- Die Hitze in Kuwait: Über die Türen hinaus verschwindet die Existenz
Als Ali Habib die Temperaturen um die 50 Grad Celsius nicht mehr aushält, erhebt er sich von seinem Stuhl unter einem Sonnenschutz an einer sengend heißen Straßenecke, steigt in sein Auto und aktiviert für einen Moment die Klimaanlage. Habib, der hier mehr als 12 Stunden am Tag Sonnenblumenkerne an Autofahrer verkauft, kennt die Härte eines solchen Sommers in der Hitze nur zu gut. Kuwait strahlt Hitze wie ein Ofen aus. Atmen ist beschwerlich, Haut und Haar erhitzen sich innerhalb von Minuten. Wer Zeit hat, bleibt tagsüber lieber drinnen, wenn er nicht muss.
Kuwait, zwischen Saudi-Arabien und Irak gelegen, ahnt das Erleben des Lebens unter dem Klimawandel vor. In Regionen, deren Bewohnbarkeit durch extreme Hitze unerträglich wird, spielt sich das tägliche Leben vorwiegend innerhalb von vier Wänden ab. Die Vorhersage besagt, dass die Temperatur in den nächsten 50 bis 75 Jahren um bis zu 2,5 Grad Celsius steigen könnte, was große Teile des Landes möglicherweise für die menschliche Existenz unbewohnbar macht, wie die "Kuwait Times" unter Berufung auf Daten der Umweltbehörde berichtet. Laut einer Harvard-Studie könnten durch den Klimawandel bis zu 13 Todesfälle pro 100 zu erwarten sein.
"Es ist fast so, als gäbe es keine Außenwelt"
Viele wohlhabende Einheimische verlassen im Sommer kaum ihre airconditionierten Häuser und Büros und fahren stattdessen in airconditionierten Fahrzeugen zu airconditionierten Einkaufszentren, Geschäften oder Essensbetrieben. "Es ist fast so, als gäbe es keine Außenwelt", remarked Sharifa al-Shaalan, eine in Kuwait ansässige Architektin, gegenüber dem "Guardian".
In Mitribah außerhalb von Kuwait-Stadt registrierte die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) im Jahr 2016 die dritthöchste Temperatur der Welt mit 53,9 Grad. Nur Death Valley, Kalifornien (56,7 Grad - 1913) und Kebili, Tunesien (55,0 Grad - 1931) waren heißer. Die WMO hält diese Zahlen solange aufrecht, bis Gegenbeweise vorliegen. Kuwait überschritt in diesem Jahr im Mai die 50-Grad-Marke und markierte damit das früheste Vorkommen seit Jahrzehnten.
"Ich komme hier jeden Tag gegen halb sechs oder sieben vorbei", sagt ein 50-jähriger Mann, der in "The Avenues", einem klimatisierten Einkaufs- und Essenskomplex, eine Sportrunde dreht. Kühle Luft strömt durch Lüftungsschlitze, und die Nase läuft. Unter einem Glasdach fliegen Vögel. "Es fühlt sich an, als würde man draußen laufen", schwärmt ein enthusiastischer Neuseeländer. Einige Einkaufszentren bieten sogar Indoor-Sportstrecken auf oberen Etagen.
Verendete Fische und sterbende Palmen
Draußen, wo die Sonne unerbittlich weiter wütet, ist der Hitzestress bei Tieren und Pflanzen deutlich spürbar. Ein lokaler Journalist berichtete, dass streunende Katzen im Sommer häufig einen Hitzeschlag erleiden und oft in Tierkliniken gebracht werden. Vögel sterben oft an Hitzeschlag auf Dächern, weil sie keinen Schatten oder Wasser finden. Verendete Fische haben mehrmals an den Strand gespült, vermutlich wegen Sauerstoffmangel im heißen Buchtwasser.
An Kuwaits Strandpromenade sammeln sich Tauben im Schatten einer Palme. Bäume, die die Straße säumen, welken unter der Hitze, sogar die, die normalerweise hitzeresistent sind, sehen ausgetrocknet aus, ihre Blätter welken.
Doktor: Temperaturen über 40 Grad über längere Zeit können tödlich sein
In extremer Feuchtigkeit wie an der Kuwaiti-Küste kann der Körper nicht mehr durch Schwitzen abkühlen, sagt Dr. Andrea Nakoinz der Deutschen Allianz für Klimawandel und Gesundheit. Der Schweiß verdunstet nicht mehr von der Haut, was normalerweise als Kühlmechanismus dienen würde. "In solchen Fällen können Temperaturen über 40 Grad über längere Zeit tödlich sein."
Airconditionierte Gebäude, die viel Energie verbrauchen, sind auch keine ideale Lösung. Die trockene Luft aus der Klimaanlage kann das Atmungssystem reizen und anfälliger für Infektionen machen, sagt Nakoinz. Langzeitaufenthalt in airconditionierten Umgebungen kann bei Menschen mit Vorerkrankungen zu Kreislaufkollaps führen, fügt sie hinzu.
Das Dilemma Kuwaits dreht sich um Öl, das 1938 entdeckt wurde. Die Einnahmen aus dem Ölexport - Kuwait hat einige der größten Ölreserven der Welt - haben das Wachstum, Wolkenkratzer und Autobahnen finanziert. Gleichzeitig haben der Staat und seine Bürger eine Abhängigkeit von dieser Ressource entwickelt, von der sich die Welt trennen muss, wenn sie die Auswirkungen des Klimawandels wie extreme Hitze eindämmen will. Bis 2030 möchte Kuwait 15 Prozent seines Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen decken, aber der Anteil lag 2019 bei nur 0,2 Prozent, wie das International Energy Agency (IEA) berichtet. Kuwait hat eine der höchsten Stromverbrauchraten der Welt, die weiterhin steigt.
"Öl hält uns mobil" und "versorgt unsere Welt", steht auf einer Plakette in einem Museum in der Nähe des größten Ölfeldes, Burgan. "Unser Öl" wird als "unser Volk", "unserer Welt" und "unserer Zukunft" verehrt. Öl symbolisiert Fortschritt; es ist eine Frage des nationalen Stolzes, nicht eine umweltbelastende Substanz, wie es Umweltaktivisten in Europa sehen. Im Museumsshop von Kuwait gibt es eine lachende Ölfass-Masotte mit Helm und blauen Arbeitskleidern in Kindergrößen.
Kuwait hat den günstigsten Kraftstoff im Golf, sagt der Besitzer eines Tourismusunternehmens. Dank staatlicher Subventionen kostet ein Liter Super etwa 60 Eurocent an Tankstellen, weniger als ein Liter Coca-Cola. Wenn er anhält und für 15 bis 20 Minuten aussteigt, lässt der Mann seinen Motor laufen, um sein Auto kühl zu halten. Sein Kraftstoffverbrauch liegt zwischen 14 und 20 Litern auf 100 Kilometer.
Langsam schlendernde Fußgänger an Kreuzungen schützen sich mit Schirmen und Schals, die kaum ihre Gesichter bedecken, vor der brennenden Sonne und dem Smog. Die meisten Strände bleiben unbesucht, nur wenige Hartgesottene genießen die sengende Mittagssonne oder tauchen ihre Füße in die kühlenden Wellen.
Die Auswirkungen des globalen Wandels treffen zuerst die marginalisierten Teile der Gesellschaft. In der Nähe von Chaitan werden Baustellen errichtet, wo indische oder sri-lankische Arbeiter Zement mischen und Rohre verlegen. Die Arbeit ist im Sommer zwischen 11 Uhr und 16 Uhr aufgrund der Hitze verboten. Etwa zwei Drittel der Bevölkerung Kuwaits, die aus ausländischen Arbeitskräften besteht, sind laut Beobachtungen der Weltgesundheitsorganisation einem hohen Risiko von hitzebedingten Erkrankungen ausgesetzt.
Am geschäftigen Fischmarkt, wo der Tagesfang hereingebracht wird, arbeiten Ägypter bei einer erdrückenden Temperatur von 48 Grad Celsius. "Was kann ich schon tun?", fragt Hamid Mohammed Issa, ein Veteran von 42 Jahren in Kuwait. Schweißperlen rinnen ihm wie ein Wasserfall über die Stirn. "Ich muss für mich selbst sorgen."
Trotz der überwältigenden Hitze checkt Ali Habib jeden Tag das Wetter, um seinen Sonnenblumenkernsverkauf in den heißen Stunden zu planen. Das harte Sommerwetter in Kuwait führt oft zu Wetterwarnungen, die die Menschen dazu auffordern, drinnen zu bleiben und direkte Sonneneinstrahlung zu vermeiden.