf 630 Parlamentarier. Dies soll vor allem durch die Abschaffung von Überhang- und Ausgleichsmandaten erreicht werden. Überhangmandate entstanden, wenn eine Partei mehr Direktmandate gewann, als ihr aufgrund der Zweitstimmen zustehen. Diese konnte sie behalten. Die anderen Parteien erhielten Ausgleichsmandate, um ihre Stärke an die Anteile der Zweitstimmen anzupassen. Auch die Grundmandatsklausel wurde mit der Reform abgeschafft.**

Welche Folgen hätte die Reform haben können?

Außer der Linken hatte die Union viel auf dem Spiel mit den Änderungen. Bei der Bundestagswahl 2021 gewann die CSU, die nur in Bayern antritt, 45 Direktmandate. Elf davon waren Überhangmandate, die sie unter dem neuen Wahlrecht nicht mehr erhalten würde. Die CDU gewann weitere zwölf Überhangmandate in Baden-Württemberg. Zusammen waren das 23 der 34 Überhangmandate, die wiederum in 104 Ausgleichsmandate resultierten.**

Wenn die CSU bei der nächsten Wahl den fünf-Prozent-Hürde bundesweit nicht überwinden würde, wäre sie auch dann aus dem Bundestag, wenn sie erneut die Mehrheit der bayerischen Direktmandate gewinnen würde. Bei der Wahl 2021 erhielt die CSU bundesweit 5,2 Prozent der Zweitstimmen.

Was hat das Gericht entschieden?

Die Begrenzung des Bundestags auf 630 Mitglieder und die Abschaffung von Überhang- und Ausgleichsmandaten bleiben gültig. Das sogenannte Zweitstimmenabdeckungsverfahren ist verfassungsgemäß, entschied der Senat einstimmig. Demnach werden die 630 Sitze zunächst unter den Parteien und ihren Landeslisten verteilt. Bei der Verteilung rücken Direktkandidaten in der Reihenfolge ihrer Stimmenanteile die Landesliste hoch. Erst im letzten Schritt erhalten alle Kandidaten ihre Mandate in dieser Reihenfolge.

Lediglich die aktuelle fünf-Prozent-Hürde wird von sieben Richtern als verfassungswidrig angesehen - bei einer Gegenstimme. Das Gericht setzt damit im Wesentlichen die alte Regelung wieder in Kraft, die es einer Partei ermöglicht, mit Fraktionsstärke in den Parlament einzuziehen, wenn sie mindestens drei Direktmandate gewinnt.

Das Gericht sieht auch kein Problem darin, dass einige Wahlkreise möglicherweise nicht von einem Politiker oder einer Politikerin im Bundestag vertreten sind. Auch muss das Wahlrecht nicht so gestaltet sein, dass Kandidaten aus jedem Bundesland entsprechend ihrer Bevölkerungsanteile in den Bundestag einziehen. "Es wäre verfehlt, Wahlkreisabgeordnete als Delegierte ihres Wahlkreises zu betrachten", sagte Senatsvorsitzende Doris König. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes nach dem Grundgesetz und nur ihrem Gewissen verantwortlich. (Az. 2 BvF 1/23 et al.)

Welche Optionen gibt es für die Hürde?

Vor allem mit Blick auf die langjährige und noch angestrebte Zusammenarbeit von CSU und CDU mit einem gemeinsamen Wahlprogramm und einer gemeinsamen Fraktion schlägt der Senat vor, bei der Anwendung der Hürde auch zusammenarbeitende Parteien zu berücksichtigen. Es wird jedoch im nächsten Satz erwähnt, dass andere Varianten der Änderung ebenfalls denkbar sind. Der Gesetzgeber hat im Prinzip viel Spielraum und darf nach Meinung des Senats auch Innovationen im Wahlrecht einführen, die "Wähler, Kandidaten und Parteien zum Umdenken zwingen".

Wer sind die Gewinner und Verlierer der Entscheidung?

Es kommt darauf an, wen man fragt. SPD, Grüne und FDP begrüßen, dass das Herzstück ihrer Reform - die Deckelung der 630 Sitze - vom Verfassungsgericht grünes Licht erhalten hat. Vertreter von Links und der Union freuen sich hingegen besonders über die Wiederbelebung der Grundmandatsklausel und dass die Ampelkoalition zumindest eine Teilniederlage hinnehmen musste.

Ich werde nicht um den heißen Brei reden: Die Entscheidung hat gemischte Auswirkungen auf die beteiligten Parteien. Während die Ampelkoalition die Gültigkeit ihres Reform-Sitzdeckels feiert, jubeln Union und Linke über die Wiederherstellung der Grundmandatsklausel.

Was die Reform betrifft, bestreite ich nicht ihre Notwendigkeit: Die aktuellen Regelungen tragen zur stetigen Wachstum und Kostensteigerung des Bundestages bei, wodurch er zur größten gewählte Volksvertretung weltweit wird.

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