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EU-Asylreform: Ist der ewige Streit nun gelöst?

Die EU versucht seit Jahren, das Asylsystem zu reformieren. Kaum ein Thema wurde in letzter Zeit so heftig diskutiert wie die Einwanderung. Jetzt gibt es einen Durchbruch.

Migranten erklimmen den Zaun auf der Insel Lampedusa. Foto.aussiedlerbote.de
Migranten erklimmen den Zaun auf der Insel Lampedusa. Foto.aussiedlerbote.de

Fragen & Antworten - EU-Asylreform: Ist der ewige Streit nun gelöst?

Nach langem Ringen einigten sich die EU-Länder und das Europäische Parlament auf eine Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems. Es sieht deutlich verschärfte Regeln für Asylverfahren vor. Details zum Deal und was er für Deutschland bedeutet – die wichtigsten Fragen und Antworten:

Warum muss das Asylsystem reformiert werden?

Zuletzt ist die Zahl der Flüchtlingsankünfte wieder deutlich gestiegen. Bis Anfang Oktober gingen in diesem Jahr mehr als 800.000 Asylanträge in der Europäischen Union, Norwegen und der Schweiz ein. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ist dies der höchste Wert seit 2016. In diesem Jahr haben in Deutschland bis Ende November mehr als 304.000 Menschen erstmals Asyl beantragt, mehr als doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum.

Seit etwa 2016 laufen die Reformarbeiten auf Hochtouren. Beispielsweise wurden Länder wie Griechenland in den Jahren 2015 und 2016 von der Ankunft einer zunehmenden Zahl von Menschen aus Syrien überwältigt. Hunderttausende Menschen können ohne Registrierung in andere EU-Länder reisen.

Das darf nicht passieren, denn nach der sogenannten Dublin-Verordnung müssen sich Asylbewerber dort registrieren lassen, wo sie erstmals in die EU einreisen. Grundsätzlich sollten dort auch Asylanträge bearbeitet werden. Derzeit wird dieses System reformiert. Ziel ist es, die irreguläre Migration einzudämmen und die Außengrenzen besser zu schützen.

Was soll jetzt mit den Außengrenzen passieren?

Die Reform sieht harmonisierte Grenzverfahren an den Außengrenzen vor. Insbesondere ist ein härteres Vorgehen gegen Personen aus Ländern geplant, die als relativ sicher gelten. Menschen sollen bis zu zwölf Wochen lang unter gefängnisähnlichen Bedingungen in Internierungslagern untergebracht werden können, bevor über ihren Asylantrag entschieden wird.

Personen aus Ländern mit einer Identifizierungsrate von weniger als 20 % und Personen, die als Gefahr für die öffentliche Sicherheit gelten, müssen künftig solche Grenzverfahren durchlaufen. Im Rahmen des Projekts können bei Ankommenden Fingerabdrücke abgenommen und fotografiert werden, außerdem kann überprüft werden, ob sie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen.

Bei besonders starken Einwanderungszahlen könnten die Standard-Asylverfahren von der sogenannten Krisenregelung abweichen. Beispielsweise kann die Dauer der Unterbringung von Personen unter gefängnisähnlichen Bedingungen verlängert werden. Darüber hinaus könnte der Kreis der Anspruchsberechtigten für die geplanten strengen Grenzverfahren erweitert werden. Dies gilt für Personen aus ihrem Herkunftsland mit einer Identifizierungsquote von bis zu 50 %.

Was passiert mit abgelehnten Asylbewerbern?

Abgelehnte Asylbewerber sollen leichter in sichere Drittstaaten abgeschoben werden können. Durch dieses Abkommen können nun mehr Drittländer als sichere Länder eingestuft werden, und sogar Teile des Landes können künftig als sichere Länder gelten. Als Grundlage können auch nationale Bewertungen dienen. Gilt das Drittland als sicher, sollen auch Personen aus Ländern mit hoher Identifikation (derzeit Syrer und Afghanen) dorthin überwiesen werden können.

Wie werden Flüchtlinge verteilt?

Dieses Thema stand in den letzten Jahren im Mittelpunkt der Debatten zwischen den EU-Ländern. Dem Plan zufolge soll die Verteilung nun über einen „Solidaritätsmechanismus“ geregelt werden: Wenn Mitgliedsstaaten keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, müssen sie auf andere Weise Unterstützung leisten, etwa in Form von Barzahlungen. Länder wie Ungarn weigerten sich, ihren Solidaritätsverpflichtungen nachzukommen. Allerdings konnten sich die EU-Staaten im Juni auch ohne Ungarns Zustimmung auf einen gemeinsamen Standpunkt einigen.

Entscheidungen darüber, welches EU-Land für die Umsetzung der jeweiligen Asylverfahren verantwortlich sein wird, sollten schneller als vor der Anwendung vereinfachter Regeln getroffen werden. Es gilt jedoch weiterhin das Prinzip der Zuständigkeit des ersten EU-Landes, in das der Asylbewerber einreist. Berücksichtigt werden auch familiäre Bindungen und die Frage, ob jemand seinen Bildungsabschluss in einem EU-Land erworben hat.

Wie kam es nach Jahren des Stillstands zu einer Einigung?

Erstens sind die meisten EU-Länder entschlossen, zu verhindern, dass der russische Präsident Wladimir Putin weiterhin von den Differenzen der EU in der Migrationsfrage profitiert. Er wird verdächtigt, hinter einigen der in den vergangenen zwei Jahren neu errichteten Migrationsrouten zu stecken, etwa durch Weißrussland. Sein Ziel – das glaubt zumindest Brüssel – ist die Destabilisierung der EU. Zweitens hoffen viele der zuletzt an den Verhandlungen beteiligten Politiker, den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien zu bremsen, die eine strikte Haltung zur Einwanderung vertreten. Das gilt auch für Vertreter der Bundesregierung, etwa Innenministerin Nancy Feser (SPD) oder Außenministerin Annalena Berbock (Grüne).

Was bedeutet das jetzt für Deutschland?

Die Situation in Deutschland wird sich kurzfristig nicht ändern. Die Umsetzung der derzeit politisch vereinbarten Regelungen wird Jahre dauern. Dennoch dürfte die Zahl der Menschen, die die deutschen Grenzen visumfrei überqueren, langfristig sinken, da einige Schutzsuchende direkt von den Außengrenzen zurückgeschickt werden und strengere Regeln abschreckend wirken.

Das wollen neben den Verhandlungsführern auch CDU und CSU sowie die Länder und Kommunen. Letztere sind teilweise mit der Unterbringung und Betreuung der großen Zahl an Asylbewerbern und ukrainischen Flüchtlingen überfordert. Sollte die Zahl der unerlaubten Einreisen mittelfristig deutlich zurückgehen, sollen die Mitte Oktober von der Bundespolizei eingeführten Binnengrenzkontrollen an den deutschen Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz enden.

Ist damit die Kontroverse um die deutsche Einwanderungspolitik beendet?

NEIN. An der Ampel nähert man sich dem Thema. Der Deal mit Brüssel kommt zustande, da einige Streitpunkte zwischen FDP und Grünen über Einbürgerungs- und Abschiebepraktiken auch in Berlin geklärt werden. Doch die Opposition bleibt kritisch. Die Alternative für Deutschland ist der Ansicht, dass strengere Regeln nicht ausreichen.

Bündnispolitiker zeigten sich zufrieden mit dem Deal. Sie kritisieren jedoch weiterhin Innenminister Feather, der sich in den letzten zwei Jahren aktiv an den Verhandlungen beteiligt hat. „Die europäische Asylpolitik hat einen Schritt nach vorne gemacht, nicht wegen der Bundesregierung, sondern trotz ihr“, sagte Andrea Lindholz (CSU), Vizepräsidentin der Bundestagsfraktion. Glücklicherweise werden sich Fesers Forderungen nach einer „Aufweichung der Grenzverfahren“ in Brüssel offensichtlich nicht durchsetzen. Politiker auf der linken Seite haben einfach Angst. Die Innenpolitikerin Clara Bünger sieht in der Vereinbarung „einen Ausdruck des Vorstoßes der Bundesregierung, die Gesellschaft durch Anti-Asyl-Rhetorik und -Politik nach rechts zu rücken“. Auch private Seenotrettungsverbände sind skeptisch. „Nur weil Menschen in Europa Schutz suchen, auch Familien mit Kindern, besteht die Gefahr, sie an der Grenze festzuhalten“, sagte Gordon Isler von SeaEye. Nach dieser Wende in der europäischen Asylpolitik werden künftige Generationen „für die universelle Gültigkeit der Menschenrechte als Errungenschaft der Zivilisation kämpfen müssen“.

Was kommt als nächstes?

Die Vereinbarung muss noch vom Plenum des Europäischen Parlaments und den EU-Ländern bestätigt werden. Dies ist in der Regel nur eine Formsache und sollte vor den Europawahlen im kommenden Juni erfolgen. Berichten zufolge haben sich die Mitgliedstaaten auf eine zweijährige Umsetzungsfrist geeinigt. Dadurch soll den Staaten an der Außengrenze genügend Zeit gegeben werden, geeignete Einrichtungen für die Unterbringung von Personen einzurichten, die aus Staaten mit einer Identifizierungsquote von unter 20 % ankommen.

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Quelle: www.stern.de

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