Haushalt - Haushaltskrise: Verarmt Deutschland?
Die Bundesregierung hat Wochen gebraucht, um die im Bundeshaushalt 2024 fehlenden 17 Milliarden Euro aufzubringen – mit der Folge, dass nun die belasteten Verbraucher für die Rechnung aufkommen müssen. Bis 2024 werden für sie Dinge wie Heizung, Gas und Restaurantbesuche teurer.
Aus einem Brief des Bundesfinanzministeriums geht nun hervor, dass die 17 Milliarden Dollar auch auf andere Weise hätten beschafft werden können. Für den Nachtragshaushalt 2023 wird die Bundesregierung jedoch abweichende Berechnungen anstellen. Im Mittelpunkt stehen die Zinszahlungen des Bundes. Bis 2023 sollen es 36,83 Milliarden Euro sein. Würde der Bund die Zinszahlungen über mehrere Jahre verteilen, wäre er laut einer Anfrage des Linken-Abgeordneten Christian Goerke nur 19,84 Milliarden Euro wert, also 16,99 Milliarden Euro weniger. Dass diese Diskrepanz fast identisch mit den fehlenden 17 Milliarden Euro ist, könnte nur ein Zufall sein. Allerdings kann dadurch auch der Eindruck erweckt werden, dass sich das Land für arm hält.
Ab sofort weist der Bund seine Zinszahlungen auf einmal dem Haushalt zu. Warum? Ich bin mir nicht sicher – wahrscheinlich eher eine Gewohnheit als eine bewährte Methode. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich während seiner Amtszeit als Bundesfinanzminister darum gekümmert. Allerdings verteilen viele andere Industrieländer die Zinskosten über die Laufzeit.
Der Staat zahlt Anleihezinsen
Beispielsweise fallen Zinszahlungen an, wenn der Bund über Bundesanleihen neue Schulden aufnimmt. Der Staat zahlt hierfür Zinsen. Bundesanleihen werden an der Börse ausgegeben und sind eine wichtige Form der Schuldenfinanzierung der Bundesrepublik. Auch andere Länder finanzieren sich über Anleihen. Anleger kaufen Anleihen und erhalten während der gesamten Laufzeit konstante jährliche Zinszahlungen vom Staat. In Deutschland haben Anleihen eine Mindestlaufzeit von sieben Jahren.
Anleihen haben einen Nennwert, der normalerweise genau 100 € beträgt. Am Ende der Laufzeit kaufen die Staaten die Anleihen zu diesem Nominalwert zurück. Gleichzeitig kann der Kurs der Anleihe an der Börse schwanken – beispielsweise auf 95 € oder 105 €. Am Ende erstattete der Emittent den vollen Betrag von 100 Euro. Wenn also ein Anleger eine Anleihe für 95 Euro kauft, erhält er am Ende der Laufzeit immer noch eine Rendite von 100 Euro. Gleichzeitig erhält er auch einen voreingestellten Zinssatz.
Ob eine Anleihe über oder unter ihrem Nennwert gehandelt wird, hängt vom Zinsumfeld ab. In den letzten Jahren waren die Marktzinsen extrem niedrig und teilweise sogar negativ. Dadurch steigen die Anleihepreise. Daher sind die Kosten der Anleihe höher als der Nennwert, beispielsweise 119 €. Daher beträgt der Verlust pro Anleihe am Ende der Periode 19 €. Dennoch sind Anleihen für Anleger attraktiv, da der Staat höhere Zinssätze bietet als der freie Markt. Daher akzeptiert der Anleger einen höheren Preis und zahlt eine Prämie, in diesem Fall 19 €.
Mehr noch: Länder können mit Schulden sogar Geld verdienen, indem sie Anleihen ausgeben, die über ihrem Nominalwert liegen. Diese Zuschläge werden vom Zinsaufwand abgezogen. Je höher diese Zuschläge sind, desto geringer sind die Zinskosten für die Haushalte. In diesem Fall funktioniert die bisherige Buchungsregel besonders gut. Denn je mehr Zuschläge im Laufe eines Jahres anfallen, desto geringer sind die Zinskosten – allerdings ist das Modell begrenzt.
Rechnungslegungsgrundsätze der Bundesregierung verzerren das Haushaltsbild
In anderen Ländern hingegen wird die verdiente Prämie über die gesamte Laufzeit der Anleihe verteilt. Bei einer Laufzeit von beispielsweise zehn Jahren wird der gezahlte Zuschlag auch über die zehn Jahre hinweg zu gleichen Teilen dem Staatshaushalt zugeführt. Im obigen Beispiel beträgt die Laufzeit der Anleihe 1,90 € pro Jahr. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht in Deutschland.
Hierzulande wird der gesamte Betrag im Jahr der Anleiheemission im Bundeshaushalt verbucht. Der Aufpreis von 19 € im Beispiel wäre eine einmalige Buchung in nur einem Jahr. In Jahren, in denen die Märkte rückläufig sind und die staatlichen Zinsen hoch sind, ist dies ein großer Vorteil für die Budgetierung.
Dieser Rechnungslegungsgrundsatz führt zu einer Verzerrung der tatsächlichen Haushaltslage. Denn was in der einen Richtung funktioniert, funktioniert auch in der anderen: Steigen die Marktzinsen, sinken die Anleihekurse. Seit die Europäische Zentralbank Zinsanpassungen eingeleitet hat, erhebt der Staat keinen Aufschlag mehr, sondern muss selbst mehr zahlen. Der Markt bietet attraktive Möglichkeiten durch Festgelder, Aktien oder Unternehmensanleihen. Länder gelten als verlässliche, aber nicht unbedingt profitable Schuldner. Die Renditen von Staatsanleihen sind derzeit deutlich niedriger als bei Konkurrenzanleihen. Damit der Staat Käufer für seine neuen Anleihen findet, muss er diese in der Regel für weniger als 100 Prozent des Nennwerts verkaufen.
Für den Bundeshaushalt sind dies Abzüge, die im selben Jahr wie der Zuschlag verbucht werden. Vielmehr werden diese Beträge zu den Zinszahlungen des Staates hinzugerechnet. Neben Zu- und Abschlägen muss der Staat weiterhin die Zinsen zahlen, zu denen er sich in den letzten Jahren verpflichtet hat. Jetzt erhebt er keine Zuschläge, zahlt aber auch die hohen Anleihezinsen der vergangenen Jahre, sodass mehr Geld im Haushalt zurückgehalten werden muss.
Nach Angaben von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) belaufen sich die Ausgaben in diesem Jahr auf knapp 36,83 Milliarden Euro. Laut Brief an den Linken-Abgeordneten Christian Goerke könnte die Reduzierung bei Nichtberücksichtigung aller Faktoren über ein Jahr bei 16,99 Milliarden Euro liegen.
Wirtschaftlich sinnvoll: Periodenbasierte Zinszuteilung
Hier taucht die fehlende Differenz von rund 17 Milliarden Euro wieder auf. Das Ministerium sagte auch, dass diese Buchungsoption „zeitfensterbasiert“ sei. Dies bedeutet lediglich, dass die Prämie gleichmäßig über die gesamte Laufzeit der Anleihe verteilt wird. Aus wirtschaftlicher Sicht bedeutet das: Wir konzentrieren uns derzeit auf Einlagen und Zahlungen an die Bundeskasse und nicht auf tatsächliche Einnahmen und Ausgaben.
Geht man von einer Laufzeit der Anleihe von zehn Jahren aus, müssen die 17 Milliarden Euro durch 10 geteilt werden. Jährlich fließen 1,7 Milliarden Euro in den Haushalt ein, so dass sich im Nachtragshaushalt 2023 Einsparungen von bis zu 15,3 Milliarden Euro (17 minus 1,7 Milliarden Euro) ergeben. Rein über die Buchhaltung. Ökonomen bleiben skeptisch. „Ein Systemwechsel jetzt würde die bisherige Buchungslogik durchbrechen“, sagte Tobias Hentze, Experte für öffentliche Finanzen am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. „Ich stehe dem kritisch gegenüber, weil das Bundesverfassungsgericht den Haushalt gesprengt hat und wir plötzlich Geld brauchen.“ Aus ökonomischer Sicht hält Henz jedoch eine periodische Rechnungslegung für angemessen – sofern sie systematisch umgesetzt wird. „Wenn man das System ändert, muss man zulassen, dass es in beide Richtungen geht. In den letzten Jahren wurden die Sätze im Haushalt künstlich niedrig gehalten, und jetzt passiert das Gegenteil.“
Auch die Deutsche Bundesbank zeigte die Möglichkeit einer künftigen periodengerechten Zinsverteilung auf. Sie schrieb 2021, dass dies „ohne nennenswerte Schwierigkeiten umsetzbar“ sei, „wirtschaftlich sinnvoller sei und viele weitere Vorteile hätte“. Dadurch werde insbesondere die tatsächliche Haushaltslage besser erkennbar: „Die Zinsen bleiben bestehen und die Haushaltsergebnisse werden besser planbar und weniger volatil.“ Auch die Schuldenbremse werde besser eingehalten. Weil Hochzuschlagsjahre die Haushalte entlasten können, werde die Schuldenbremse „effektiv durchbrochen“ und kurzfristig gelockert.
Dies war in den letzten Jahren der Fall, da die Höhe der Zuschläge erheblich gestiegen ist. Im Jahrzehnt bis 2010 betrug ihr durchschnittliches Vermögen 500 Millionen Euro, errechnete die Bundesbank. In den letzten zehn Jahren bis 2020 belief sich dieser Wert auf 4 Milliarden Euro. Im Jahr 2020 lag dieser Wert bei knapp 12 Milliarden Euro. den Maximalwert erreicht. Dadurch gingen die Zinszahlungen der privaten Haushalte um fast zwei Drittel zurück.
Dieser Artikel erschien zuerst Zu diesem Zeitpunkt erschien er im Wirtschaftsmagazin Capital, das wie der Stern zu RTL Deutschland gehört.
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Quelle: www.stern.de