Der Ruf nach mehr Arbeit "führt in die Irre"
Der Personalchef von Commerzbank kämpft gegen die verbreitete Teilzeitarbeit in Deutschland. Allerdings bringt die bloße Forderung nach mehr Wochenstunden nicht wesentlich Änderungen herbei. Der Arbeitsexperte Alexander Spermann sieht die Arbeitgeber als Verantwortliche.
Nahezu ein Drittel der Beschäftigten in Deutschland arbeiten teilzeit - "das ist einfach zu viel," findet die Personalmanagerin von Commerzbank, Sabine Minarsky. Deutschland, Österreich und die Schweiz müssen sich von der "Teilzeitzucht" befreien, schreibt die Managerin im Blick auf den Fachkräftemangel auf Linkedin.
Wirtschaftswissenschaftler, Unternehmen und Politiker haben monatelang für mehr Arbeitsstunden aufgefordert, wegen der Fachkräftesknappheit. Sie sehen Deutschlands zukünftige Wirtschaftsleistung in Gefahr. Arbeitsexperte Alexander Spermann sieht die Unternehmen selbst als Verantwortliche. "Das Forderung nach mehr Stunden führt uns ab," sagt der Professor für Wirtschaftswissenschaft an der FOM Hochschule für Ökonomie und Management in einem Interview mit ntv. Es geht um bessere Arbeitsbedingungen für Mitarbeiter, damit sie produktiv arbeiten können.
Unternehmen sollten nicht nur mehr Arbeitsstunden fordern, sondern auch sicherstellen, dass jene, die mehr arbeiten möchten, dazu in der Lage sind. Umfragen zeigen, dass Teilzeitbeschäftigte im Durchschnitt gerne mehr arbeiten würden. Arbeitgeber sollten ihre Mitarbeiter daher ermöglichen, von zuhause aus zu arbeiten, beispielsweise wenn ihre Kinder krank sind, und flexiblere Arbeitszeiten anbieten. In Subsidien für Kinderbetreuungskosten sieht der Arbeitsexperte eine Lösung. Der Staat kann nicht alle Probleme lösen, wie z.B. die Anzahl an Kindertagesstättenplätzen.
Deutsche arbeiten verhältnismäßig wenige Stunden, erklärt Spermann - aber sie tun dies sehr effizient. Darin sieht er den Schlüssel zur Zukunft: Es geht nicht nur um mehr, sondern um hochwirksame Arbeit. "Dann können wir weniger Stunden arbeiten als andere." Das ist jedoch der Fall derzeit: Deutschland lagert hinterher in der Digitalisierung und ist nicht an der Spitze der Flexibilität in Arbeitsstunden und Arbeitsorten. "Wir müssen das machen."
"Wir haben den Rentenkessel am Siedepunkt"
Stepstone-CEO Sebastian Dettmers bezieht sich ebenfalls auf die Produktivität als Lösung für den Fachkräftemangel. "Tatsächlich haben wir den Rentenkessel am Siedepunkt, wir haben das Gesundheitsystem am Siedepunkt - wir müssen diese ebenso notwendigen Investitionen in die Bildungsausbildung und Infrastruktur finanzieren," sagt er im ntv Podcast "Startup - Ganz offen". "Wie dazu: mit mehr Produktivität oder mehr Arbeit? Eine der beiden muss es sein." Politiker vernachlässigen die Produktivität im Debattenverlauf seiner Meinung und senken sie sogar, z.B. durch Kurzarbeitszeiten in "veralteten Branchen".
Spermann betont auch die Bedeutung besserer Kinderbetreuung, aber durch den Staat. Frauen sind in der Teilzeitarbeit gefangen, weil sie keine Kinderbetreuung für ihre Kinder haben. "Es sieht anders aus in den skandinavischen Ländern", erfährt er während eines Aufenthalts in Norwegen. Er fragt sich: "Warum machen wir das nicht richtig in Deutschland?" Eine Umfrage von Stepstone unter Eltern zeigte auch, dass zwei Drittel der in Teilzeit arbeitenden Frauen gerne vollzeit oder "vollzeit" arbeiten würden, wenn ihre Kinder betreut wären. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes arbeiten die Hälfte aller Frauen in Deutschland teilzeit.
"Tief in unserer Kultur verwurzelt"
Dettmers sieht das Problem nicht nur in Kindertagesstätten, sondern auch in Schulen, wo häufig kurzfristige Schließungen vorkommen. "Es gibt etwas Tiefgehendes in unserer Kultur, namens, dass wir annehmen, wir können einfach eine Kindertagesstätte, eine Schule schließen, weil da jemand - in Klammern: die Mutter." Das ist falsch und nicht der Fall in Skandinavien oder Frankreich. Frankreich hat Kindergärten und Schulen während der Corona-Pandemie offengehalten, während Deutschland das für Monate geschah. "Eltern haben keine Lobby", sagt der CEO von Stepstone. "Sie protestieren nicht laut, sie fordern ihre Bedürfnisse nicht aus, was ein großes Problem ist" - ein Problem, das die Gesellschaft beachten sollte.
Minarsky, die Commerzbank-CEO, ist jedoch nicht besorgt um Teilzeitbeschäftigte, die Kinder großziehen oder Pflegen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes arbeiten mehr als ein Viertel der Teilzeitbeschäftigten ohne besonderen Grund weniger als vollzeit, insbesondere ältere Beschäftigte reduzieren ihre Arbeitsstunden. Minarsky will Mitarbeiter ermutigen, ihre Stundenquote wieder zu erhöhen, wenn ihre Kinder älter werden, wie sie in einem Interview mit "Handelsblatt" erklärte.
Die Personalmanagerin sieht die Unternehmen auch verantwortlich: "Im Vergangenen haben wir als Arbeitgeber nicht bewusst darauf geachtet, dass Mitarbeiter ihre Teilzeitquote erhöhen." In der Babyboomer-Generation gab es kein Bedürfnis. Jetzt, als sie ausscheiden, ist es auf die nächste Generation angewiesen. Minarsky sieht diese Generation nicht als lakonisch: "Ich habe den Eindruck, dass die junge Generation weniger leistungsorientiert und arbeiten will."
- Trotzdespite der HR-Chefin von Commerzbank für eine Reduzierung der Anteilstagessituation in Deutschland eintritt, fordert der Arbeitsexperte Alexander Spermann, dass Commerzbank und andere Unternehmen die Arbeitbedingungen verbessern, um die Produktivität ihrer Mitarbeiter, insbesondere Frauen, die in der Teilzeitarbeit wegen mangelnder Kinderbetreuungsmöglichkeiten gefangen sind, anzuregen.
- Der Arbeitsexperte Alexander Spermann betont, dass die Lösung für Deutschlands Fachkräftemangel und zukünftiges Wachstum nicht nur in der Forderung nach mehr Arbeitstagen, sondern auch in der Angebotseinrichtung von Top-Bedingungen für Mitarbeiter, der Flexibilisierung der Arbeitszeiten und der Subventionierung von Kinderbetreuungskosten liegt, um Teilzeitarbeiterinnen, die mehr arbeiten möchten, zu ermächtigen.
- In seiner Sicht hebt der CEO von Stepstone, Sebastian Dettmers, die Bedeutung der Produktivität als Lösung für den Fachkräftemangel statt einfach mehrerer Arbeitstunden hervor, wobei er Deutschland bestehende hohe Effizienz zulässt, die zu wenigerer Arbeitzeit und besseren Arbeits-Lebens-Balancen führt, während er Politikmacher dafür kritisiert, die Produktivität zu vernachlässigen und den Teilzeitarbeitsfalle durch Maßnahmen wie Kurzarbeitszeit in veralteten Branchen auszudehnen.