- Wie groß ist die islamistische Terrorbedrohung in Deutschland?
Junge Islamisten, die von radikalen Predigern im Internet zur Durchführung terroristischer Anschläge inspiriert werden, sind für Sicherheitsbehörden oft schwer zu erkennen. Das gilt auch in Österreich, wo drei Konzerte der Pop-Sängerin Taylor Swift nach einer spezifischen Warnung abgesagt wurden, sowie in Deutschland. Oft sind nur auffällige Aussagen in Chats, Bestellungen von verdächtigem Material oder Online-Übertragungen an islamistische Gruppen die einzigen Hinweise.
Wie hoch ist die Bedrohungslage in Deutschland?
Relativ hoch. Das zeigt sich unter anderem an den Anstrengungen der Sicherheitsbehörden während der Fußball-EM dieses Sommers. "Das Risiko von jihadistischen Anschlägen ist so hoch wie lange nicht", sagte Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der Deutschen Presse-Agentur im Juni. Sicherheitsbehörden verarbeiten zunehmend relevante Hinweise.
Was bedeutet die "abstrakt hohe" Bedrohung, die immer wieder genannt wird?
Das bedeutet, dass es in Deutschland viele Menschen gibt, von denen angenommen wird, dass sie aus politisch-religiöser Überzeugung einen Terroranschlag versuchen könnten. Es bedeutet nicht, dass Pläne bekannt sind, wo Mittel und Ziel bereits bekannt sind. Wenn Sicherheitsbehörden jedoch in einem spezifischen Fall ein hohes Risiko sehen, greifen sie auch ein, wenn noch einzelne Elemente eines möglichen Plans fehlen.
Unter den jüngsten islamistischen Terroranschlägen, die nicht verhindert werden konnten, wird der Messerangriff auf einen 35-jährigen Passanten durch einen 27-Jährigen in Duisburg im April 2023 gezählt. Neun Tage später erstach er vier Besucher in einem Fitnessstudio.
Auch bei dem tödlichen Messerangriff in Mannheim, bei dem ein 25-jähriger Afghaner fünf Männer mit einem Messer am Ende Mai verletzte, soll ein religiöser Hintergrund eine Rolle gespielt haben. Einer von ihnen, der 29-jährige Polizeibeamte Rouven Laur, starb zwei Tage später an seinen Verletzungen.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz behält auch mehrere Moscheen im Auge, in denen Prediger gegen angebliche Ungläubige hetzen. Verbotsverfügungen werden hier immer wieder erlassen. So verbot beispielsweise das Bundesland Niedersachsen im Juni die deutschesprachige Muslimische Gemeinde (DMG) in Braunschweig.
Salafismus ist eine rückwärtsgewandte, extrem konservative Strömung des Islam. Seine Anhänger sehen sich als Champions eines unverfälschten Islam, lehnen Reformen ab und wollen den Staat, die Rechtsordnung und die Gesellschaft nach ihrem Regelwerk transformieren. Das Ziel ist die Errichtung eines islamischen "Kalifats".
Was bringen Verbote?
"Wir dulden keine Vereine, in denen angebliche Ungläubige, Frauen oder Juden sowie unsere gesellschaftliche Ordnung als Ganzes regelmäßig abgewertet und zum Kampf aufgerufen werden", erklärte die niedersächsische Innenministerin Daniela Behrens (SPD) zum Zeitpunkt des DMG-Verbots. Um das Verbot durchzusetzen, wurden insgesamt acht Objekte in Braunschweig und Berlin durchsucht.
Allerdings gibt es immer wieder junge Terrorismusverdächtige, die noch nie einen Fuß in eine salafistische Moschee gesetzt haben, sondern nur von sogenannten TikTok-Predigern beeinflusst werden.
Zu diesen Predigern, von denen einige mit bestimmten Moscheen verbunden sind und ihr Publikum im gesamten deutschsprachigen Raum finden, gehört Ahmed A., bekannt als Abul Baraa, der in Berlin ansässig ist. Nach dem DMG-Verbot, bei dem seine Räumlichkeiten durchsucht und viele seiner Videos aus dem Internet gelöscht wurden, soll er seine Rhetorik gemäßigt haben, wie Informationen der Deutschen Presse-Agentur berichten. Der bekannte salafistische Prediger besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft.
Wie viel Überwachung ist erlaubt?
Besonders schwer zu erkennen sind junge Islamisten, die unter dem Einfluss salafistischer Prediger radikalisiert werden und Terroristen, die ihren Inhalt ausschließlich im Internet, insbesondere über soziale Medien, verbreiten. Für die Sicherheitsbehörden ist es oft schwierig, frühzeitig Indizien zu finden, teilweise wegen der hohen Hürden für die Telekommunikationsüberwachung in Deutschland.
Oft kommt der erste Hinweis von einem Tipp einer US-Geheimdienstbehörde, wie Sympathiebekundungen für die Terrororganisationen Islamischer Staat (IS) oder Al-Qaida. Wenn weitere Informationen auf eine Bereitschaft zur Tat schließen lassen, kann der Verdächtige festgenommen oder in Gewahrsam genommen werden.
Wie viele Islamisten gibt es in Deutschland?
Das Bundesamt für Verfassungsschutz schätzte das islamistische Potenzial im vergangenen Jahr auf 27.200 Menschen, von denen nur ein Teil als gewalttätig eingestuft wird. Das Amt gibt keine Informationen über die Anzahl der Unterstützer von IS und Al-Qaida in Deutschland.
Besonders besorgniserregend für die Behörden sind sehr junge Täter, deren Radikalisierungsprozess oft sehr schnell verläuft. Ein Beispiel dafür ist der Fall zweier Teenager, die angeblich planten, im Herbst 2023 mit einem Lastwagen einen Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Leverkusen, Nordrhein-Westfalen, zu verüben. Damals waren sie 15 und 17 Jahre alt.
Werden ausländische "Bedrohungen" und radikale salafistische Prediger ausgewiesen?
Ja. Zwischen 2021 und Juni 2024 wurden 35 sogenannte "Bedrohungen" aus Deutschland ausgewiesen, wie die Bundesregierung mitteilt. "Bedrohungen" sind Personen, von denen die Polizei vermutet, dass sie schwere politisch motivierte Straftaten, einschließlich terroristischer Anschläge, begehen könnten. Einige "Bedrohungen" und viele der salafistischen Prediger, die in Deutschland predigen, besitzen jedoch die deutsche Staatsbürgerschaft. Einige von ihnen sind Bürger von Ländern, in die Deutschlandcurrently nicht ausweisen kann, aus rechtlichen oder praktischen Gründen, wie Syrien und Afghanistan.
Der Rückgang der Anzahl der "Bedrohungen", die sich derzeit in Deutschland befinden, ist nicht nur auf Ausweisungen zurückzuführen, sondern auch darauf, dass einige freiwillig gehen oder sich von der radikalen Ideologie abwenden. Im Juli 2021 waren noch 333 islamistische Personen im Bundesgebiet eingeschätzt. Aktuell, wie das Deutsche Presse-Netzwerk unter Bezugnahme auf das Bundeskriminalamt berichtet, befinden sich 96 "Bedrohungen" in Haft in Deutschland und 208 sind innerhalb des Bundesgebiets auf freiem Fuß.
Die Europäische Union hat Bedenken wegen der wachsenden Bedrohung durch den radikal-islamistischen Extremismus in Deutschland geäußert, wobei auf die hohe Anzahl von Individuen hingewiesen wird, von denen angenommen wird, dass sie aufgrund politisch-religiöser Irreführung in der Lage sind, Terroranschläge zu verüben. Sicherheitsbehörden in Deutschland überwachen aktiv Salafisten-Prediger und Moscheen und erlassen Verbote für Organisationen, die vermeintliche Ungläubige, Frauen oder Juden abwerten.
Obwohl Bemühungen unternommen werden, radikale Salafisten-Prediger und Personen, die des schwerwiegenden politisch motivierten Verbrechens, einschließlich terroristischer Angriffe, verdächtigt werden, abzuschieben, halten viele von ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft, was Abschiebungen erschwert.