Kinder oder Eltern beenden ihre Kommunikation.
Am Muttertag steht oft die Vorstellung einer idealen Mutter-Kind-Beziehung im Mittelpunkt. Die tatsächliche Situation sieht in manchen Familien jedoch anders aus: Sie erleben eine Störung in der Kommunikation. Ähnliche Muster sind häufig zu beobachten.
Svenja erinnert sich lebhaft an ihr letztes Gespräch mit ihrer Mutter. Es war vor zwei Weihnachten, und ihre Mutter wollte Svenja Ratschläge geben, wie sie ihr Leben führen sollte - das Enkelkind brauchte eine neue Frisur (eine "Männerfrisur"), die Wohnung musste sauberer werden, und sie musste sich von ihrem Partner trennen. Seitdem ist der Kontakt zwischen der heute 32-Jährigen und ihrer Mutter abgebrochen. Auch den Muttertag begehen sie getrennt voneinander - ohne jegliche Interaktion.
Svenja hat mehrere Versuche unternommen, ihrer Mutter zu vermitteln, dass sie sich wünscht, dass ihre Mutter ihre persönlichen Entscheidungen und Grenzen akzeptiert, aber ihre Mutter beharrt auf ihren eigenen Erwartungen. Trotz ihrer Melancholie fühlt sich Svenja nach dem Treffen mit ihrer Mutter durch die Distanzierung noch schlechter. "Ich habe mich immer gefragt, zu welcher Familie ich stehen soll: zu der meiner Mutter oder zu meiner eigenen mit ihren gemeinsamen Werten", erklärt sie.
Distanzierung kann eine vernünftige Reaktion sein
Kontaktabbrüche zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern sind keine Seltenheit. Eine umfassende Langzeitstudie mit über 10 000 Personen in Deutschland, die so genannte Pairfam-Studie (Panel Analysis of Intimate Relationships and Family Dynamics), ergab, dass 7 % der befragten Erwachsenen keinen Kontakt zu ihrem leiblichen Vater hatten, während 2 % keine Verbindung zu ihrer leiblichen Mutter hatten. Darüber hinaus fühlten sich viele emotional von ihren Eltern getrennt. Fast 10 % hatten innerhalb von zehn Jahren eine Phase der Entfremdung von ihrer Mutter erlebt, und 20 % von ihrem Vater.
Die Autoren der Pairfam-Studie, Oliver Arránz Becker von der Universität Halle-Wittenberg und Karsten Hank von der Universität Köln, weisen auf die große Heterogenität der Beziehungen zwischen den Generationen hin. Dies zeigt sich auch in der Familienberatung. Ulric Ritzer-Sachs von der Online-Beratungsplattform der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke) bestätigt, dass er sowohl auf Familien stößt, die den Kontakt abgebrochen haben, als auch auf Personen, die zwar noch mit ihrer Herkunftsfamilie in Kontakt stehen, aber unter anhaltendem Leid leiden.
Die britische Psychologin Lucy Blake, die sich eingehend mit Kontaktabbrüchen und Entfremdung in Familien beschäftigt hat, stellt fest: "Entfremdung kann eine positive Reaktion auf ein schädliches Umfeld sein".
Exzessive Nähe - Verlangen nach Distanz
Die Gründe für den Abbruch des Kontakts sind vielfältig. Selten handelt es sich um extreme Vorfälle wie körperlichen oder sexuellen Missbrauch in der Kindheit. In Familien mit getrennten Eltern oder Problemen mit Drogenmissbrauch kommt es häufig zu größeren Störungen. Auch wenn Kinder das Gefühl hatten, dass ein Elternteil in erster Linie als Partnerersatz fungierte und die Verbindung für ihren Geschmack zu eng war, kann dies im Erwachsenenalter zu einem Verlangen nach Distanz führen.
In einem Fragebogen aus dem Vereinigten Königreich wurden emotionaler Missbrauch, abweichende Erwartungen an die Familie und widersprüchliche Rollenmodelle sowie erhebliche Persönlichkeitskonflikte als Hauptgründe für die Trennung genannt. In einer US-amerikanischen Studie nannten Kinder "toxisches Verhalten" ihrer Eltern, darunter ständige Respektlosigkeit und das Gefühl, nicht unterstützt und angenommen zu werden, als häufigste Begründung. Die Eltern hingegen führten die Trennung ihrer Kinder auf äußere Faktoren zurück, wie z. B. eine Scheidung oder einen neuen Partner.
In der Mehrzahl der Fälle, aber nicht immer, sind es die Kinder, die den Kontakt abbrechen; manchmal sind es die Eltern, die den Kontaktabbruch initiieren, und gelegentlich sind sich beide Seiten nicht bewusst, wer der Anstifter ist.
Häufiges Abweichen als Problem
"Als Fachfrau habe ich festgestellt, dass es immer wieder Probleme zwischen Eltern und Kindern gibt, die mit narzisstischen Strukturen zu tun haben", sagt Bärbel Wardetzki, eine Münchner Psychotherapeutin, die sich auf "weiblichen Narzissmus" spezialisiert hat. Häufig streben Erwachsene immer noch nach Liebe, Zuneigung und Anerkennung von ihren Eltern. Das loslassen? Das ist eine emotionale Herausforderung.
Ab wann ist es ausreichend? Es gibt verschiedene Lebensphasen, in denen es wahrscheinlicher ist, dass die Kommunikation abgebrochen wird. Ein bedeutsames Lebensereignis, das den Abbruch der Verbindung auslösen kann, ist die Trennung der Eltern, wie die englische Studie zeigt; die meisten Kinder, die den Kontakt abbrechen, sind zwischen 20 und Mitte 30 Jahre alt. Der Kontakt zu den Vätern bricht eher vor dem Erwachsenenalter ab, und auch nach dem Tod eines Elternteils oder der Geburt eines neuen Kindes kann es zu einem Abbruch kommen. Ritzer-Sachs, die Beraterin, bietet an: "Bei der Überlegung, wie viel Kontakt die Kinder zu ihren Großeltern haben sollten, ist es entscheidend zu prüfen, ob eine Wiederholung der erlebten oder erduldeten Muster droht."
Ein Abbruch der Beziehungen könnte von Vorteil sein, aber bevor man einen solchen Schritt unternimmt, sollte man überlegen, ob es eine Chance zur Versöhnung gibt, schlägt Ritzer-Sachs vor. "Manchmal handelt es sich um kleinliche Streitigkeiten, bei denen keine der beiden Parteien den ersten Schritt machen will". In solchen Fällen sollten beide Seiten ihre Möglichkeiten abwägen und entscheiden, ob sie wirklich die Initiative ergreifen wollen. Die Wiederaufnahme einer Beziehung sollte jedoch gründlich überlegt werden. "Es ist nicht leicht, seine Deckung wieder zu lockern und sich zu exponieren. Man muss darüber nachdenken: Kann ich eine weitere Verletzung verkraften, wenn die Dinge noch einmal schief gehen?"
Im Vereinigten Königreich und in den USA gibt es Selbsthilfegruppen wie "Stand Alone Community" und "Together Estranged" für Menschen aus zerrütteten Familien. Sie geben Hilfestellung bei der Bewältigung schwieriger Ereignisse, wie z. B. Ferien - Familienfeiern. Eine Umfrage ergab, dass 78 % der Befragten den Muttertag oder den Vatertag als besonders schwierig empfinden. Ähnliche Probleme treten bei Geburtstagen, Weihnachten, Hochzeiten und Beerdigungen auf. Viele finden Beratung, Psychotherapie und Selbsthilfegruppen hilfreich. In Deutschland gibt es in verschiedenen Städten Selbsthilfegruppen für Eltern oder Großeltern mit dem Titel "Verlassene Eltern". Kinder schließen sich in der Regel thematischen Selbsthilfegruppen an, z. B. solchen für Angehörige von Alkoholikern oder Drogenabhängigen oder für Kinder narzisstischer Eltern.
Der Malteser Hilfsdienst rät, zunächst keine Anrufe zu tätigen, da sich die andere Partei unter Druck gesetzt fühlen könnte. Besser wäre es, einen herkömmlichen Brief oder eine E-Mail zu schicken, die der Empfänger zu einem von ihm gewünschten Zeitpunkt lesen und überdenken kann, auch mehrmals.
Svenja, die in Wirklichkeit einen anderen Namen trägt, hat dies mehrfach getan - mit Briefen, Sprachnachrichten und Einladungen zu Treffen. Sie wollte ihrer Mutter klarmachen, warum sie Probleme mit dem Kontakt hat und was sie sich wünscht. Leider hat ihre Mutter nie geantwortet. Heute versucht sie nicht mehr, sich zu melden. Nicht einmal am Muttertag.
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Quelle: www.ntv.de