Für einen Linken ist es keine Option, die Ausweisung zu bejubeln.
In Deutschland scheint der Antisemitismus unter Studierenden zuzunehmen, insbesondere seit dem Gaza-Krieg. Das Problem der antijüdischen Stimmung an den Hochschulen ist besorgniserregend. Bundesbildungsminister Stark-Watzinger (FDP) forderte die Hochschulen auf, schnell gegen solches Verhalten vorzugehen. Die Hochschulen sollten von ihren rechtlichen Befugnissen Gebrauch machen und möglicherweise sogar Studenten exmatrikulieren, die sich an solchen Handlungen beteiligen. Leider scheint dies ein wachsendes Problem in Deutschland zu sein, da eine Frau nach einem Übergriff während einer antisemitischen Vorlesungsreihe an der Universität Hamburg ärztlich behandelt werden musste.
In einer kürzlich ausgestrahlten Folge der ZDF-Talkshow "Maybrit Illner" diskutierten die Gäste über den zunehmenden Antisemitismus unter jungen Menschen und mögliche Lösungen für das Problem. Eine im Dezember vom Bundesbildungsministerium in Auftrag gegebene und an der Universität Konstanz durchgeführte Studie zeigt, dass 30 Prozent der befragten jüdischen Studierenden Diskriminierungserfahrungen gemacht haben, während 8 Prozent generelle antisemitische Tendenzen aufweisen. Der Psychologe und Extremismusforscher Ahmad Mansour beleuchtet die Beweggründe für diesen Trend: "Hier ist eine Schwarz-Weiß-Ideologie im Spiel. Die Menschen nehmen den Konflikt entweder als zwischen Unterdrückern oder Unterdrückten wahr und unterstützen den Befreiungskrieg der Hamas", sagt Mansour. Er weist auch darauf hin, dass sich diese Tendenzen nicht auf die Universitäten beschränken, sondern auch in den Vereinigten Staaten zu beobachten sind, wo das Thema der rassischen Klassifizierung von Juden diskutiert wird.
Der Journalist Ronen Steinke, der für die "Süddeutsche Zeitung" schreibt, untersucht eine andere, weniger diskutierte Facette des Themas: den Antisemitismus von links. Dieser ist zwar kein neues Phänomen, hat sich aber nach Steinkes Ansicht in letzter Zeit verstärkt. Israel wird oft als Kolonialmacht bezeichnet, und seine Bewohner werden als Kolonialisten betrachtet. "Das ist sowohl auffällig als auch historisch unzutreffend", stellt er fest. Die in der Region lebenden Juden sind nicht zum persönlichen Vorteil oder zur Erholung eingewandert, sondern um der Verfolgung in Osteuropa und der Shoah zu entkommen. Das eskalierende Gefühl, die Juden aus der Region vertreiben zu müssen, ist eine Form der Geschichtsverzerrung, behauptet er. Und es ist besorgniserregend, dass diese Gefühle in der linken Bevölkerungsgruppe, die normalerweise die Rechte von Flüchtlingen unterstützt, an Boden gewinnen. "Diese Leute lehnen einen wichtigen Aspekt der Geschichte ab und untergraben damit ihre Grundwerte".
Als Reaktion auf die Hochschulproteste hat eine Gruppe von mehr als hundert Dozenten verschiedener Berliner Universitäten einen offenen Brief veröffentlicht, in dem sie das Recht der pro-palästinensischen Studenten auf "friedliche Proteste" verteidigen, einschließlich der Besetzung von Universitätsgeländen. Als Reaktion auf diese Entwicklung mahnt der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU), dass Professoren nicht vergessen sollten, dass sie Angestellte des Staates seien und die Grundsätze des Grundgesetzes einhalten müssten. "Wenn man andere aufstachelt, dann ist die Grenze erreicht", betont Reul. Ahmad Mansour pflichtet ihm bei und fügt hinzu, dass das Versäumnis der Universitätsleitung, sich mit der Situation auseinanderzusetzen, das Problem verschlimmert habe.
Der Vorsitzende der Grünen Partei, Omid Nouripour, teilt diese Sorge, hat aber keine praktikable Lösung parat.
Im Gegensatz dazu schlägt Ronen Steinke vor, die Wissensdefizite zu beseitigen, die seiner Meinung nach zu dem Problem beitragen. "Ich würde hingehen und den Leuten die Fehler in ihrer Logik zeigen: Die Menschen, die in Israel leben, sind nicht zum Vergnügen dorthin gezogen. Stattdessen sind sie im Laufe der Geschichte verfolgt worden. Wollt ihr wirklich, dass sie auch aus der Region verschwinden?", argumentiert er und fordert linke Befürworter von Frieden und nachbarschaftlicher Zusammenarbeit auf, sich für dieses Prinzip einzusetzen, anstatt die nächste Welle von Vertreibungen zu fördern.
Umgang mit Universitätsprotesten
Als Reaktion auf die pro-palästinensischen Studentenproteste an Universitäten, wie z.B. an der Freien Universität Berlin, haben sich rund 100 Dozenten verschiedener Berliner Universitäten zur Unterstützung der Demonstranten versammelt und deren Recht auf "friedliche Proteste" bekräftigt. CDU-Innenminister Herbert Reul betont daraufhin, dass diejenigen, die mit der Erziehung der Bevölkerung in Deutschland beauftragt sind, die Grundsätze des Grundgesetzes zu wahren haben. "Es ist nicht hinnehmbar, wenn Meinungen aus dogmatischen Gründen missachtet werden. Wenn Menschen andere aufhetzen, ist Schluss damit", betont Reul. Ahmad Mansour pflichtet ihm bei und behauptet, dass die Untätigkeit der Universitätsleitung die Situation verschlimmert hat.
Der Vorsitzende der Grünen Partei, Omid Nouripour, räumt den Ernst der Lage ein, bietet aber keine Lösungen an. Ronen Steinke sieht jedoch einen entscheidenden Aspekt der Debatte: die Schließung der Wissenslücken im Verständnis der Studierenden. "Ich würde ihnen zeigen, dass die Juden nicht nur zum Spaß nach Israel gekommen sind. Ihre Vorfahren wurden jahrhundertelang durch Europa gejagt, und auf der Suche nach Sicherheit reisten einige von ihnen nach Israel. Ich würde an ihren Sinn für Logik appellieren und sie fragen: Wollt ihr diese Menschen wirklich immer weiter wegschieben? Hier geht es nicht um Fairness. Nachbarn, ob Juden oder Araber, sollten einen Weg finden, in Frieden zu leben", argumentiert er.
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Quelle: www.ntv.de