Leitfaden der Gebühren - Grüne Fraktion beschließt neue Sittordnung für Abgeordnete
Deutsche Abgeordnete Petra Hinz war in ihrer Fraktion bekannt für ihre harte Behandlung von Angestellten der SPD. Jahrzehntelang circulierten innerparteilich Gerüchte, wonach die Essener Politikerin ihre Mitarbeiter misshandelte, sie zu Überstunden arbeiten und jede Unterhaltung, auch Toilettenpausen, dokumentieren ließ. Die Fraktionsführung war darüber informiert, aber seit Hinz die Vorwürfe bestritt, wurde kein Schritt eingeleitet.
Jahre später offenbarten Journalist Pascal Hesse diese Vorwürfe der Öffentlichkeit. Zudem wurde bekannt, dass Hinz ihre offizielle Curriculum Vitae gefälscht hatte. Daraufhin musste sie unter Druck des SPD ihre Bundestagsmandat niederlegen.
Bis heute gibt es bei der SPD-Bundestagsfraktion kein Leitfaden für die Interaktion der Abgeordneten mit ihren Angestellten. Neueste Entwicklung: Am 25. Juni 2023 einigten sich die Abgeordneten der Grünen auf "Leitlinien für gute Interaktion mit grüner Bundestagspersonal."
Die Einleitung lautet: "Wir haben eine Pflicht der Sorge und sind für das Wohlbefinden unseres Personals verantwortlich." Folgende Punkte sind die Schwerpunkte:
- Die Beziehung zwischen Abgeordneten und Angestellten soll "auf mutualem Respekt" basieren, wobei grüne Werte auch innerhalb der Fraktion als "Leitlinien" dienen: "Wir Abgeordnete üben vielfältiges und diskriminierungskritisches Führungsverhalten aus." Das umfasst die Möglichkeit der eigenverantworteten Arbeit, regelmäßige Bürozeiten, klare Vereinbarungen und regelmäßige Mitarbeitergespräche über Zusammenarbeit und Entwicklung.
- Aufgaben sollen klar und eindeutig sein und regelmäßig überprüft werden, um sicherzustellen, dass sie realistisch sind.
- Angestellte sollten "fair und leistungsabhängig" entlohnt werden, d.h., tarifiert. Ein Lohnplan mit vergleichbaren Positionen im öffentlichen Sektor (TVöD) ist in dem Leitfaden der Fraktionsordnung für Vergleichszwecke aufgenommen.
- Arbeitszeiten müssen dokumentiert werden. Das Dokument empfiehlt, nicht mehr als 10 Stunden am Tag zu arbeiten und vorherige Einverständnisse für Overtime einzuholen. Samstags, Sonntags und gesetzliche Feiertage sollten in der Regel arbeitsfrei sein.
- Mindestens drei Monate vor einer Bundestagswahl sollen Angestellte über die Möglichkeit der Fortsetzung der Beschäftigung informiert werden.
- Urlaub ist Ruhe: "Angestellte müssen während der Urlaube unzugänglich sein."
- Mobilarbeit oder Home Office sollen "sofern die wirtschaftlichen Interessen zulassen": "Regelmäßig eine Kombination von Präsenz im Büro und mobilen Arbeiten wird gewünscht." Es ist "ausdrücklich gewünscht", dass Angestellte Elternzeit wahrnehmen und an dieselben Bedingungen zurückkehren können.
Das Dokument ist nicht die erste Leitlinie der Grünen: Sie hatten bereits über zehn Jahre zuvor Regeln verabschiedet, die sie jetzt aktualisiert haben. In der alten Version gab es keine Erwähnung von Lohnzahlungen oder Home Office-Regelungen. Die Regeln für konfliktfreie Verhaltenslagen wurden auch verschärft.
"Wie Grüne haben wir hohe Anforderungen an, wie Arbeitgeber mit Mitarbeitern umgehen. Wir wollen diese Anforderungen selbst erfüllen, weshalb die Fraktion dem Leitfaden ihre Mitglieder empfahl," sagte Anja Reinalter, eine der parlamentarischen Führerinnen der Grünen und maßgeblich an den Neuregelungen beteiligt, dem stern.
Regeln sind einmalig im Bundestag
Dies ist einmalig im Bundestag. Eine Abfrage des stern an den anderen Fraktionen ergab: Keine von ihnen hat eine solche Liste von Regeln für die Art und Weise, wie Abgeordnete mit ihren Angestellten umgehen.
Die FDP hat ein Leitfaden für die Behandlung von Angestellten, die von der Fraktion angestellt sind, aber nicht für Parlamentarier. Das erklärt sich aus den Tatsachen, dass diese letzteren privatrechtliche Arbeitsverhältnisse sind, die zwischen den jeweiligen Abgeordneten und ihren Angestellten verhandelt werden. Das Leitfaden der Grünen ist auch nur eine Empfehlung, nicht rechtsverbindlich.
In der Praxis bedeutet das oft, dass Politikern ohne erhebliches Führungsgeschäft plötzlich zwei Büros (in der Verfassungsmandat und im Bundestag) mit mehreren Angestellten zu führen und neben ihrer politischen Arbeit haben. Das führt zu häufigen Überlastungen.
Die Fraktionen finden es jedoch schwer, Regeln für ihre Mitglieder aufzuzwingen. Ein Grund dafür ist, dass, laut Artikel 38 der Grundgesetz, Politiker frei und nicht gebunden sind in ihrem Mandat. Andererseits bedeutet das, dass es wenig Kontrolle über die Art und Weise, wie sie ihre Angestellten behandeln, gibt.
Auch die SPD hat nach dem Skandal um Petra Hinz und ihrer angeblich unzureichenden Behandlung von Angestellten kein solches Leitfaden für MPs erstellt. Stattdessen verweist die Fraktion auf die Tatsache, dass Angestellte von Abgeordneten einen Tarifvertrag mit Verdi haben, der nur für sie gilt. Allerdings sind nur jene Bundestagsabgeordneten, die selbst Mitglied von Verdi oder einer anderen Gewerkschaft sind, durch diesen Vertrag gebunden. Im Gegensatz zum unverbindlichen Leitfaden der Grünen ist der Tarifvertrag bindend.
Die Sozialdemokraten appellieren an die gute Gesinnung ihrer Abgeordneten. "Bundestagsabgeordnete haben Arbeitgeberverantwortung. Das umfasst Arbeitnehmerrechte, gute Arbeitsbedingungen und gute Gehälter," heißt es aus der Fraktion.
Die Linken berichteten ebenfalls, dass sie ihre eigene Betriebsrat für die Angestellten und Angestellten von Abgeordneten haben.
Die Fraktion von Sahra Wagenknecht hat sich nicht auf die Anfrage des stern geäußert.
Die SPD, trotz des öffentlichen Skandals um Petra Hinz und ihrer angeblich unzureichenden Behandlung von Angestellten, hat bisher kein solches Leitfaden für MPs erstellt, die in der Bundestag-Fraktion interagieren. Konträr dazu haben die Grünen solch einen Leitfaden verabschiedet, der auf mutualem Respekt und fairem Umgang mit Angestellten, klaren Aufgaben, Dokumentation von Arbeitszeiten und Regelungen für Urlaub und Konflikte abstellt.