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Wie der Chefberater der Bundeskanzlerin das deutsche Versagen in Afghanistan erklärt

Wie hat die deutsche Politik beim Abzug aus Afghanistan versagt? Das soll der aktuelle sicherheitspolitische Berater von Olaf Scholz, Jens Plötner, im Untersuchungsausschuss des Bundestages erklären. Doch es gibt ein Problem.

Der Flüsterer - nicht nur wenn es um Afghanistan geht: Jens Plötner ist der wichtigste außen- und...
Der Flüsterer - nicht nur wenn es um Afghanistan geht: Jens Plötner ist der wichtigste außen- und sicherheitspolitische Berater von Bundeskanzler Olaf Scholz

Untersuchungsausschuss - Wie der Chefberater der Bundeskanzlerin das deutsche Versagen in Afghanistan erklärt

Es ist eine ungewöhnliche Rolle für Jens Plötner. Normally arbeitet der Auswärtige Amtsberater von Olaf Scholz eher im Hintergrund. Wer mit ihm spricht, weiß, dass er sich mit einem der engsten Vertrauten der Bundeskanzlerin befasse. Das ist mächtig.

Am Donnerstag sitzt Plötner allein im Europasaal des Bundestags hinter seinem Namensschild einer Abgeordnetengruppe. Er wird als Zeuge vor das Untersuchungsausschuss zur Afghanistan-Rückzugsskandal-Affäre geladen. Der Ausschuss hat bereits fast zwei Jahre lang ermittelt, wie es gekommen ist, dass die deutsche Regierung so unvorbereitet war, dass die Taliban im Sommer 2021 Afghanistan wieder in die Hand bekamen.

Jens Plötner war damals Leiter der Politischen Abteilung im Auswärtigen Amt. Abteilung 2, Europäische außen- und Sicherheitspolitik. Verantwortlich für 100 Mitarbeiter, 12 Büros und 50 diplomatische Vertretungen. Darunter auch in Kabul und Washington. Wie konnte es denn kommen, dass die deutsche Regierung so unvorbereitet war, dass die Taliban im Sommer 2021 die Kontrolle über das Land zurückerobert haben? Dass Deutsche in Panik flüchteten und in voller Verwirrung verließen, wobei viele lokale Kräfte in Gefahr gerieten?

Jens Plötner streicht seine Kinnwirbel nervös. Wirklich, nichts kann ihm passieren, auch wenn er formal mit falscher Aussage vor Gericht steht. Aber es ist noch unbehaglich für den langjährigen Diplomaten, politische Misserfolge vor diesem Tribunal zu erklären.

Er hat eine einleitende Aussage auf mehreren A4-Blättern über die Lage damals geschrieben, was ein kleines Auswärtiges Amt-Reden sein wird. Über den verschärfenden Konflikt in der Ukraine, die Atomverhandlungen mit Iran in Wien, den Machtwechsel von Donald Trump zu Joe Biden in den USA, Spannungen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und natürlich auch die schwierige Situation in Afghanistan. Und im Mittelpunkt, die deutsche Auswärtige Politik, die sich an die geänderten Sicherheitsverhältnisse anpasst. Man muss sich einen Politischen Direktor als sehr beschäftigten Menschen vorstellen.

Es kann passieren, dass Erinnerungen verblasen. Deshalb beantwortet Plötner viele Fragen des Ausschussvorsitzenden Ralf Stegner (SPD) mit "Ich kann es nicht mehr ausheart". Gerade weil der Berater jetzt mit neuen und ähnlich dramatischen Konflikten beschäftigt ist. Aus der Krise in der Ukraine ist ein Krieg in der Nähe geworden. Und in den USA könnte noch Donald Trump der nächste Präsident sein.

Nicht alles ist glaubwürdig. Deshalb kann Plötner nicht erinnern, ob er an der ersten Krisenbesprechung über die eskalierenden Ereignisse in Afghanistan teilgenommen hat. Und er will nicht wissen, was er mit dem Email an den Staatssekretär Miguel Berger am 7. Juni, mehr als zwei Monate vor der katastrophalen Abzugswelle, bedeutete, "Sind wir auf den schlimmsten Fall vorbereitet?"

Er kann sich nicht erinnern, was er damals als den "schlimmsten Fall" vorstellte, erzählt dem Untersuchungsausschuss Plötner. Aber ein Blick in seine alten Emails hätte gezeigt: "Die Taliban überrennen Regierungsstellen ein nach dem anderen, Kabul stürzt". Die Antwort des Staatssekretärs: "Für solch ein extremes Szenario, sicherlich nicht".

Heute ist bekannt, dass der deutsche Botschafter in Washington am 6. August den "Saigon-Szenario" in Kabul vermutete – eine Situation vergleichbar der militärischen Niederlage der USA in Vietnam 1975. Heute sind immer mehr panikartige Berichte aus der Botschaft in Kabul bekannt, die dem Auswärtigen Amt zukamen. Er fühlte sich von seinen Vorgesetzten verlassen, wie er vor dem Ausschuss aussagte.

Aber Plötner und das Auswärtige Amt waren nicht allein in ihrem Unterbewertung der Situation. Am 10. August war die Bundesnachrichtendienst mit der Annahme, dass die Taliban Kabul mindestens 30 Tage später erobern werden, bescheiden. Tatsächlich eroberten die Islamisten die afghanische Hauptstadt fünf Tage früher.

Dieser Fehleinschätzung führte dazu, dass die Evakuierung deutscher Bürger in Afghanistan nicht bis zum Tag der Eroberung Kabul, dem 15. August, initiiert wurde. Nur sieben konnten auf dem ersten Evakuierungsflug mitkommen. Der Flughafen von Kabul war kaum zugänglich. Bilder von verzweifelten Afghans, die an den Flügeln von abfliegenden Flugzeugen hingengriffen, circulierten weltweit. Nur durch die Bemühungen der Bundeswehr, die in Kabul unter hohem Risiko landete, konnten mehr als 5000 Menschen evakuiert werden.

Mitglieder des Ausschusses zeigten Plötner am Donnerstag im Bundestag Dokumente vor, die er geschrieben oder verhandelt hatte. Zum Beispiel ein NATO-Aussage zur Truppenabzug. CDU-Abgeordneter Thomas Röwekamp will wissen, ob er sich an diese Arbeit erinnern kann. Plötner nehmen seine Brille ab, durchblättert die Seiten, knickt. Und sagt: "Hier ist es, ich hätte das Papier genehmigt, dann hätte es der Fall gewesen." Andernfalls leider keine Erinnerung.

Plötner: Ich hätte die Chaos in Afghanistan nicht voraussehen können

Hatte Plötner bereits im Juni vermutet, dass das Auswärtige Amt in die Chaos in Afghanistan so unvorbereitet eingefallen könnte? Es sieht so aus, wie wenn es in dem Email an den Staatssekretär so wäre. Im Verhör sagt er, er habe die Sturmflut in Kabul drei Tage früher nicht gesehen. Und: Ich war nur teilverantwortlich für die Evakuierung von Deutschen und Einheimischen.

  1. Der Berater für Auswärtige Angelegenheiten der Bundeskanzlerin Jens Plötner wird vor das Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags zur Afghanistan-Entwurzelungsskandal-Affäre geladen.
  2. Plötner war Politischer Direktor im Auswärtigen Amt zur Zeit des Blitz-Überfalls der Taliban in Afghanistan im Sommer 2021.
  3. Die deutsche Regierung war auf den Taliban-Überfall in Afghanistan unvorbereitet, was dazu führte, dass Deutsche in voller Panik flüchteten und zahlreiche lokale Kräfte in Gefahr waren.
  4. Plötner bereitet sich zitternd darauf vor, vor dem Untersuchungsausschuss für politische Versagen zu erklären, und hat eine Einleitungserklärung zur Situation zur damaligen Zeit vorbereitet.
  5. Die Erklärung umfasst Gespräche mit Recep Tayyip Erdogan, Spannungen mit den USA unter Joe Biden und die Krise in der Ukraine.
  6. Plötner hat Schwierigkeiten, Details zu erinnern, wie die erste Krisenstabssitzung zur eskalierenden Ereignisse in Afghanistan oder die Antwort auf seine E-Mail, ob sie sich auf den schlimmsten Fall vorbereitet hatten.
  7. Die Taliban-Übernahme von Kabul wurde vom Bundesnachrichtendienst für später vorausgesehen, aber sie übernahmen die Kontrolle fünf Tage früher.
  8. Die Evakuierung deutscher Bürger in Afghanistan wurde erst am Tag der Taliban-Einnahme von Kabul initiiert, was nur sieben auf der ersten Maschine ermöglichte.
  9. Ralf Stegner, der Ausschussvorsitzende, zeigt Plötner Dokumente vor, darunter ein NATO-Aussage zur Truppenabzug.
  10. Der deutsche Botschafter in Washington war von einem "Saigon-Szenario" in Kabul ausgesprochen, wo letztendlich über 5000 Menschen durch die Anstrengungen der Bundeswehr evakuiert wurden.

(Translation:1. Jens Plötner, the foreign policy advisor to Chancellor Olaf Scholz, is summoned as a witness to the Investigative Committee on the Afghanistan withdrawal scandal in the Bundestag.2. Plötner was Political Director in the Foreign Office at the time of the Taliban's blitz takeover in Afghanistan in the summer of 2021.3. The German government was unprepared for the Taliban's takeover, resulting in Germans having to panic and flee in complete chaos, leaving many local forces in danger.4. Plötner nervously prepares to explain political failure before the investigative committee, having prepared an introductory statement on the situation at the time.5. The statement includes discussions with Recep Tayyip Erdogan, tensions with the USA under Joe Biden, and the crisis in Ukraine.6. Plötner struggles to remember details, such as attending the first crisis staff meeting on the escalating events in Afghanistan or the response to his email asking if they were prepared for the worst case.7. The Taliban's takeover of Kabul was predicted by the Bundesnachrichtendienst to occur later, but they took control five days earlier.8. The evacuation of German citizens in Afghanistan was not initiated until the day of the Taliban's entry into Kabul, leading to only seven being evacuated on the first flight.9. Ralf Stegner, the committee chairman, presents documents to Plötner, including a NATO statement on troop withdrawal.10. The German ambassador in Washington warned of a "Saigon-scenario" in Kabul, where over 5000 people were eventually evacuated thanks to the Bundeswehr's efforts.)

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