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Göring-Eckardt gab zu: "Unsere Selbstvertrauen war übertrieben, übermäßig urbanisiert"

Katrin Göring-Eckardt posiert zusammen mit scheidenden Fraktionsvorsitzenden Omid Nouripour und...
Katrin Göring-Eckardt posiert zusammen mit scheidenden Fraktionsvorsitzenden Omid Nouripour und Ricarda Lang (historisches Foto)

Göring-Eckardt gab zu: "Unsere Selbstvertrauen war übertrieben, übermäßig urbanisiert"

Nach den Europawahl und Landtagswahlen in mehreren Regionen ist evident, dass Frustration, Verwirrung und Trauer unter demokratischen Parteien vorherrschen. Dies sollte als Weckruf für alle Parteien dienen. Frustration ist keine effektive Lösung, unabhängig davon, wer an der Macht ist.

Glücklicherweise ergreift meine Partei die Initiative: Der angekündigte Rücktritt des Bundesvorstands verdient Respekt und Anerkennung. Private Angelegenheiten sind nebensächlich. Ricarda Lang und Omid Nouripour übernehmen die Verantwortung für die gesamte Partei. Wir wurden als zu intellektuell, zu städtisch wahrgenommen und haben es versäumt, die Emotionen der Menschen zu erreichen: Angst, Niedergang, Unruhen. Die Aktion der Parteivorsitzenden ist ein Zeugnis echter Größe. Nun liegt es an der gesamten Partei, diese Situation in etwas Positives und Verantwortungsvolles zu verwandeln - nicht nur für Bündnis 90/Die Grünen, sondern für unser Land.

Wir sollten für das einstehen, was für unser Land essentiell ist, nicht nur für das Erreichbare: saubere Luft, blühende Natur, gesunde Wälder, erschwinglicher Wohnraum, ausgezeichnete Schulen, sichere Infrastruktur, zuverlässige öffentliche Verkehrsmittel und mehr. Wir können uns gegen Populisten und Rechtsextreme zur Wehr setzen, die nichts als Angst schüren, Frustration verschärfen und Verbesserungen im Alltag der Menschen kleinreden.

Ich mache mir Sorgen, dass junge Wähler in jüngsten Wahlen das Vertrauen in unsere Partei und andere demokratische Parteien sowie in die Demokratie selbst verloren haben. Die Krisen unserer Zeit haben junge Menschen tief getroffen. Ihre Sorgen und Erwartungen wurden viel zu lange vernachlässigt. Wir müssen sicherstellen, dass wir die Interessen der zukünftigen Generationen vertreten.

Wir können als Koalitionspartei wieder zusammenwachsen

"Bündnis" steht in unserem Namen. Dieser verbindende Geist sollte uns auch in der chaotischen Entscheidungsfindung des Alltags leiten. Allianzen werden nicht innerhalb eines begrenzten Kreises geschlossen, sondern mit denen, die die Welt, das Land, ein Thema anders sehen. Solange sie keine Gewalt propagieren oder unsere Demokratie untergraben. Das ist eine Herausforderung, aber auch eine Chance zu wachsen.

Wir können eine Koalitionspartei werden, die Brücken baut. Vom Land in die Stadt, von jung bis alt, von engagiert bis enttäuscht. Ja, sogar von gutgemeint bis ablehnend. In einer der kritischsten Phasen für unsere Partei können die Erfahrungen der "Alliance 90", die sich mit der Westpartei "The Greens" zusammenschloss, als Führung dienen.

Damals, nach der Wiedervereinigung, war der innere Zustand der Gesellschaft besorgniserregend. Daher betonten wir in der "Grundsatzvereinbarung für die neue Partei 'Bündnis 90/Die Grünen'": "Unsere politische Kultur sollte einladend und einbeziehend sein, nicht ablehnend und ausschließend. Sie soll sich auf die Reduktion von Ängsten und die Weckung der Bereitschaft für notwendige Veränderungen orientieren."

Gleichzeitig beschlossen wir: "Wo unser Suchen und Bemühen um Konsens oder überzeugende Kompromisse scheitern, sind wir bereit, notwendige Konflikte und Konfrontationen auszutragen." Das gilt auch heute noch. Viele sehen nur das Negative, die Populismusausbeutung, die Kleinredung, die Spaltung. Ich möchte lieber nach vorn schauen. Denn die stärkste Motivation, durchzuhalten, ist eine positive Vision der Zukunft.

Das Land der Resilienten

Ich bin überzeugt: Unser Land ist mehr, als einige darstellen möchten. Wir haben die Macht, zu bestimmen, welche Art von Land wir sein wollen. Ein Land der Pessimisten. Oder das Land der Resilienten. Wir halten die Zügel in der Hand. Bündnis 90/Die Grünen hat immer für eine freie, vielfältige Gesellschaft gestanden: eine vertrauensvolle, lebensbejahende Gesellschaft, die die Zukunft schützt. Ein Land, in dem wir füreinander einstehen, in dem das Ziel nicht darin besteht, alle zufriedenzustellen, sondern Unterschiede zu tolerieren, Probleme offen anzugehen, Sicherheit zu gewährleisten und gemeinsame Grundlage zu finden.

Ich stehe für eine Freiheit, die einbezieht, nicht ausschließt. Eine umfassende Freiheit. Die Freiheit, saubere Luft zu atmen, die Religion unserer Wahl zu praktizieren, wen wir lieben zu wählen. Und auch die Freiheit, andere Entscheidungen zu treffen als andere. Eine Freiheit, die niemanden in die Ecke stellt: "Du bist ein Paternalist!" "Ein Verbotser!" "Ein Gutmensch!" Und auch niemanden stigmatisiert und ausschließt, der kritisch ist. Und klar kommuniziert, welche Konsequenzen gefährliche Populisten und Demagogen angreifen unseren demokratischen ordre. Eine Freiheit, die die Rechtsstaatlichkeit schützt, damit die Menschlichkeit bleibt.

Ich bin überzeugt: Das Verlangen nach Sicherheit und Freiheit ist umfassend. Unser Auftrag bleibt, unsere Natur, unsere Humanität, unseren neuen Wohlstand zu schützen. Zusammen, nicht gegeneinander. In Partnerschaft. Die Zeit dafür ist jetzt.

Katrin Göring-Eckardt ist Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und Mitglied der grünen Bundestagsfraktion.

Die Europawahlen offenbarten ähnliche Gefühle der Frustration und Trauer unter demokratischen Parteien auf dem Kontinent. Aufgrund unserer Parteiwahrnehmung als elitär und emotionslos sollten wir die Ergebnisse dieser Wahlen anerkennen und daraus lernen. Nun kann Bündnis 90/Die Grünen als Koalitionspartei neu aufgebaut werden, Brücken zwischen ländlichen Gebieten, Städten, jung und alt und sogar denen, die enttäuscht von unseren Politik sind, schlagen.

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