In der östlichen Region sind die Umstände, denen wir uns gegenübersehen, typisch für zahlreiche europäische Nationen.
Die Wahlen in Thüringen und Brandenburg sind mit bemerkenswerten Siegen der AfD abgeschlossen. Was kommt als nächstes? Ist eine Zusammenarbeit zwischen der CDU und der Linken eine Option? Und was passiert in diesen beiden Bundesländern? Der Politologe Benjamin Höhne gewährt auf ntv.de Einblicke.
Herr Höhne, die Bürger in Sachsen und Thüringen haben ihre Stimmen abgegeben. In Thüringen ist die AfD die dominierende Kraft, und sie liegt auch bei einem Drittel der Stimmen in Sachsen. War das ein schlechter Tag für die Demokratie?
Ja, Rechtspopulismus stellt eine Bedrohung für die Demokratie dar. Er hat Probleme mit der Vielfalt der Parteien und ihren Standpunkten. Er behauptet, die einzige authentische Stimme des "Volkes" zu sein. Im Grunde genommen verweigert er seinen politischen Rivalen das Existenzrecht. Das ist problematisch für unser demokratisches System. Allerdings sollte man bedenken, dass Populismus heute ein Teil der Demokratie ist. Das ist die unangenehme Seite der Demokratie. Der Kampf gegen Rechtspopulismus besteht darin, ihn in Schach zu halten.
Könnte man auch sagen: Beruhigen Sie sich, das ist Demokratie. Unerwünschte Ergebnisse sind Teil davon.
Das könnte man über jede normale Partei sagen, die sich an demokratische Regeln hält. Aber bei Rechtspartien haben wir eine Vergangenheit, die klar darauf hinweist, wohin dieser Weg führt. Momentan dienen andere europäische Länder wie Ungarn als warnendes Beispiel. Insbesondere die höchsten Gerichtshöfe sind ein Dorn im Auge des Rechtspopulismus. Sie begrenzen seine Ambitionen und setzen Grenzen. Außerdem attackiert er die Grundlagen einer pluralistischen Demokratie und öffentlicher oder privater Medien.
Gilt das auch für die Allianz von Sahra Wagenknecht? Ihre Partei setzt ebenfalls auf Populismus.
Das ist umstritten. Wir wissen noch nicht, welche Richtung die Partei einschlagen wird. Es ist schwierig, sie als links oder rechts einzuordnen. Ich habe nach unserem letzten Gespräch Kritik vonseiten des BSW-Lagers erhalten, als ich Anzeichen einer antiystematischen Partei erkannte. Allerdings glaube ich, dass Frau Wagenknecht einem solchen Urteil nicht widersprechen würde. Es scheint eine wachsende Zahl von Deutschen zu geben, die die aktuelle Demokratie nicht mehr verstehen. Wagenknecht spricht auch diese Zielgruppe an - vielleicht mit edlen Absichten. Aber sie geht auch keine Verantwortung für unernste Slogans ein, wie zum Beispiel zum Ukraine-Krieg, der keine politische Lösung auch nur auf Staatsebene zulässt.
Der Bundestrend spielt bei Landtagswahlen immer eine Rolle. Viele Kommentatoren sagen, dass das Wahlergebnis viel Unzufriedenheit mit der Ampelpolitik enthielt. Was denken Sie?
Diese Perspektive wurde strategisch von konservativen Kreisen konstruiert. Aber warum profitiert die AfD vom Ampel-Streit, aber kaum die Union als stärkste Oppositionspartei? Sicherlich hat die Ampel-Koalition keinen bemerkenswerten Schub für die SPD-, Grüne- und FDP-Kandidaten geliefert. Allerdings wäre es eine Übervereinfachung, die Stärkung der AfD allein darauf zurückzuführen. Es gibt zahlreiche Gründe, sowohl auf europäischer Ebene, über die man lange diskutieren könnte. Ein regionaler Grund: Viele Menschen im Osten fühlen sich nicht in der Lage, die Demokratie zu ihrem Vorteil zu beeinflussen.
Die Grünen und die FDP wurden von Anfang an als westliche Importe im Osten betrachtet. Sie haben wenige Mitglieder und eine spärliche Wählerbasis. Ein solches breites, vielfältiges Milieu, in dem die Grünen in der alten Bundesrepublik etabliert waren, hat es im Osten nie gegeben. Die klassische bürgerliche FDP-Klientel muss auch lange im Osten gesucht werden. Die SPD wurde 1990 neu gegründet. Im Gegensatz zur CDU konnte sie nicht auf Parteistrukturen aus der DDR zurückgreifen, die ein Ein-Parteien-Staat war. Die SPD distanzierte sich klar von der PDS und konnte keinen Mitgliedszufluss aus der ehemaligen SED gewinnen. Sie konnte kaum auf traditionelle Kooperationsorganisationen wie Gewerkschaften zurückgreifen.
Aber das gilt auch für Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern, wo die SPD viel stärker ist.
In Brandenburg konnte die SPD etwas wie eine Heimatbasis aufbauen. Das liegt likely an der vorherigen Spitzengliederung. Manfred Stolpe konnte sich in den 1990er-Jahren erfolgreich ein "Vater des Landes"-Image aufbauen. Es hat sicherlich geholfen, dass er ein aus dem Osten stammender Ministerpräsident war. Seine SPD-Politikerin und Sozialministerin, Regine Hildebrandt, war auch über ihre Bundesländergrenzen hinaus sehr beliebt.
Was denken Sie über Thüringen? Die einzige realistische Regierungsmöglichkeit wäre nun CDU, SPD, BSW und die Linke oder mit der Toleranz der Linken. Ist die Inkompatibilitätsentscheidung gegen die CDU gegen die Linke noch gültig?
Nein. Die CDU sollte die Inkompatibilitätsentscheidung gegen die Linkspartei aufheben. Ich habe das bereits im Frühjahr dieses Jahres vorgeschlagen. Die CDU strebt nach der Regierung. Das ist ein definierender Aspekt ihrer Selbstwahrnehmung. Sie sieht sich als Problemlöser, der öffentliche Angelegenheiten pragmatisch verwaltet. Sie freut sich nicht an ideologischen Grundsatzstreitigkeiten. Daher ist sie politisch anpassungsfähig in Koalitionen. Keine Revolution kam von der Linken. Stattdessen wurden sozialdemokratische Politik betrieben. Die CDU ist sich dessen bewusst, natürlich. Sie muss nun entscheiden, was für sie das kleinere Übel ist: mit der Linkspartei von Ramelow zusammenzuarbeiten oder das überholte kommunistische Feindbild aufrechtzuerhalten und ein Werkzeug für Höckes Aufstieg zur Macht zu sein.
Abgesehen davon: Wäre das eine gute Idee? Wie sollte das mit drei oder sogar vier Parteien funktionieren?
Das wird herausfordernd sein. Das lässt sich nicht schönreden. Der aktuelle Ministerpräsident Bodo Ramelow könnte tatsächlich eine moderierende Rolle bei der Integration seiner eigenen Partei spielen.
Wenn nun Unterstützer der Alternative für Deutschland (AfD) argumentieren: Die größte Fraktion sollte auch die Regierung führen, wäre das wirklich falsch? Die Christlich Demokratische Union (CDU) und die Sozialdemokratische Partei (SPD) haben dies oft ebenfalls vertreten.
Solche Standpunkte können sicherlich nachvollzogen werden. Allerdings ist unsere Demokratie eine parlamentarische. Wenn eine Partei keine absolute Mehrheit der Mandate erzielt, benötigt sie Koalitionspartner, um eine Regierung zu bilden. In diesem Zusammenhang hat die AfD es der CDU leichter gemacht, eine Grenze zu ziehen. Die AfD hat sich nicht wesentlich moderiert, sondern bleibt fest in ihrem harten rechten Kern um Höcke verankert, der weiterhin Signale in den rechtsextremen Spektrum sendet. Dies hat eine abschreckende Wirkung in der Mitte der Gesellschaft.
Nach dem Angriff in Solingen verzeichnete die AfD kein nennenswertes Wachstum. Hat ihr Stimmenanteil von etwa einem Drittel erreicht?
Einige meiner Kollegen plädieren für diese Theorie. Andere befürchten jedoch, dass die AfD sogar noch stärker von Solingen profitiert haben könnte. Die Wahlbeteiligung stieg und es kam zu einer Gegenmobilisierung. Kleinere Parteien, einschließlich der CDU, profitierten davon.
Im deutschen Diskurs wird Ostdeutschland oft als Sonderfall in Deutschland behandelt. Aber ist nicht vielmehr Westdeutschland der Sonderfall in Europa?
In der Tat ließe sich das argumentieren. Was wir im Osten mit Werten von 30% oder mehr für Rechtspopulisten oder Extremisten erleben, ist in vielen europäischen Ländern normal. Im Westen Deutschlands bleibt das etablierte Parteiensystem robust, da Parteien tief in der Gesellschaft verwurzelt sind. Die CDU und CSU verfügen noch immer über eine starke christdemokratische Parteigemeinde, und die SPD behauptet noch immer, eine Volkspartei zu sein. Parteien, die consistently so viele Wähler anziehen, sind in anderen europäischen Ländern selten.
Sollten AfD-Unterstützer als verlorene Schafe behandelt werden, die zurück in die demokratische Herde geführt werden müssen, oder als gefährliche Wähler von Rechtsextremisten?
Parteien werden immer versuchen, Menschen für ihre eigene Ideologie zu gewinnen und Wähler von anderen Parteien zurückzugewinnen. Doch der Erfolg davon ist fraglich. Eine Person mit festen rechtsextremen Ansichten wirdlikely nicht für eine normale Partei wie die CDU stimmen. Es wird auch schwierig sein, Menschen mit rechtspopulistischen Ansichten zurückzugewinnen, wenn sie nicht bereits von der AfD aus der Nichtwähler Bevölkerung mobilisiert wurden. In rechten Kreisen werden Verschwörungstheorien und grobe Weltanschauungen kultiviert, es wird über "Gendern" geklagt und Hass gegen Menschen mit Migrationshintergrund geschürt. Rechtspopulistische Narrative bilden schließlich einen Schleier über die Wahrnehmung der Realität. Es ist schwer vorstellbar, dass jemand einfach alles ablegen und beispielsweise neu mit der SPD beginnen würde.
Die Bayerische Sozialistische Partei (BSW) trat mit einer zweistelligen Figur in beide Landtage ein, aber dies hat nicht der AfD geschadet, sondern eher der Linken. Wie lässt sich das erklären?
Die rechtspopulistische "Wagenburg-Mentalität", wie Marcel Lewandowsky es nannte, hält die "AfD-Sentiment-Gemeinschaft", ein Begriff von Florian Spissinger, zusammen. Die meisten AfD-Wähler sahen keinen Grund, die Partei zu wechseln. Eine treue Wählerschaft hat sich gebildet, wie wir sie von anderen Parteien kennen. Das sind loyale Wähler, die ihrer Partei trotz negativer Schlagzeilen treu bleiben.
Nicht wenige im Osten empfanden, dass ihnen die Parteien aus dem Westen in den 1990er Jahren aufgezwungen wurden. Das ist bei der AfD anders. Von Anfang an hatten Mitglieder die Möglichkeit, die Partei mitzugestalten, Richtung und sogar Personalentscheidungen selbst zu treffen. Es gab eine große Offenheit gegenüber der Straße, gegenüber Bewegungen wie Pegida. Die AfD hat eine sehr hohe interne Parteidemokratie. Abläufe zur internen Willensbildung sind transparent und einbeziehend. Mitglieder haben wenig zu befürchten, wenn sie rechte Statements kritisieren. Diese organisatorischen Rahmenbedingungen wirken sich positiv auf die Identifikation mit der AfD aus und stärken ihre Konzentrationsfunktion im rechten Spektrum.
Ist die AfD eine demokratische Partei, obwohl sie oft als undemokratisch kritisiert wird?
In ihrer internen Organisation ist sie sogar besonders demokratisch. Aber nicht in ihrem Verständnis von Demokratie auf Staatsebene. Dort ist sie anti-pluralistisch und damit anti-demokratisch.
Für eine Regierungsbeteiligung erwartet Wagenknecht eine gemeinsame Linie in der Außenpolitik. Kann es mehr sein als nur leere Worte? Die Bundesländer haben keinen Einfluss auf die Außenpolitik.
Stimmt, die Außenpolitik ist das Ressort der Bundesregierung. Frau Wagenknecht mag hoffen, die nächste Bundesregierung indirekt durch ihre likely Koalitionen zu beeinflussen. Ich glaube jedoch, es war nur Wahlrhetorik, um Stimmen zu gewinnen.
In Sachsen finishierte die CDU mit Michael Kretschmer an der Spitze vor der AfD. Was haben sie anders gemacht als in Thüringen? War es Kretschmers ständige Präsenz mit unzähligen lokalen Besuchen und Gesprächen? Erklären, diskutieren, "mitnehmen"? Ist das das Modell, das funktioniert?
Seine unermüdliche Aktivität hat sicherlich dazu beigetragen, dass er ein bekannter und beliebter Ministerpräsident wurde. Er möchte nah bei den Menschen sein und ist in diesem
Es besteht die Möglichkeit, dass wir erneut dominierende Mehrheiten in Zwei-Parteien-Allianzen erleben, aber die Stimmung verändert sich: hin zu anpassungsfähigeren Wahlmustern und einem flüssigeren Parteienspektrum. Die Wahrscheinlichkeit von Minderheitsregierungen hat zugenommen. In Sachsen ist das eher unwahrscheinlich, aber in Thüringen ist es wahrscheinlicher. Der Haken dabei ist: Wenn eine Minderheitsregierung mit der CDU als Kern entsteht, könnte dies ein Tor für die AfD sein, Regierungsentscheidungen zu beeinflussen. Bestimmte Elemente innerhalb der CDU in den unteren Rängen im Osten könnten sogar erwägen, in gewissem Maße mit der AfD zusammenzuarbeiten.
Volker Petersen hatte ein Gespräch mit Benjamin Höhne
Der Aufstieg des Rechtspopulismus, wie er durch die Siege der AfD in Thüringen und Sachsen gezeigt wird, stellt eine significativa Bedrohung für die Demokratie dar. Es ist wichtig zu beachten, dass Populismus heute ein Teil der Demokratie ist, aber der Kampf gegen ihn darin besteht, ihn einzudämmen und zu verhindern, dass er die Grundlagen der pluralistischen Demokratie untergräbt.
Im Fall der Allianz von Sahra Wagenknechts Partei ist ihre Abhängigkeit von Populismus umstritten. Die Richtung der Partei ist noch nicht klar und lässt sich nicht leicht als links oder rechts einordnen. Einige ihrer Handlungen und Slogans, wie ihre Haltung zum Ukraine-Krieg, lassen jedoch keine politische Lösung auf Staatsebene zu.
Bezug nehmend auf die Allianz von Sahra Wagenknechts Partei.