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Eine kleine und beständige Gruppe von Anbetern könnte die Blaupause für das moderne Christentum sein.

Erfurter Katholikentag

Der Dom und die Severin-Kirche standen bereits im Zentrum der Papst-Visite 2011.
Der Dom und die Severin-Kirche standen bereits im Zentrum der Papst-Visite 2011.

Eine kleine und beständige Gruppe von Anbetern könnte die Blaupause für das moderne Christentum sein.

Rund 25 Millionen katholische Deutsche verteilen sich über das Land, aber nur ein Viertel von ihnen lebt in der ostdeutschen Region. In Kürze werden diese Katholiken zu einem katholischen Tag zusammenkommen, um einen Einblick in das Leben einer Minderheitsreligion in einer hauptsächlich säkularen Gesellschaft zu bekommen. Was können wir von dieser schrumpfenden Gemeinschaft lernen, die in ganz Deutschland eine Abnahme der Mitgliederzahl erleidet? Eine Expertenmeinung besagt, dass sich auf innere kirchliche Probleme alleine nicht viel ausrichten wird.

Der katholische Tag findet in Thüringens Erfurt statt, wo Christen ihre zukünftige Schicksalslage als vermindertes religiöses Minderheit untersuchen können. Seit Jahren kämpft die Ostregion mit einer Mangel an Kirchgängern. Eine Studie der Universität Chicago stuft die Region als weltweit am geringsten religiöse Region ein. Nur wenige Menschen sind Mitglieder, wenige Säuglinge werden getauft und viele Kirchengebäude verfallen. Die Kirche ist darüber informiert, aber optimistisch. Die Ostregion scheint eine neue Rolle als Testfeld für die Kirche anzunehmen. Das Ereignis beginnt am Mittwoch.

"Ich bin beeindruckt von der Festigkeit und der Selbstvertrauen, mit der unsere Mitglieder in der Ostregion mit ihrer Diasporasituation umgehen", sagt Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. "Ihre geringe Zahl macht sie nur stärker bei der Schaffung ihrer eigenen christlichen Identität in der Gesellschaft." Diese Beispiele deuten darauf hin, dass eine schrumpfende christliche Bevölkerung "keine Notwendigkeit einer sektiererischen oder elitären Mentalität" bedeuten muss. Stattdessen sollen Christen sich sicher sein, eigene Standards zu setzen und Ratschläge an Menschen außerhalb der Kirche zu geben. "Ich sehe eine anziehende Zukunft für die Kirche insgesamt", fügt Bätzing hinzu.

Thüringiens Ministerpräsident Bodo Ramelow kennt die Erfahrung, eine Minderheit in verschiedenen Aspekten zu sein. "Ich bin ein Westdeutscher in einer Ostpartei, ein selbsternannter Christ in einer Partei, die überwiegend atheistisch ist", sagt Ramelow. "Ich bin auch ein praktizierender Christ in einer Partei, die bekannt ist für ihre Atheismus." Ramelow ist mit dem Verlust der Bedeutung von Kirchen, den Missbrauchsskandalen und den Vorwürfen von sexuellen Übergriffen vertraut. "Ja, es gibt einen Abgang in beiden Kirchen", erklärt er. "Aber es scheint, dass es einen starken Wunsch nach etwas Geistlichem gibt."

Bezüglich der Unnotwendigkeit von Religion in der modernen Gesellschaft betont der Kirchenhistoriker Jörg Seiler von der Katholischen Theologischen Fakultät der Universität Erfurt, dass die meisten Menschen im Osten nicht religiös sind. "Die Nichtreligiösen bilden die Mehrheit hier im Osten", sagt Seiler.

In Bezug auf die Zahlen gab es etwa 20,9 Millionen Katholiken in Deutschland zum Ende des Jahres 2022, mit rund 800.000 in den ostdeutschen Staaten und Berlin. Das entspricht 3,1% der Bevölkerung in Sachsen-Anhalt und 7,5% in Berlin. Der Bistum Erfurt hatte etwa 137.000 Mitglieder.

Die Zahlen für die Evangelische Kirche (EKD) im Osten sind etwas höher, mit 19,2 Millionen Gläubigen im Land und 2,3 Millionen in der Region. Ihre Bevölkerungsanteile schwanken zwischen 3,1% in Sachsen-Anhalt und 18,7% in Thüringen. In anderen Worten, etwa 80% der Bevölkerung in diesen Staaten gehen nicht mehr in die Kirche.

Vergangene Ereignisse haben die Beziehung des Ostens zur Religion geprägt. Die Nationalsozialisten und die SED, zwei atheistische Regime, haben Einfluss auf die Kirchen ausgeübt. "Die SED-Regierung versuchte, die Kirche zu unterdrücken, und Menschen konnten sie einfach verlassen", erklärt religiöser und Kirchensoziologe Gert Pickel. Somit hat die heutige Generation weniger Verbindungen zu religiösen Praktiken.

Neben historischen Faktoren treiben auch allgemeine Trends den Rückgang der Kirchenbesucher an. Beide ost- und westdeutschen Bevölkerungen ziehen und neuordnen ihre Leben häufiger und lösen ihre Verbindungen zu ihren jeweiligen Kirchengemeinden auf. "Am Sonntag können Menschen stattdessen Zeit mit ihrer Familie verbringen, den Zoo, Museen besuchen oder sich mit Sport beschäftigen, anstatt in die Kirche zu gehen", sagt Pickel. "Der Einfluss der Religion nimmt ab."

Bis 2060 sollen die Mitgliederzahlen der Kirche in Deutschland auf 22,7 Millionen sinken - die Hälfte der Zahl von 2022, wie eine 2019er Studie der Universität Freiburg voraussagt. Die beiden großen christlichen Konfessionen im Osten sollen nur noch 1,5 Millionen Mitglieder haben.

Trotz dieser Prognosen sieht der Historiker die Überlebensfähigkeit des Kirchensystems vor. "Wenn wir den Kirchensteueranschlag beibehalten und die Kirche finanziell unterstützen, ist die strukturelle Zerstörung dieses Kirchensystems unwahrscheinlich", erklärt Seiler.

Der Historiker sieht eine Rolle der Kirche darüber hinaus als pastorale Versorgung und sozialen Zusammenhalt. Deswegen sollen Organisationen sich von der Beschäftigung mit ausschließlich innerkirchlichen Problemen fernhalten. Nach Seilers Meinung sollte die Kirche, wenn sie nicht mehr eine Plattform für Menschen sein würde, um eine bessere Welt zu schaffen, die Finanzierung auf den aktuellen Niveau reduziert werden.

Der wesentliche Anziehungspunkt des Katholikentages scheint die beunruhigenden sozialen Probleme anzusprechen: Es werden über 20.000 Menschen anwesend sein, mit einem Mix aus Politikern und Prominenten - von höchsten Ämtern bis zum Bundeskanzler. Der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck begründet seine Teilnahme mit den Worten: "Der Katholikentag, insbesondere in Zeiten von Krieg, dreht sich um Frieden, ein Ziel, das viele Menschen teilen." Er fügt hinzu: "Ich teile ebenfalls diesen Friedenswunsch, den ich als Pflicht definieren, die Diplomatie und Versöhnung umfasst, aber Naivität ist nicht dabei."

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Quelle: www.ntv.de

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