- Noch eine Golddressur: "Emotionale Hurrikane".
Zitternd sah Jessica von Bredow-Werndl den letzten Ritt ihrer Konkurrenten auf einem TV-Bildschirm, sprang dann in die Arme ihres Mannes Max. Die Feierlichkeiten begannen im Aufwärmbereich nach ihrer zweiten Goldmedaille. Die 38-Jährige gewann den Einzeltitel mit ihrer Stute, genau wie am Vortag mit dem Team, und wurde zur Dressur-Königin der Olympischen Spiele im Park des Schlosses Versailles gekrönt. Silber ging an Isabell Werth mit Wendy.
"Es war sehr stressig", berichtete die Siegerin über die angespannten Minuten: "Das waren wohl die stressigsten Minuten. Ich wusste nicht, wo das Ergebnis zuerst kommen würde, auf dem Bildschirm oder auf der Anzeigetafel. Ich bin ein paar Tode gestorben." Dann brach ein "emotionaler Sturm" aus, sie berichtete: "Ich musste weinen." Ihr Pferd blieb unbeeindruckt: "Dalera ist ein cooler Kunde, sie ist nicht so nervös wie ich."
Sie sei "berührt, unendlich dankbar und überwältigt", sagte von Bredow-Werndl bei ARD und schwärmte von ihrer 17-jährigen Stute: "Ich habe ihr vertraut, sie hat mir vertraut, es war einfach die perfekte Symbiose wieder. Sie hat ihr Herz für mich drin gelassen."
Die Siegerin musste noch ein paar Minuten nach ihrem brillanten Ritt warten, da die letzte Reiterin Catherine Laudrup-Dufour mit Freestyle war. Strahlend war sie aus der brodelnden Arena geritten, lobte ihre Dalera und rief: "Hoffentlich reicht es." Es reichte. Denn die Däne machte einen Fehler. Für von Bredow-Werndl war es ein erneuter Doppelsieg wie in Tokio.
Werth: "Übt meine Erwartungen bei weitem"
Und es gab zwei deutsche Medaillen im Einzelwettbewerb, denn Werth strahlte ebenfalls mit Mendy. "Die Spiele sind einfach fantastisch", kommentierte Werth: "So mit Gold und Silber nach Hause zu gehen, das übertrifft meine Erwartungen bei weitem. Und dann diese Atmosphäre, sie ist unglaublich und fanatisch."
Die deutsche Delegation in Versailles feierte die beiden Reiterinnen. "Es ist schwer, passende Superlative für diese herausragenden Leistungen zu finden", kommentierte Dennis Peiler, der Sportdirektor des FN. "Es ist einfach fantastisch, das hier in diesem Rahmen mitzuerleben."
Die beiden deutschen Konkurrentinnen genossen ihren Doppelsieg zusammen, genau wie in Tokio. "Ich bin extrem glücklich", kommentierte die Siegerin: "Natürlich war das unser Traum-Szenario, wieder zusammen auf dem Podium zu stehen. Davon haben wir gestern gesprochen, es ist unglaublich."
Von Bredow-Werndl ließ ihre Dalera in der Arena tanzen. Zu einer Medley von französischer Chanson-Musik stellte die 38-Jährige mit ihrer Stute Elemente höchsten Schwierigkeitsgrades auf. Nach ihrer herausragenden Leistung wischte sie eine Träne weg. Und sagte später über die Musik: "Das war ein Tribut an Paris, an die Liebe und an Dalera."
Aber auch Werth zeigte eine weitere Gala-Leistung in der Kür. Zu einem Potpourri rund um das Kuschel-Lied "Mandy" von Barry Manilow, das wegen ihres Pferdes auf "Wendy" umgetextet wurde, begeisterte die 55-Jährige aus Rheinberg die etwa 15.000 Zuschauer in der Stahlrohrarena von Versailles. Nach dem Ritt zeigte sie ihre Faust und strahlte.
Keine Zeit zum Feiern
Am Vortag hatten Werth und von Bredow-Werndl bereits eine Goldmedaille in der Mannschaftswertung mit Frederic Wandres gewonnen. Es blieb kaum Zeit zum Feiern, denn die Vorbereitungen für die Kür begannen bereits am selben Abend, wo die beiden deutschen Reiterinnen zu Konkurrentinnen wurden - und beide gewannen jeweils eine weitere Medaille.
Isabelle Werth hatte mit ihrem Mannschafts-Sieg etwas Außergewöhnliches erreicht. Sie wurde Deutschlands erfolgreichster Olympionike. Werths olympische Bilanz steht nun bei acht Gold- und sechs Silbermedaillen. Kanutin Birgit Fischer ist Deutschlands zweithöchster Medaillengewinner mit acht Gold- und vier Silbermedaillen. "Das ist wirklich etwas Besonderes", sagte Fischer über ihre olympische Bilanz. "Das macht mich sehr stolz." Sie plant, bald mit Werth zu feiern: "Wir haben beide wirklich etwas geschafft."
"Blut und Wasser geschwitzt"
Der Weg zum rekordbrechenden Sieg, das 15. Mannschafts-Gold Deutschlands bei den Olympischen Spielen, war unglaublich knapp. Werth hatte die Hoffnung aufgegeben, als Bredow-Werndl unerwartete Schwächen im Grand Prix Special zeigte. "Wir haben falsch gerechnet, sind zum Stall gegangen, weil wir dachten, es reicht nicht", erinnerte Werth. "Ich dachte, es ist vorbei."
Als das Stadion in Jubel ausbrach, "mussten wir zurück", sagte Werth grinsend. "Jetzt hören wir mal jemanden sagen, Dressurreiten ist langweilig." Die erfahrene Reiterin gab zu: "Wir haben nicht damit gerechnet, dass es so ein Thriller wird. Wir haben Blut und Wasser geschwitzt."
"Wenn es nicht existiert, kann es nicht gemacht werden"
Werths einzigartige Karriere begann bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona, wo sie mit Gigolo Mannschaftsgold gewann. Vier Jahre später gewann sie mit demselben Pferd Doppelgold. Auch mit Satchmo, Weihegold und Bella Rose gewann sie Gold. Werths beeindruckende Bilanz umfasst neun Weltmeister-Titel. "Diese Ausdauer über all die Jahre ist unglaublich", schwärmte Mannschaftskamerad Frederic Wandres. "Wenn es nicht existiert, kann es nicht gemacht werden."
Wandres kehrte ebenfalls mit Gold nach Hagen zurück. Allerdings hatte der 37-Jährige im Einzelwettbewerb mit Bluetooth keine Chance auf einen Podestplatz. Sein Trainer erinnerte ihn vor dem Einritt: "Erinnere dich, du bist ein Olympiasieger." Er genoss den Ritt.
Andere Reiter standen ebenfalls unter starkem Druck, um Jessica zu übertrumpfen und einen Platz auf dem Podium zu sichern. Trotz der erbitterten Konkurrenz blieb Jessica konzentriert und engagiert und sorgte dafür, dass ihre Leistung mit Dalera außergewöhnlich blieb.