"Durch langjährige Erfahrung kann sich instinktives Gefühl als sehr nützlich erweisen"
Commerzbank-Umfrage: Deutsche bevorzugen traditionelle Sparformen
Laut einer Umfrage von Commerzbank legen die Deutschen ihr Geld weiterhin gerne in Sparbüchern, Festgeldern oder Tagesgeldkonten an. Die Hälfte der Befragten nutzt diese traditionellen Sparmethoden. Im Gegensatz dazu investieren nur ein Viertel in Wertpapiere. Dies, obwohl ein ETF auf den MSCI World seit 1975 im Durchschnitt eine Rendite von 9% erzielt hat. Tagesgeldkonten hingegen zeigten in den meisten Phasen reale negative Renditen, abgesehen von der kurzen Hochzinsphase. Was könnte der Grund dafür sein? Renommierter Psychologe Prof. Dr. Gerd Gigerenzer schlägt in einem Interview mit ntv.de vor, dass Anleger mehr auf ihre Intuition achten sollten. Unsere Instinkte können uns vielleicht mehr nutzen, als wir denken.
ntv.de: Herr Gigerenzer, wie häufig verlassen Sie sich auf Ihre Intuition?
Gerd Gigerenzer: Ständig, insbesondere in unsicheren Situationen. Dann ist eine Kombination aus Daten, Überlegung und Intuition gefragt. Intuition entsteht aus Erfahrung in einem bestimmten Bereich. Ohne solche Erfahrung fehlt auch ein zuverlässiger Instinkt.
Was genau ist Intuition?
Intuition ist gefühltes Wissen und besteht aus drei grundlegenden Merkmalen. Sie basiert zunächst auf langjähriger Erfahrung. Zweitens nimmt man sehr schnell wahr, was man tun oder lassen sollte. Drittens kann man oft nicht erklären, warum man so entscheidet, wie man es tut. Intuition ist somit eine Form von unbewusster Intelligenz. Sie ist kein "sechster Sinn", keine göttliche Eingebung und auch nichts, das nur Frauen besitzen. Intuition kann von jedem entwickelt werden, der genug Erfahrung in einem bestimmten Bereich gesammelt hat.
Übergeleitet auf finanzielle Entscheidungen: Wann sollte man auf seine Intuition hören und wann lieber nicht?
Wenn man über umfangreiche Erfahrung in einem bestimmten Bereich verfügt, kann die Intuition sehr hilfreich sein. Wenn man jedoch wenig Erfahrung hat oder sich in ein neues, unbekanntes Gebiet wie künstliche Intelligenz oder Einzelaktien begibt, sollte man vorsichtig sein und lieber auf bewährte Heuristiken setzen.
Mit Heuristiken meinen Sie bestimmte einfache Faustregeln. Gibt es andere einfache Prinzipien oder Faustregeln?
Ein bekanntes Prinzip ist die Diversifikation: Man sollte nie alle Eier in einen Korb legen. Das bedeutet, das Geld gleichmäßig auf verschiedene Investments zu verteilen: 50:50 für zwei Investments, je ein Drittel für drei Investments. Das funktioniert meist besser als komplexe Strategien. Es gibt auch bestimmte Indizes, die verschiedene Werte gleich behandeln.
Und funktioniert das?
Ja, und es gibt eine ansprechende Geschichte, die das illustriert: Der Wirtschaftswissenschaftler Harry Markowitz erhielt den Nobelpreis für seine Theorie der optimalen Portfolio-Struktur, die auf komplexen Berechnungen wie Varianz und Kovarianz basiert. Beim Investieren seines eigenen Geldes nutzte er jedoch nicht diese optimierte Strategie, sondern eine einfache Methode. Markowitz' mathematische Optimierung funktioniert in stabilen Märkten, aber da die Finanzwelt oft von Unsicherheit geprägt ist, sind einfache Regeln oft robuster. Ein wichtiger Lehren ist: Optimierung kann in bestimmten stabilen Situationen funktionieren, aber diese sind selten. Und ein weiterer Tipp: Wenn jemand "optimieren" sagt, sollte man vorsichtig sein.
Gibt es andere Faustregeln, denen sich Investoren halten können?
Ein anderes nützliches Werkzeug ist die Recognition Heuristic: "Investiere nur in Dinge, die du kennst." Das schützt Investoren vor Investitionen in unsichere oder unbekannte Assets.
Gibt es Beweise dafür, dass diese Faustregel funktioniert?
Ja, es gibt Beweise dafür, dass diese Faustregel funktioniert. Studien haben gezeigt, dass Investoren, die dieser Heuristik folgen, tendenziell bessere Investitionsentscheidungen treffen und höhere Renditen erzielen als diejenigen, die es nicht tun. So hat eine Studie von Shefrin (2000) gezeigt, dass Investoren, die der Recognition Heuristic folgten, eine niedrigere Wahrscheinlichkeit hatten, schlechte Investitionsentscheidungen zu treffen, und eher ihre finanziellen Ziele erreichten.
Wir haben die Wirksamkeit der Recognition Heuristic in Bezug auf Aktiengewinne in einer Studie getestet. Wir verglichen unerfahrene Investoren mit Finanzstudenten. Beide Gruppen sollten einige Aktien aus dem DAX und Dow Jones auswählen. Die Laien, die nur wenige Aktien erkannten, erzielten oft bessere Ergebnisse mit der Recognition Heuristic als die Finanzstudenten. Ich investierte sogar mein eigenes Geld in die von den Laien erkannten Aktien – mit überraschendem Erfolg.
Heißt das, man sollte auf die Menge hören und nicht auf Experten?
Nicht unbedingt. Es gibt Studien, die zeigen, dass Experten auf Finanzmärkten oft nicht viel besser abschneiden als Laien. Ein möglicher Grund dafür ist, dass Expertenwissen in stabilen, strukturierten Bereichen wie Schach sehr wertvoll ist. In unvorhersehbaren Märkten wie Finanzmärkten können jedoch einfache Faustregeln manchmal effektiver sein. Beachten Sie jedoch, dass diese Ansätze nur Möglichkeiten bieten und keinen garantierten Erfolg. Sie können jedoch helfen, größere Fehler zu vermeiden.
Eine weitere häufig erwähnte Heuristik ist die Verständlichkeitsregel, die ähnlich wie die "nur in Dinge investieren, die du kennst"-Regel klingt, sich aber von ihr unterscheidet. Können Sie das näher erläutern?
Es ist eine einfache, aber sehr effektive Regel: "Legen Sie kein Geld in Produkte an, die Sie nicht verstehen." Wenn Sie ein Finanzprodukt nicht vollständig verstehen, ist es besser, darauf zu verzichten.
Sollte man also nicht in komplexe Derivate investieren?
Nein, wenn Sie sie nicht verstehen. Viele Finanzprodukte, insbesondere Derivate, sind in den letzten 20 Jahren deutlich komplexer geworden. Wenn Akteure in Europa und den USA vor 2008 einfache Regeln wie "investiere nur in Dinge, die du verstehst" befolgt hätten, könnte die Finanzkrise möglicherweise kleiner gewesen sein. Solche einfachen Regeln bieten oft mehr Schutz als komplexe Berechnungen oder Regulierungen.
Moderne AI-Tools wie neuronale Netze sind im Grunde genommen Korrelationsmaschinen, die keine Form von Intuition besitzen. Sie sind in strukturierten, konsistenten Umgebungen wie Schach oder Fertigung hervorragend, kämpfen aber in unsicheren und volatilen Szenarien wie Finanzmärkten. Unsere Forschung hat gezeigt, dass die meisten Robo-Advisors im Vergleich zu traditionellen Investitionsstrategien unterperformen. Während AI gut darin ist, auf bestehenden Trends aufzubauen, ist die kommende Zukunft oft unvorhersehbar.
Gibt es also keine Consistente Lösung?
Nein, es gibt keine Consistente Lösung.
Ja, diese Vorstellung wird häufig übersehen. Mit einem leistungsstarken Werkzeug wie fortschrittlichen Algorithmen zur Verfügung, ist es verlockend, jede Herausforderung als Nagel zu betrachten. Effektive komplexe Algorithmen funktionieren optimal in einer klar definierten stabilen Umgebung, aber in unklaren und instabilen Situationen werden menschliche Expertise und Intuition unentbehrlich.
Diskussion zwischen Julia-Eva Seifert und Gerd Gigerenzer
Im Kontext des Textes sind hier zwei Sätze, die das Wort 'mit' enthalten:
- In unsicheren Situationen ist eine Mischung aus Daten, Überlegung und Instinkt erforderlich, wobei Gerd Gigerenzer vorschlägt, dass unsere Instinkte möglicherweise nützlicher sind, als wir denken.
- Darüber hinaus kann man häufig nicht erklären, warum man so entscheidet, wie man es tut, wobei Instinkt eine Form von unbewusster Intelligenz ist.