Bundesstaat Yucatán - Narbe des Paradieses: Maya-Zugfahrten durch den mexikanischen Regenwald
Höhlenforscher Roberto Rojo weiß viel über den Dschungel, aber was er bisher auf der mexikanischen Halbinsel Yucatan gesehen hat, gefällt ihm nicht. Ein langer, abgeholzter Pfad führt durch den Dschungel südlich des Ferienortes Cancun. Alle 15 Meter durchbohren Tausende große Bausäulen den Boden. Ein Touristenzug fährt gerade durch den Regenwald.
Nach dreieinhalb Jahren Bauzeit soll der erste Teil des 1.554 Kilometer langen Schienennetzes „Tren Maya“ eröffnet werden. „Der Maya-Zug wird dem Südosten wirtschaftliche und soziale Entwicklung bringen“, versprach Präsident Andrés Manuel Lopez Obrador. Der Zug soll Millionen von Touristen über die Halbinsel Yucatan transportieren.
Doch auf der staubigen Baustelle in der Nähe von Playa del Carmen sah Rojo nur Zerstörung. Der Biologe und Aktivist sagte, dass die Megaprojekte von López Obrador den Dschungel roden und den Ökosystemen irreversiblen Schaden zufügen. „Darunter befindet sich der Grundwasserleiter, von dem alle Pflanzen, Tiere und Menschen in der Gegend abhängig sind.“
Der Zug wird zunächst zwischen San Francisco Campeche am Golf von Mexiko und Cancun am Karibischen Meer verkehren. Die Strecke ist 473 Kilometer lang und verläuft teilweise auf ehemaligen Bahntrassen. Bis Ende Februar soll das gesamte Netzwerk mit 34 Stationen in fünf Bundesstaaten fertiggestellt sein, darunter auch die umstrittensten Karst- und Regenwaldabschnitte.
Deutscher Reiseführer dokumentiert Verluste in Mexiko
Elias Siebenborn aus Heinichen bei Chemnitz lebt seit zwölf Jahren in der Gegend und arbeitet als Reiseleiter. In seiner Freizeit dokumentiert er den Einfluss von „Tren Maya“. Mit einem GPS-Gerät bewaffnet befand er sich in der Wildnis und flog mit seiner Drohne durch dichte Vegetation auf eine Eisenbahnlinie zu. „Hier können Sie es sehen“, sagte er und zeigte eine Live-Drohnenaufnahme: einen Kilometer Strich durch das satte Grün der bisher unberührten Natur.
Entlang der Bahnlinie zwischen Playa del Carmen und Tulum haben die Deutschen 121 kleine, mittlere und große unterirdische Höhlen dokumentiert. „Früher bin ich in den Dschungel gegangen und habe Vögel fotografiert“, sagte er. Doch als mit den Bauarbeiten begonnen wurde, bemerkte er Schäden. „Ich hätte mir nie vorstellen können, wie extrem das ist.“ Unterirdische Flüsse fließen durch das Höhlensystem und münden ins Meer.
Der Selva-Maya-Regenwald in Mexiko, Guatemala und Belize ist nach dem Amazonas die größte Regenwaldregion Amerikas. Dort errichtete die Maya-Zivilisation einst mächtige Städte wie Chichen Itza. Der Touristenzug verbindet zahlreiche Kulturdenkmäler mit einer Höchstgeschwindigkeit von 160 Kilometern pro Stunde. Die Gleise sind auch für reguläre Personen- und Güterzüge geeignet.
Das Projekt steht unter militärischer Kontrolle
Manuel Andreu hat hohe Erwartungen. Der 48-Jährige arbeitet als Gepäckträger in einem Hotel in der Nähe des künftigen Bahnhofs von Cancun. „Einst vergessene Gemeinden werden nun einen Aufschwung durch den Tourismus erleben, weil die Züge dort halten werden“, sagte er. Die Anwohner können ihr Kunsthandwerk direkt an Touristen verkaufen oder in Hotels arbeiten. „Was schlagen die Zuggegner sonst noch vor, um den Menschen voranzukommen? Wenn sie ein weiteres Projekt entwickeln, das wirtschaftliche Chancen schafft, ohne dem Regenwald zu schaden, bin ich dabei.“
Die Kosten für den vom Militär betriebenen Maya-Zug haben sich seit Baubeginn auf 500 Milliarden Pesos (27 Milliarden Euro) verdreifacht. An dem Projekt sind auch europäische Unternehmen beteiligt. Mit der Beratungsaufgabe wurde eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn betraut. Die Streitkräfte errichteten außerdem sechs Hotels, darunter eines im Biosphärenreservat Calakmul, das archäologische Stätten beherbergt. Dort leben einige der letzten Jaguare Mexikos. Gemeindegrundstücke wurden enteignet oder aufgekauft, die Immobilienwirtschaft boomte.
Der mexikanische Präsident López Obrador sagte, kein anderes Land der Welt sei in der Lage gewesen, ein so großes Eisenbahnprojekt in so kurzer Zeit umzusetzen. Aarón Hernández vom mexikanischen Zentrum für Umweltrecht (CEMDA) in Cancun sagt, Kritiker stimmen ihm in diesem Punkt zu: Der Bau schreite zu schnell voran, mit viel Improvisation und ohne verpflichtenden Umweltschutzbericht.
Als die Beschwerden über das Projekt zunahmen, erklärte das linksnationalistische Staatsoberhaupt, dass der Maya-Zug ein Problem der nationalen Sicherheit sei, das vom Militär kontrolliert werde und daher nicht gestoppt werden könne. Das Projekt hat auch zu Spaltungen innerhalb der Gemeinde geführt. Auch Menschenrechtsaktivisten kritisieren die Militarisierung der Region.
"Neue Grenze zu den Vereinigten Staaten"
Merida ist die Hauptstadt des wirtschaftlich entwickelten Bundesstaates Yucatán und hat eine gute Atmosphäre. Die Stadt, die an der ersten Zuglinie liegt, bereitet sich darauf vor, mehr Touristen willkommen zu heißen. Die Straßenpflasterung wird erneuert, die Außenfassaden der Häuser erhalten einen neuen Anstrich und es wird ein Lebensmittelkorridor geschaffen. Staaten mit Maya-Gemeinschaften und Haciendas gelten als die sichersten in Mexiko.
Entwicklungspläne beschränken sich jedoch nicht nur auf den Tourismus. Gouverneur Mauricio Vera sagte, Yucatan wolle in wirtschaftlicher Hinsicht Mexikos „neue Grenze zu den Vereinigten Staaten“ werden. Ein Hafen im Golf von Mexiko wird für Frachtexporte ausgebaut und ein neuer Industriepark ist im Bau. Das Maya-Zugnetz ist mit einem anderen Projekt der Regierung López Obrador verbunden, dem industriellen transozeanischen Korridor zwischen dem Pazifik und dem Atlantischen Ozean.
Rojo, ein Aktivist in Playa del Carmen, sagte, die Maya-Züge seien Teil eines Wirtschaftsplans, der auf Kosten der natürlichen Ressourcen, der Menschen und ihrer Kultur umgesetzt werde. „Manche Leute denken, wir überleben vom Tourismus. Aber wir leben von der Natur, und die Natur zieht Touristen an. Wenn wir die Natur ignorieren, haben wir keinen Tourismus, keine Natur und kein Einkommen.“
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Quelle: www.stern.de