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Europa steht vor einer möglichen Abkopplung in Südostasien

China ist vorbereitet.

China knüpft immer engere Beziehungen zu den ASEAN-Staaten: Im April fand im südchinesischen...
China knüpft immer engere Beziehungen zu den ASEAN-Staaten: Im April fand im südchinesischen Nanning zum zweiten Mal eine China-ASEAN-Woche des immateriellen Kulturerbes statt.

Europa steht vor einer möglichen Abkopplung in Südostasien

In den großen Städten Südostasiens wird die Europäische Union oft als moralisch überheblich angesehen. Dies kann für die europäischen Interessen äußerst schädlich sein. Um zu vermeiden, dass die Handelsverhandlungen durch nicht handelsbezogene Forderungen zu sehr unter Druck geraten, müssen wir handeln.

Die Diversifizierung der Lieferketten ist entscheidend für den Versuch der EU, ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von China zu verringern. Für Deutschland ist dies besonders wichtig, da die deutsche Wirtschaft stärker mit China verflochten ist als jede andere Nation in Europa. Die entscheidende Frage lautet: Auf welche Länder und Regionen sollten sich deutsche und europäische Unternehmen verlagern, um unabhängiger von China zu werden?

Südostasien steht dabei oft im Mittelpunkt. Schließlich sind die aufstrebenden Volkswirtschaften der ASEAN-Region mit ihren zum Teil beachtlichen Wachstumsraten der derzeit dynamischste Wirtschaftsraum der Welt. Die gesamte Wirtschaftskraft der Region beträgt nur einen Bruchteil derjenigen Chinas. Dennoch bietet sie aufgrund der niedrigen Löhne, der jungen Bevölkerung, der riesigen Märkte und einer wachsenden konsumfreudigen Mittelschicht zahlreiche Möglichkeiten für europäische Unternehmen. Südostasien kann die europäische Wirtschaft zwar nicht durch China ersetzen, aber sie kann sie durchaus ergänzen.

Obwohl das Potenzial beträchtlich ist, ist der Handel zwischen der EU und den ASEAN-Staaten in den letzten Jahren nur schleppend gewachsen. Im Gegensatz dazu hat sich Chinas Handelsvolumen mit der Region in den letzten fünf Jahren fast verdoppelt. China hat seinen Einfluss in Südostasien erheblich gesteigert. Das Land ist nicht nur der wichtigste Handelspartner für die ASEAN-Staaten, sondern dominiert auch zunehmend wichtige Lieferketten in der Region. Folglich besteht für die europäische Wirtschaft die Gefahr einer Pseudo-Diversifizierung, wenn sie sich von China nach Südostasien verlagert und eine weiterhin stark von China kontrollierte Wertschöpfungskette über Chinas Grenzen hinausgeht.

Die europäischen Unternehmen stehen im harten Wettbewerb mit den stark subventionierten chinesischen Unternehmen. Die EU muss die Handelsverhandlungen in der Region abschließen, um die europäischen Unternehmen im Wettbewerb zu unterstützen. Während sie sich 2019 erfolgreich auf ein Freihandelsabkommen mit Vietnam geeinigt hat, stagnieren die Verhandlungen mit Indonesien, Malaysia, Thailand und den Philippinen. Das Haupthindernis für den Abschluss der Gespräche ist die Besessenheit der EU, nicht handelsbezogene Forderungen wie strenge Arbeits- und Umweltstandards durchzusetzen. Länder wie Indonesien kritisieren die EU dafür, dass sie ihren Protektionismus unter dem Deckmantel von Umweltschutz und Menschenrechten betreibt. Bei dem derzeitigen Tempo des globalen wirtschaftlichen Interesses an der Region werden die aufstrebenden ASEAN-Staaten bei den Verhandlungen mit der EU bald die Oberhand haben. Dies wäre ein schwerer Rückschlag für die EU - sowohl im Hinblick auf ihre Diversifizierungsbemühungen als auch auf ihren schwindenden geopolitischen Einfluss in der Region. Die EU braucht die ASEAN-Staaten, um ihre hochgesteckten Ziele wie Klimaschutz, Reform der multilateralen Handelsregeln und Sicherung der Freihandelswege zu erreichen.

Überfrachtung der Handelsverträge mit nicht handelsbezogenen Forderungen vermeiden

Die EU muss aufhören, Handelsabkommen mit nicht handelsbezogenen Forderungen zu überfrachten. Dazu sollte sie die unmittelbar handelsrelevanten Themen von anderen Fragen trennen. Die EU hat Alternativen, um Menschenrechts- und Umweltschutzbestimmungen durchzusetzen. Eine davon ist die Global-Gateway-Initiative, die in den nächsten Jahren 10 Milliarden Euro für Länder in der Region zur Verfügung stellen wird, um die grüne Transformation und nachhaltige Infrastruktur zu fördern. Was Global Gateway betrifft, so sollte die EU potenzielle Investitionsprojekte in südostasiatischen Ländern nicht durch überzogene Bedingungen behindern. Da China sich als Investitionspartner für Südostasien anbietet und über Fragen des Arbeits- und Umweltschutzes hinwegsehen wird, besteht die Gefahr, dass die EU als realistische Option abgelehnt wird.

Unterstützung für europäische Unternehmen anbieten

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Europäische Kommission und die deutsche Regierung europäische und deutsche Unternehmen bei ihren Diversifizierungsbemühungen in Südostasien stärker unterstützen. Die Einführung günstiger Konditionen für die Übernahme von Investitionsversicherungen in Ländern mit hohem Diversifizierungspotenzial durch die deutsche Regierung im Oktober 2023 war ein vielversprechender Schritt. Eine stärkere politische Unterstützung für das Engagement europäischer Unternehmen in der ASEAN-Region sollte ebenfalls auf der Agenda stehen. Dies könnte eine deutliche Zunahme hochrangiger politischer Besuche in den ASEAN-Ländern und eine begleitende Präsenz von Wirtschaftsvertretern bei diesen Treffen beinhalten.

Die südostasiatischen Volkswirtschaften treten auf der internationalen Bühne immer selbstbewusster auf. Sie erwarten von der EU, dass sie einen egalitären partnerschaftlichen Ansatz verfolgt. Die südostasiatischen Gebiete haben wenig Geduld mit einer als arrogant empfundenen EU. Die EU wird in der Region nicht erfolgreich sein, wenn sie mit dem Finger auf andere zeigt und europäische Standards fordert. Stattdessen sind China und die USA unter den zahlreichen Ländern, die um Einfluss in der Region wetteifern. Europa läuft Gefahr, dabei auf der Strecke zu bleiben.

Dr. Denis Suarsana, Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Jakarta, Indonesien, ist der Autor. Der Inhalt stammt aus der Studie "De-risking, but where to?", die sich mit den Schwellenländern der ASEAN als Alternative zu China beschäftigt.

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Quelle: www.ntv.de

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