Der Sozialausschuss der LmDR: «Ruhestand war gestern, malochen bis zum Tode ist heute das Schicksal von immer mehr Rentnerinnen und Rentnern.»
Eine wachsende Zahl von Seniorenkommt mit ihrer Rente nicht mehraus: Im Jahr 2010 gingen rund 660.000 Menschen im Alter zwischen 65 und 74 Jahren einer geringfügigen Beschäftgung oder einem Minijob nach. Dies sind 244.000 mehr als im Jahr 2000, was einem Anstieg um 58,6 Prozent entspricht. Etwa 3,5 Prozent der insgesamt etwa 20 Millionen Rentner verdienten sich also etwas dazu.
Auch die Zahl der alten Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, ist gestiegen: 400.000 über 65-Jährige erhielten 2009 die staatliche Grundsicherung im Alter, 2003 waren es nur 258.000, 2006 waren es rund 343.000 Personen. 2012 waren es dann mit 465.000 Personen 6,6 Prozent mehr als im Jahr zuvor. 2,7 Prozent der Rentner waren 2012 auf Grundsicherung angewiesen – der höchste Wert seit Einführung der Grundsicherung 2003.
Deutsche aus Russland sind von dieser Entwicklung in besonderer Weise betroffen. Sie mussten in den letzten Jahren bedeutende Rentenänderungen hinnehmen,die ihnen nur Nachteile einbrachten. Änderungen wie z.B. der § 1 des Fremdrentengesetzes brachten es mit sich, dass Ehegatten und Abkömmlinge von Spätaussiedlern mit § 7 aus dem Rentenbezug filen, da nur der Rente erhält, der in eigener Person als Vertriebener, Aussiedler oder Spätaussiedler anerkannt ist. Die mit dem Gesetz zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Rentenund Unfallversicherung (Renten-Überleitungsgesetz) begonnene Absenkung der Tabellenwerte, mit der die Eingliederung in strukturschwache Gebiete simuliert warden sollte, verstärkte die negative Entwicklung für Deutsche aus Russland erheblich.
Für alle Arbeitszeiten, die im Vertreibungsgebiet geleistet wurden, werden nur noch 60% der Entgeltpunkte anerkannt. Das betrif tlle Aussiedler, die nicht vor dem 1. Oktober 1996 in Rente gehen konnten. Der Zeitpunkt des Zuzugs spielt im Unterschied zur Reform von 1992 keine Rolle mehr. Alle nach § 16 Fremdrentengesetz (FRG) erzielten Beschäftgungszeiten warden künftg erst ab dem 17. Lebensjahr berücksichtigt. Nach § 15 FRG erworbene Zeiten sind davon nicht betroffn. Schul‑, Fach- und Hochschulzeiten, die nach dem 17. Lebensjahr liegen, warden nur noch bis zu einer Gesamtdauer von drei Jahren anerkannt, wobei ein Abschluss nicht mehr erforderlich ist.
Die Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit und Krankheit ohne Beitragszahlung werden in Berücksichtigungszeiten umgewandelt. Sie sind nur noch für die Wartezeiterfüllung wichtig, werden bei der Rentenberechnung ausgeschlossen und wirken sich nur bedingt auf die Höhe der Rente aus. Zeiten der Arbeitslosigkeit und Krankheit mit Leistungsbezug, in denen also der Betroffne Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Krankengeld erhalten hat, gehen weiterhin in die Rentenberechnung ein. Wie sich die genannten Benachteiligungen in der Praxis auswirken, wollen wir an einigen realen Fällen illustrieren:
Kürzung der ermittelten Entgeltpunkte um 40%:
Fallbeispiel 1:
Anna M. reiste 1991 in die Bundesrepublik als Aussiedlerin ein. In der ehemaligen Sowjetunion hatte sie 30 Jahre lang gearbeitet, nach der Einreise arbeitete sie von 1991 bis 2004 und leistete Beiträge für die Rentenkasse. Bei ihrem Eintritt in den Ruhestand konnte sie also auf 43 rentenzeitrelevante Jahre zurückblicken, bekam aber eine Altersrente in Höhe von nur 731 Euro – angesichts ihrer zurückgelegten Zeiten als Pflgerin bzw. Pflgehelferin nur sehr wenig, zu wenig, um ein Leben ohne Unterstützung der Sozialträger führen zu können. Der niedrige Betrag ist auf die Kürzung der Entgeltpunkte um 40% zurückzuführen sowie auf die Kürzung der Tabellenwerte (fitive Beiträge) um ein Sechstel, weil sie vom zuständigen Archiv in Kasachstan die erforderlichen Nachweise für ihre ganzjährige Tätigkeit nicht bekommt.
Fallbeispiel 2:
Waldemar H. kam 1987 als Aussiedler in die Bundesrepublik. Insgesamt legte er 49 Jahre rentenzeitrelevanter Arbeitszeiten zurück, 32 Jahre in der ehemaligen Sowjetunion und 17 Jahre in Deutschland. In diesen 49 Jahren leistete er zum Teil Schwerstarbeit unter Kommandantur, zum Teil war er als hoch qualifiierter Angestellter beschäftgt. Seit 2004 ist Waldemar H. Rentner und bekommt eine Altersrente von 941 Euro. Diese Rente ist nicht ausreichend, um den täglichen Lebensunterhalt zu bestreiten und liegt sogar unter dem Pfändungsfreibetrag.
Zusätzliche Kürzung der um 40% gekürzten Entgeltpunkte auf 40 pro Ehepaar:
Fallbeispiel 3:
Anita und Peter S. reisten 2000 als Spätaussiedler im Rentenalter nach Deutschland aus. Beide hatten in der ehemaligen Sowjetunion über 50 rentenzeitrelevante Jahre zurückgelegt. Ihre Altersrente wurde zusätzlich zur Kürzung um 40 Prozent auf zusammen 40 Entgeltpunkte gekürzt (Peter S. hatte 36 Entgeltpunkte erworben, Anita S. 31). Die als Nettobetrag ausbezahlte Rente beträgt jeweils 477 Euro, insgesamt sind es also 954 Euro. Die Familie ist auf Wohngeld und weitere Sozialleistungen angewiesen.
Kürzung der Witwenrente auf 25 Entgeltpunkte:
Fallbeispiel 4:
Ottilie K. reiste 1996 als Spätaussiedlerin im Rentenalter nach Deutschland aus. Ihr Ehemann, deutscher Volkszugehöriger wie sie, erlebte die Aussiedlung nach Deutschland nicht. Ottilie K. erhielt eine eigene Altersrente in Höhe von 23 Entgeltpunkten, umgerechnet 498 Euro. Für ihren verstorbenen Ehemann wurde ihr eine große Witwenrente zuerkannt; für seine über 45 rentenzeitrelevanten Jahre wurden 29 Entgeltpunkte ermittelt. Von diesen 29 Entgeltpunkten, die ohnehin bereits um 40% gekürzt wurden, kommen jedoch wegen der weiteren Kürzung auf insgesamt 25 Entgeltpunkte gerade einmal 2 Entgeltpunkte (25 Entgeltpunkte minus 23 Entgeltpunkte aus eigener Altersrente) zur Auszahlung, so dass ihre Witwenrente monatlich lediglich 7 Euro beträgt. Ottilie K. ist damit trotz des Bezuges einer Altersrente auf Wohngeld und andere Sozialleistungen angewiesen.
Es ist gewiss richtig, dass die Rentenhöhe allein nicht geeignet ist, letztgültige Aussagen über Altersarmut zu treffn. In vielen Fällen wird, wie die SPD in ihrer Antwort auf die Prüfsteine der Landsmannschaf der Deutschen ausgeführt hat (siehe Seite 29 dieser Ausgabe), die gesetzliche Rente „durch zusätzliche Altersvorsorge im Bereich der betrieblichen und / oder privaten Vorsorge, Immobilien, Ersparnisse sowie Alterseinkommen weiterer Familienmitglieder“ ergänzt. Das mag im Normalfall, sprich für die Mehrheit der einheimischen Rentner, zutreffn. Nicht jedoch für Deutsche aus Russland, die als Spätaussiedler spät nach Deutschland gekommen sind. Denn: Die Nichtfremdrentenbezüge der Deutschen aus Russland orientieren sich an Beitragsleistungen aus Beschäftgungsverhältnissen unterhalb des Qualifiationsniveaus. • Bei vielen Deutschen aus Russland fehlt insbesondere aufgrund der späten Ausreise die zusätzliche Altersvorsorge im Bereich der betrieblichen und / oder privaten Vorsorge, sprich Ersparnisse. Immobilie
n sind bei vielen Deutschen aus Russland, die genug damit zu hatten, über die Runden zu kommen, eher seltener anzutreffn. Und natürlich können Deutsche aus Russland in vielen Fällen nicht auf die Alterseinkommen von Familienangehörigen bauen, die nach §7 oder §8 gekommen sind und über äußerst geringe Alterseinkommen verfügen.
Fazit:
Die Gefahr, in der Altersarmut zu landen, wird für Deutsche aus Russland aufgrund fehlender Rettungsanker (Ersparnisse, Immobilien, zahlungskräftge Familienangehörige) zusätzlich verstärkt.
Höchste Zeit also für die politisch Verantwortlichen in der Bundesrepublik, auch in diesem Bereich Willkommenskultur zu zeigen.
Wie sich eine Kürzung auswirkt, bestimmt die Anwendung des § 262 SGB VI in Verbindung mit § 22 Abs. 4 FRG. Die Anwendung des § 262 kann sich in Fällen, in denen der Durchschnittswert von 0,0625 Entgeltpunkten nicht erreicht wird, positiv auswirken. Diese werden dann durch zusätzliche Entgeltpunkte auf 0,0625 aufgewertet. Bei Betroffnen jedoch, die im Bundesgebiet noch mehrere Jahre sozialversicherungspflchtig gearbeitet und häufi in mehreren Jahren erheblich höhere Entgeltpunkte als 0,0625 Punkte pro Monat erwirtschaftt haben, werden durch die Anwendung des § 262 die Bezüge auf den Durchschnittswert von 0,0625 gekürzt. Wesentlich betroffn sind Beschäftgte, die in einem Alter von um die 40 zugezogen sind, in Deutschland entsprechend langjährig beschäftgt waren und in aller Regel davon ausgegangen sind, dass sie durch entsprechend flißige Arbeit die Absenkung ihres Fremdrentenanspruches kompensieren könnten. Wie man jedoch den o.g. Ausführungen entnehmen kann, ist das Gegenteil der Fall. Nimmt man alle Benachteiligungen zusammen, müssen unsere Rentner mit Kürzungen von bis zu 55 Prozent rechnen. Dadurch müssen viele Deutsche aus Russland damit rechnen, in die Altersarmut abzugleiten. Die LmDR hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, auf die steigende Altersarmut in Deutschland, von der in besonderem und enorm steigenden Ausmaß auch die Deutschen aus Russland betroffn sind, hinzuweisen und sie bei allen Parteien zur Sprache zu bringen. Wir sind der Meinung, dass unseren Landsleute ein Sozialabkommen mit der Russischen Föderation künftg Erleichterungen bringen würde.
Für diejenigen Landsleute aber, die bereits jetzt Rente beziehen, müssen andere Lösungen gefunden werden, um sie vor Altersarmut zu bewahren.
Lösungsvorschläge der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland:
• Festhalten am Generationenvertrag
• Weg vom Argument der Sozialverträglichkeit und Stützung des Eingliederungsgedankens nach dem Kriegsfolgenbereinigungsgesetz (Kfb), d.h. Festigung der Integration in das Gemeinwesen.
• Weg mit der Kürzung der Rente um 40%, da die Betroffnen selbst bei einer Lebensarbeitszeit von 45 Jahren größ-tenteils unter das Existenzminimum fallen und Grundsicherung beantragen müssen, damit sie ihr Überleben garantieren können,
• Bei der Kürzung der Rente um ein Sechstel wird von den Beteiligten umfangreiches Material zum Nachweis von früheren Tätigkeiten verlangt, was sie nicht leisten können und eine komplette Überforderung in ihrer persönlichen Situation darstellt. Deshalb: Aufhebung der Ein-Sechstel-Kürzung. Damit wäre auch die Beweislast für die Betroffnen vom Tisch.
• Keine Beantragung der Rente aus Russland verlangen, da es hierfür an einem Sozialabkommen bzw. an eindeutigen Gesetzesgrundlagen fehlt. Mit den Herkunftländern wären daher entsprechende Sozialabkommen wünschenswert.
• Keine Zwangsverrentung durch die Sozialbehörde. Diese zieht nämlich eine weitere Kürzung nach sich,da pro Monat der frühzeitigen Inanspruchnahme der Rente 0,03% weniger bezahlt wird. Dies kann, je nachdem wie lange man früher in Rente geht, eine Kürzung von bis zu 18% nach sich ziehen, und dies auf Dauer. Davon ist auch die einheimische Bevölkerung betroffn und nicht nur Spätaussiedler.