Operette - Die Wiener Volksoper verarbeitet ihre NS-Vergangenheit
Die Wiener Volksoper bringt eine ungewöhnliche Oper mit ungewöhnlichem Zweck auf die Bühne. Mit einem neuen Werk, „Lasst uns die Welt vergessen – Volksoper 1938“, setzt sich das Traditionshaus mit seiner NS-Vergangenheit auseinander und erinnert an Künstler, die aufgrund ihrer jüdischen Abstammung deportiert oder ermordet wurden. Das Werk, das seine Energie aus der Spannung zwischen der heileren Welt der Operette und der Brutalität der Geschichte schöpft, erhielt bei seiner Uraufführung am Donnerstagabend lang anhaltende Ovationen.
Der niederländische Regisseur Theu Boermans strukturierte sein Drama innerhalb eines Dramas rund um eine der letzten Operettenproduktionen, die 1938, kurz vor dem sogenannten Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland, an der Volksoper aufgeführt wurde.
Das Werk trägt den Titel Grüße und Küsse aus der Wachau und wurde von der Komponistin Jara Benis komponiert. Bormans bezieht das Publikum in die Probe dieser unbeschwerten Ehe- und Liebesgeschichte ein und in die vielfältigen Reaktionen, die der Nationalsozialismus bei den Künstlern der Volksoper hervorrief – von Begeisterung und Gefolgschaft bis hin zur Angst vor der Flucht oder Deportation jüdischer Kollegen.
„Das ist erstaunlich – und schockierend“
Keren Kagarlitsky aus Israel kombiniert einige Jazzmelodien von Jara Benes mit ihrer eigenen Musik und Werken von Schönberg und Mahler. Durch die Kombination entsteht ein neues Werk „Let Us Forget the World“, das als Komponistin und Dirigentin musikalische Kontraste schafft. Filmaufnahmen von Hitlers Einmarsch in Wien und in Konzentrationslagern verschärfen die Spannung zwischen der Operette und den Schrecken der Nazizeit zusätzlich.
Lott de Beer, Direktor der Volksoper, sagte, das Operettengenre sei „fast perfekt“ an die heutige Zeit angepasst, in der Themen wie Krieg, Epidemien und Umwelt im Mittelpunkt stünden. „Es ist therapeutisch, dass wir gemeinsam über die unmöglichen Dinge lachen, die draußen passieren“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur.
Das Publikum ist berührt vom Schicksal des verfolgten Künstlers, wie ihn seine zeitgenössischen Kollegen schildern. Im Saal sind auch einige Nachkommen vertriebener Volksopernkünstler, darunter der Dirigent Kurt Herbert Adler, der in „Lasst uns die Welt vergessen“ eine wichtige Rolle spielte. Sein Sohn, der deutsche Opernimpresario Robert Adler, war nach dem Schlussapplaus sichtlich berührt von dem Werk. „Es war brillant gemacht und schockierend“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa.
Kurt Herbert Adler gelang die Flucht in die USA, wo er jahrzehntelang die San Francisco Opera leitete. Allerdings wurde Fritz Lohner-Bedda, einer der Textdichter von „Grüße und Küsse aus der Wachau“, deportiert. Heute ist er nicht nur als Librettist von Lehars Operette „Das Land des Lächelns“ bekannt, sondern auch als Texter des „Buchenwaldliedes“, das er im gleichnamigen Konzentrationslager komponierte. 1942 wurde er in Auschwitz ermordet.
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Quelle: www.stern.de