zum Inhalt

Prinz Reuß und seine "Reichsbürger": Kann man sie alle als Spinner bezeichnen?

Ich habe zu lange ein Auge zugedrückt

Der mutmaßliche Rädelsführer des "Reichsbürgernetzes", Heinrich XIII. Fürst Reuß, wurde bei einer...
Der mutmaßliche Rädelsführer des "Reichsbürgernetzes", Heinrich XIII. Fürst Reuß, wurde bei einer Razzia im Dezember 2022 festgenommen. Er muss sich nun vor dem Oberlandesgericht Frankfurt verantworten.

Prinz Reuß und seine "Reichsbürger": Kann man sie alle als Spinner bezeichnen?

Eine Gruppe, die von einem 72-jährigen Immobilienunternehmer namens Henry XIII. Prinz Reuss aus Hessen angeführt wird, plant angeblich, die deutsche Regierung zu stürzen und einen eigenen Staat zu gründen. Diese Gruppe von Anhängern, die überwiegend aus Männern zwischen 40 und 70 Jahren besteht, geht davon aus, an einem schicksalhaften Tag "X" ein Signal von einer nicht existierenden Allianz zu erhalten. An diesem Tag wollen sie den Reichstag belagern und die Abgeordneten unter Umgehung von Polizisten und Sicherheitspersonal gefangen nehmen. Gut bewaffnet wollen sie die 83 Millionen Einwohner Deutschlands mit einem rigiden autokratischen Regime unter der Führung des Immobilienmoguls regieren.

Die von der Bundesanwaltschaft erhobenen Vorwürfe gegen das Netzwerk "Reichsbürger" mögen komisch, wenn nicht gar abwegig erscheinen. Dieses scheinbar harmlose Bild ist jedoch weit von der Realität entfernt.

Der Prozess wegen der angeblichen Verschwörung ist eines der umfangreichsten Staatsschutzverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Er ist auf drei Prozesse aufgeteilt: Den Anfang machte Ende April das Oberlandesgericht Stuttgart, demnächst müssen sich die mutmaßlichen Anführer vor dem Oberlandesgericht Frankfurt verantworten. Insgesamt müssen sich neun Personen verantworten, darunter bekannte Mitglieder der Reuss-Fraktion: Heinrich XIII. Prinz Reuss, die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann und der ehemalige Bundeswehrkommandeur Rüdiger von Pescatore.

Dem Bösen entgegentreten: Etwas zu erreichen

Trotz der Skurrilität der Vorwürfe wird die deutsche Justiz dem so genannten "Putschprinzen" und seinen Mitstreitern erhebliche Ressourcen widmen. Die Ermittlungen zu ihren angeblichen Plänen sind von epischem Ausmaß. Auch wenn die Beschuldigten ihre vagen Fantasien nie in die Tat umgesetzt haben, gibt es einen Grund für diese überwältigende Reaktion der Behörden.

Diejenigen, die als "Reichsbürger" gelten, stellen die Souveränität Deutschlands und die demokratische Ordnung in Frage. Tatsächlich widersprechen sie dem Rechtsstaat und streben eine eigene Staatsform an. Die Gruppe behauptet auch, dass die Politiker das Land nicht wirklich regieren, sondern Marionetten eines geheimnisvollen Tiefen Staates sind, der die deutsche Bevölkerung unterjochen will. Miro Dittrich, Rechtsextremismusforscher bei CEMAS, bezeichnet diese Ideologie als Souveränismus. Wenn Handlungen aus dieser Überzeugung heraus erfolgen, so Dittrich, werden sie gefährlich, unabhängig davon, ob sie mit dem Gesetz vereinbar sind.

Konsequenzen des Kampfes gegen das Böse

Unbedenkliche Maßnahmen wie die Ausstellung von selbst erstellten Pässen als Zeichen der Autonomie und die Weigerung, Steuern oder Strafzettel zu bezahlen, sind an der Tagesordnung. Doch die Extreme hören damit nicht auf.

Einem im vergangenen Jahr veröffentlichten CEMAS-Bericht zufolge ist der Glaube der Souveränisten an eine "letzte entscheidende Schlacht zwischen den Mächten des Guten und des Bösen" für ihr Handeln bestimmend. Für sie ist dieser Kampf ein Alles-oder-Nichts-Szenario: Nur die Rettung oder der Untergang der eigenen Gruppe ist möglich. In der Folge rechtfertigen sie die Anwendung von Gewalt.

Die ernüchternde Realität ist, dass Vertreter der "Reichsbürger" gezeigt haben, dass sie nicht zögern würden, tödliche Taktiken anzuwenden. So schoss 2016 ein "Reichsbürger" im bayerischen Georgensgmünd tödlich auf einen Polizeibeamten, als die Behörden eintrafen, um Waffen zu beschlagnahmen. Ein Beschuldigter aus der Reuss-Gruppe zögerte nicht, seine Waffe zu ziehen und auf Polizeibeamte zu zielen, als diese sein Haus durchsuchten. Dieser Beschuldigte ist der einzige aus der Reuss-Gruppe, der zusätzlich wegen versuchten Mordes angeklagt ist.

Zahlreiche Personen sehen sich im Krieg mit den Besatzern", so Rechtsextremismus-Experte Dittrich. Behörden wie die Polizei seien für sie nur Marionetten der Besatzer, gegen die man sich wehren müsse. Die Reuß-Gruppe hingegen steht für eine Fortsetzung dieses Trends", betont der Experte. Ausgehend von der Anklageschrift wollten sie nicht nur kämpfen", unterstreicht er. Sie zielten darauf ab, die angeblichen Besatzer durch terroristische Aktivitäten abzusetzen.

Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass Reuß und seine Anhänger Tote und Verletzte in Kauf genommen haben. Darüber hinaus sollen in der Gruppe konkrete Feindeslisten und Pläne für "Säuberungsaktionen" entdeckt worden sein. Erst vor kurzem hat einer der Verdächtigen seine Spionagetätigkeit in den Räumen unter dem Bundestag offengelegt. Außerdem soll das Netzwerk über ein gut ausgestattetes Waffenarsenal verfügen.

Während der bloße Besitz von Waffen kaum eine Gefahr darstellt, ist die Tatsache, dass Rechtsextremisten und Reichsbürger (die die Regierung stürzen wollen) vermehrt Personal mit Kampferfahrung suchen, alarmierend. Dittrich: "Wir stellen seit einiger Zeit fest, dass Rechtsextremisten und Reichsbürger, die den Staat demontieren wollen, ein zunehmendes Rekrutierungspotenzial in den deutschen Sicherheitsdiensten haben. Offenbar haben diese extremistischen Gruppen erfolgreich versucht, Personen mit militärischen Kenntnissen zu rekrutieren.

Wachsende Gefahren

Im Fall der Reuß-Gruppe scheint dies der Fall gewesen zu sein: Laut Anklageschrift waren neben zwei Polizeibeamten auch mehrere Ex-Soldaten beteiligt. Die Anklageschrift behauptet auch, dass sie gute Verbindungen zum KSK, der Antiterroreinheit der Bundeswehr, hatten. Dittrich betont: "Diese Verbindungen sind möglich aufgrund eines weit verbreiteten Problems, das viel zu lange ignoriert wurde.

In jüngster Zeit ist die Reichsbürger-Gemeinschaft verstärkt ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz geht davon aus, dass es im Jahr 2022 rund 23.000 Personen sein werden - eine Zahl, die einen deutlichen Anstieg gegenüber 2016 bedeutet. Die Politikwissenschaftler der CEMAS gehen jedoch von einer noch höheren Zahl aus. Das liegt daran, dass der Verfassungsschutz nur nachgewiesene Fälle zählt, während das Ausmaß der Reichsbürger-Ideologie allein über Telegramm-Kanäle unentdeckt bleiben könnte.

Der Einfluss der Pandemie

Die Pandemie spielte eine wichtige Rolle bei der Entstehung dieses Milieus. Die Politikwissenschaftler der CEMAS argumentieren, dass dies für die Reichsbürgerszene grundsätzlich von Vorteil war, da die Verschwörungen um die Eliten, die die Ereignisse orchestrieren, in Zeiten der Abriegelung, der Krisen und der hohen Unsicherheit stärker mitschwangen. Zudem wurden die querdenkenden Proteste zu praktischen Plattformen für die Verbreitung der Ideologie.

Letztendlich ist es kaum verwunderlich, dass während der Pandemie zwei große "Reichsbürger"-Netzwerke entstanden sind. Neben der bereits erwähnten Reuß-Gruppe, der so genannten Patriotischen Vereinigung, entstanden im Herbst 2021 die Vereinigten Patrioten. Auch sie hatten angeblich das Ziel, die deutsche Regierung zu stürzen, und zahlreiche Mitglieder stehen inzwischen wegen Terrorismusvorwürfen vor Gericht.

Die Pläne der Vereinigten Patrioten sahen einen großflächigen Stromausfall und die Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vor. Ziel war es, bürgerkriegsähnliche Zustände herbeizuführen, die schließlich zur Einführung einer neuen Verfassung nach dem Vorbild des Deutschen Reiches führen sollten.

Der Kipppunkt

Die Details ihrer angeblichen Putschpläne unterscheiden sich, aber die Gemeinsamkeiten zwischen den Reuß-Anhängern und den Vereinigten Patrioten sind frappierend: Beide Gruppen phantasierten von einem bestimmten Tag in der Zukunft, an dem sie die Macht an sich reißen könnten. In beiden Gruppen waren ehemalige Soldaten vertreten, und beide Netzwerke waren in rechtsgerichteten Kreisen tief verwurzelt. Außerdem hatten die Patriotische Vereinigung und die Vereinigten Patrioten ihre jeweiligen "Anführer" - Heinrich XIII. Reuß für die Patriotische Vereinigung und die 76-jährige Elisabeth S. für die Vereinigten Patrioten.

Die Vereinigten Patrioten und die Gruppe Reuß hatten Kontakt, wie der Prozess gegen die Mitglieder der Vereinigten Patrioten vor dem Oberlandesgericht Koblenz zeigte. Mehrere Gespräche zwischen den Mitgliedern der Organisationen wurden zur Sprache gebracht. Sie sollen sich über die bevorstehende "nationale Befreiung" gefreut haben. Letztendlich war es die Verbindung zwischen den beiden Gruppen, die die Aufmerksamkeit der Ermittler auf sich zog. Die Mitglieder der Vereinigten Patrioten versuchten, erfahrene Kämpfer aus der Reuß-Gruppe zu rekrutieren.

"Es ist offensichtlich: Beide Gruppen waren bereit, ihre mutmaßlichen Putschpläne auszuführen, waren von beträchtlicher Größe, hatten Verbindungen zum Militär und verfügten über Waffen. Diese Personen warteten im Grunde nur auf einen günstigen Moment, um zuzuschlagen", fasst Dittrich zusammen. Es bestand also eine erhebliche terroristische Bedrohung für den deutschen Staat."

Die Oberlandesgerichte sind dafür zuständig, den Grad der konkreten Bedrohung, die von den Netzwerken ausging, zu bestimmen. Auch wenn unklar ist, ob die deutsche Demokratie jemals wirklich in Gefahr war, legen die Details der Anklageschrift nahe, dass das Bild der harmlosen Rentner nicht stimmt. Es ist wichtig festzustellen, dass Personen, die sich der Planung und Vorbereitung von Gewalttaten verschrieben haben, keine harmlosen Sonderlinge sind, sondern eine echte Bedrohung für Menschenleben darstellen.

Lesen Sie auch:

Quelle: www.ntv.de

Kommentare

Aktuelles