Eine größere Zahl von Kinderschutzfällen wird durch Gerichtsverfahren gelöst.
"In vielen Haushalten ist es nicht gut bestellt", sagt eine Familienrichterin aus Wiesbaden. Die Ursachen dafür sind vielfältig: hoher Medienkonsum, Gewalt und psychische Erkrankungen. In der Folge landen immer mehr dieser Probleme im Gerichtssaal.
Die hessischen Richterinnen und Richter beobachten eine alarmierende Zunahme von Gewalt und psychischen Problemen in den Familien, was zu einer steigenden Zahl von Kinderschutzfällen vor Gericht führt. "Der Zustand in vielen Familien verschlechtert sich", warnt Doris von Werder, Familienrichterin am Amtsgericht Wiesbaden. Sie beobachtet, dass immer mehr Kinder und Jugendliche Verhaltensauffälligkeiten und psychische Probleme zeigen. Von Werder hofft auf eine Aufstockung der Mittel für die Familien- und Jugendhilfe sowie für die Lehrerausbildung. "Wenn nicht, befürchte ich, dass wir dunklen Zeiten entgegengehen."
Im Jahr 2023 wurden beim Amtsgericht Wiesbaden 694 Sorgerechtsverfahren, darunter Kinderschutzfälle und Heimunterbringungen, registriert - ein Anstieg von 10 % gegenüber dem Vorjahr mit 512 Fällen. Auch die Zahl der Kinder, die in der Kinder- und Jugendpsychiatrie untergebracht sind, hat deutlich zugenommen.
"Viele Eltern sind aufgrund ihrer eigenen instabilen Persönlichkeit und ihrer Alkohol- oder Drogenprobleme nicht in der Lage, ihre Kinder angemessen zu erziehen", so von Werder. "Die Kinder leiden unter dem Mangel an stabilen Beziehungen und erleben oft Gewalt." Als Problem sieht die Richterin auch den übermäßigen Medienkonsum, wegen dem manche Kinder sogar die Schule schwänzen.
Claudia Dirlenbach, Jugendrichterin in Wiesbaden, stimmt dem zu. Sie stellt fest, dass mehr als 90 Prozent der Jugendgerichtsverfahren Angeklagte aus dysfunktionalen Familienverhältnissen betreffen. "Sie sind der Gewalt ausgesetzt und geben sie weiter", sagt sie. Dirlenbach glaubt, dass der übermäßige Umgang mit gewalttätigen Computerspielen bei Kindern manchmal die Grenzen zwischen Fantasie und Realität verwischt. In extremen Fällen verlieren selbst sehr junge Täter jegliche Hemmungen.
Zu den Schwierigkeiten bei der Bearbeitung von Kinderschutzfällen gehört laut Heidi Fendler, Familienrichterin am Landgericht Frankfurt, auch der Nachweis von sexualisierter Gewalt, insbesondere bei jüngeren Kindern. Es ist schwierig festzustellen, ob psychisch kranke Eltern mit Unterstützung noch erziehungsfähig sind oder nicht, und psychische Probleme scheinen überall auf dem Vormarsch zu sein.
Fendler glaubt, dass die Pandemie, bei der die Kinder isoliert und von der Schule ausgeschlossen wurden, zu diesen Problemen beigetragen haben könnte. "Die Unterbrechung ihres normalen Lebens könnte zu Schwierigkeiten bei der sozialen Interaktion oder sogar zu Depressionen führen", sagt sie. Sie plädiert für eine bessere Personalausstattung in Kindergärten und Schulen, um Kinder mit vielen Problemen zu erkennen.
Fendler teilt die Besorgnis ihrer Kolleginnen und Kollegen über den Mangel an Ressourcen zur Unterstützung von Familien. "Wir brauchen mehr Beratungsstellen, die Kinder beim Medienkonsum begleiten", betont sie. Ein weiterer entscheidender Bedarf besteht an Integrationsassistenten.
Trotz dieser Herausforderungen sieht Fendler Fortschritte bei der Bearbeitung von Fällen häuslicher Gewalt. "Die Gesellschaft nimmt diese Fälle heute ernster als früher", stellt sie fest. Der Anstieg der Fälle, die vor Gericht gebracht werden, könnte auch darauf zurückzuführen sein, dass das Bewusstsein geschärft wurde und die Kinder eher bereit sind, sich gegen Missbrauch auszusprechen.
Auch die Richter am Familiengericht im südhessischen Dieburg haben in den letzten Jahren eine Zunahme von Kinderschutzfällen festgestellt. Der Gerichtssprecher berichtet von einem deutlichen Anstieg in den letzten zwei Jahren, "ohne dass wir mit Sicherheit sagen können", ob dies auf mehr Fälle oder eine erhöhte Aufmerksamkeit zurückzuführen ist. Das Amtsgericht Kassel verzeichnete mehr als eine Verdoppelung der neuen Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung, von 115 Fällen pro Jahr im Jahr 2018 auf 268 Fälle im Jahr 2023. Die Sprecherin äußerte sich nicht zu den möglichen Gründen.
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Quelle: www.ntv.de