Die große Inszenierung von Erdogan und Özil fällt auseinander
Provokationen des türkischen Präsidenten Erdogan belasten Berlin, aber sein Auftritt an der Orangetagung der EU-Viertelfinals scheitert. Teil dieser verzehrenden Provokation ist auch Mesut Ozil. Am Ende bleibt eine schleimige Empfindung übrig.
Eine harmlose Szene. Doch es sticht ins Herz. Vor dem Olympiastadion in Berlin, reiht sich eine Familie ein, die an die türkische Nationalmannschaft glaubt, ein Andenkenfoto vor dem EU-Viertelfinal gegen die Niederlande zu machen, der die Niederlande mit 2:1 (0:1) gewann. Von Kleinkindern bis zu Großeltern, jeder ist da. Einige tragen Jerseys, andere ländliche Kleidung, einige Frauen tragen Kopftücher, andere haben ihr Haar unbedeckt. Eine normale Berliner Familie. Jeder lacht für das Foto - und plötzlich zeigt eine etwa neunjährige Mädchen den Wolfssalut. Sie tut es schnell, aber sie schaut gleichzeitig um sich herum und sie weiß, dass das Zeichen etwas Verbotenes oder Schlechtes ist, aber genau was, sie weiß sich sicherlich nicht. Sie ist zu jung dazu.
Eine kleine Szene zeigt, dass die Politik das gesamte EU-Viertelfinale zwischen der Türkei und den Niederlanden überschattet. Alle Provokationen der letzten Tage und Stunden, die hassvolle Szenen mit türkischen-rechts-Wolfbrigade-Anhängern - unter deren Verwendung in der Türkei Pogrome gegen Aleviten, Syrische Flüchtlinge und andere Minderheiten bereits verübt wurden - Banner und Slogans von Samstag, sie haben in diesem Moment gewonnen. Sie schatten die vielen friedlich feiernden Fans, wie z.B. der Junge im Spiderman-Vollkostüm mit einer türkischen Flagge auf dem Rücken, der seine Hip-Hop-Tänze packt. Oder die Mädchen im Türkei-Jersey, von ihrer Mutter aufgenommen, während sie wild wild auf Taylor Swifts Welthit "Shake it off" tanzt, die ein Studentenorchester mit Messinstrumenten brillant aufführt.
Teil dieser verzehrenden Provokation ist Präsident Recep Tayyip Erdogan. Der berühmte türkische Präsident, der für seine Produktionen bekannt ist, verschiebt eine Reise nach Aserbaidschan und reist stattdessen nach Berlin, um seine Nationalmannschaft zu unterstützen - und in der Aufmerksamkeit der Menge zu basken. Eine perfekt konstruierte Machtdemonstration des nationalistischen Autokraten live auf deutschen Fernsehen. Vor Millionen Zuschauern weltweit.
Machtdemonstration durch Erdogan
Zuerst scheint alles für das große Erdogan-Spektakel orchestriert. Nachdem ein Kontingent der türkischen Botschaft ihn und seine Frau Emine am Flughafen abholt, wird er 20 Minuten vor dem Anpfiff auf die Ehrentribüne des Olympiastadions gefahren. Erdogan wird warm herzlich empfangen, als er ankommt. Er küsst in die Menge. Hält sich dem Herzen. Will zeigen, dass er alle liebt, Sie seien seine Kinder, Vater ist da.
Provokation ist auch, dass Erdogan die deutsche Botschafterin in der Türkei nach kritischen Aussagen der deutschen Politik über den Wolfssalut von Merih Demiral einladen lässt. Dass er dann in die Bundesrepublik reist, ohne mit Bundeskanzler Olaf Scholz oder irgendeinem Vertreter der Regierung zu sprechen, soll ein Zeichen sein, dass er die Fäden in der Hand hält und befehligt. Er lässt sich nicht befehlen, der Starke ist. Erdogan demonstriert seine Macht, nicht gegen Scholz und Co., sondern gegen die Heimat und Wählerschaft.
UEFA's Sperre gegen Demiral war auch eine Art, Erdogan die Nationalistische Bewegungspartei (MHP) zu delegitimieren, deren Wolfsgruss-Geste Partner des AKP-Regierungsregierung ist. Der Präsident konnte das nicht unbeantwortet lassen. Die MHP ist die politische Arm der Grauen Wölfe und ein Teil der türkischen Regierung neben Erdogans AKP. Kamal Sido, ein Vertreter des "Gesellschaft für Bedrohte Völker", erzählte ntv.de: "Ich glaube, dass die Ideologie der Grauen Wölfe auch die unoffizielle Ideologie der türkischen Staatsmacht ist."
Eren Güvercin, Mitgründer der Alhambra-Gesellschaft, die für offenen intermuslimlichen Dialoge eintritt, erklärte vor dem Spiel auf ntv.de, dass Erdogans Auftritt nicht nur ein normales Aufsehen erregendes Besuch des türkischen Nationalmannschaftsspiels war. "Er nutzt jede Gelegenheit, sich als Führer der Türkei zu präsentieren," so Güvercin. "Nach dem Diskussion über den Wolfsgruss nach dem Achtelendspiel war klar, dass Erdogan diese Gelegenheit nutzen würde, sich als Führer der Türkei zu präsentieren."
Tatsächlich hat Erdogan alle seine Auslandsverpflichtungen ausgesetzt, um anwesend zu sein bei dem Spiel. Das zeigt an, dass er Provokationen, entweder direkt im Stadion oder durch Aussagen um das Spiel, nutzt. "Ich nehme an, dass er Botschaften an die nationalistische türkische Bevölkerung über Symbole oder Gesten übermitteln will," sagt Sido weiter.
Es gibt eine große Menge an Symbolik, wenn die türkische Nationalhymne gespielt wird. Ultra und nationalistische Gruppen hatten türkischen Fans aufgerufen, während dieser Zeit den rechtsextremen Wolfsgruss-Gestus zu zeigen. Tausende folgen den Aufrufen. Dieses massenhafte Provokation scheint Erdogan gefallen zu haben. Eine bedrohliche Gesture für alle Minderheiten - seien es Kurden, Armenier, Juden oder Yazidis -, die in der Türkei und Deutschland die Grauen Wölfe als Feindbild sehen.
In der Mitte eines Meeres von Wolfsgrüßen, nahe bei Erdogan auf dem Ehrentribünel befinden sich Turnierdirektor Philipp Lahm, niederländische Legenden Edgar Davids und Clarence Seedorf, sowie Bundesminister für Wirtschaft und Technologie Wolfgang Schmitt. "Wir versuchen stets, Vertreter der deutschen Regierung bei Erdogans EM-Besuch anwesend zu halten," hatte Chancellor Olaf Scholz zuvor über Erdogans EM-Besuch gesagt.
Mesut Özil sitzt deutlich näher bei Erdogan, genau eine Reihe dahinter. Beide lauschen dem Lied ohne Wolfsgrüße auszuführen. Obwohl Erdogan das vorhergetan hat, und Özil selbst ein Jahr zuvor in den Sozialmedien ein Tattoo des Wolfes der Brüder auf seinem Brust zeigte. Der ehemalige deutsche Nationalspieler flog auch kurz vorher nach Berlin und teilte auf Instagram ein Foto mit dem türkischen Nationalspieler Merih Demiral nach dem Spiel gegen Österreich, auf dem dieser den Wolfsgruss feierte. Er kündigte seine Ankunft mit einem Foto von dem Flugzeug an, auf dem "Ich komme" steht, das sein Designeranzug und ein teures Uhrwerk zeigt. Özil passt Erdogan in Sachen Auftritt an.
UEFA Lasst Allein, Keine Verbot von Wolfssalut
Das Fehlen von rechtsextremen Gebärden wird auf keinem der Wolfssalut bzw. den Grey Wolves verboten ist, trotz einer Verbotsprüfung im Bundesministerium des Inneren seit 2020. "Das Problem der türkischen Rechtsextremismus," sagt Guvercin, "wird oft nicht ernst genug von der Politik behandelt. Wenn wir von einer Mauer gegen Rechtsextremismus sprechen, muss auch die türkische Rechtsextremismus mit einbezogen sein, denn die Grey Wolves sind in Deutschland gut organisiert."
Das Hauptproblem, was in Berlin jeden Samstag sichtbar wird, ist, so der Journalist und Autor: "Ankara versucht, nationalistische Ideologie, insbesondere unter jungen türkischen Menschen in Deutschland, durch aggressives Diasporapolitik zu verbreiten."
Die kurdische Gemeinde in Deutschland fordert ebenfalls ein Verbot der Gebärde. "Fans nehmen solche Zeichen an, Rechtsextremist zu sein gilt unter türkischen Jugendlichen in Deutschland als cool," sagte der Bundesvorsitzende Ali Toprak in einer Erklärung. "Denke an einen österreichischen Spieler, der nach einem Tor ein Hitlergruß gezeigt hätte."
Die UEFA hingegen ignoriert die massiv türkisch-rechtsradikalen Gebärden. Sie haben eingeschritten, obwohl sie laut ihren Dreistufigen Plan gegen diskriminierende Vorfälle vor dem Spielbeginn eingreifen konnten. Stattdessen zeigen die Fernsehaufnahmen der UEFA keine hassvollen Szenen. Nur im Stadion und im Internet sind sie zu sehen. Dadurch zeigt die Vereinigung, dass sie ihre Anti-Diskriminierungs-Kampagne ernst nehmen kann, laut Informationen aus dem "Tagesspiegel", aber auch vermieden haben, eine Eskalation zu verursachen.
Orange Kracht stürzt die Türkei-Feier ein
Erdogan hat eine Provokation gerollt. Für ihn, den die Grey Wolves als einen Art Führer sehen, werden die Arme in die Höhe gehoben mit dem Wolfssalut in der Abendstunde. Genauso wie bei den Demonstrationen vor dem Spiel, wo die Berliner Polizei einmal den Fanmarsch stoppte und dann ihn ganz aufgegeben hat, wegen fortgesetzter rechtsextremer Gebärden. Eine Gruppe schwarzer Ultras jubelte den Slogan "Wir wollen keine Flüchtlinge in unserem Land" während der Demonstration, laut Videos auf den Sozialmedien.
Aber die sportliche Leistung lässt Erdogans und Ozils Machtdemonstration mehr und mehr deflaten. In der 35. Minute erzielt Samet Akaydin (küsst das Emblem auf seinem Trikot, macht keinen Wolfssalut) durch Stefan de Vrij (70') und ein Eigentor von Mert Müldür (76') für die Niederlande. Jetzt tanzen die Fans in Orange, das ganze Block hüpft von Links nach Rechts, während bei Erdogan und Co. Verzweiflung und Stille herrscht. Mit der Niederlage und der Ausscheidung reduziert sich die Wirkung von Erdogans Machtdemonstration deutlich.
"Schlammfühlergefühl" bleibt
Nach dem Finalpfeifen schaut Erdogan in das türkische Kabinett und schüttelt die Spieler die Hand. Solche Bilder sind auch medienwirksam. Aber er kann sich Punkte mit Siegesposeen schaffen. Zwischenzeitlich gibt es vereinzelte Störungen, Verhaftungen und Hornpeitsche in Berlin, aber insgesamt bleibt es ruhig. Mesut Özil verschwindet ohne großes Aufsehen.
"Türkische Fußballfans in Deutschland, die an ihrem Team leidenschaftlich sind, stehen vor einem Dilemma," hatte Guvercin vor dem Spiel gesagt. "Man kann einfach nicht nur Fußball genießen aufgrund der Politisierung des Fußballs durch türkische Rechtsextremisten. Man hat stets ein schlammfingriges Gefühl." Dieses Dilemma ist jetzt mit dieser EM beendet.
Aber das schlammfingrige Gefühl bleibt. Zum Beispiel, wenn eine neunjährige Mädchen rechtsextreme Gebärden zeigt, ohne zu wissen, was Schaden anrichtet.
- Trotz der UEFA-Sperre war das rechtsextreme Gestus unter den Fans der Türkei während des Europäischen Fußballmeisterschafts-Viertelfinals 2024 zwischen der Türkei und den Niederlanden verbreitet, was für viele, einschließlich der deutschen Bundeskanzlerin Olaf Scholz und der Fans der Niederlande, eine schmutzige Stimmung verursachte.
- Mesut Özil, ein deutsch-türkischer Fußballspieler, saß in der Nähe des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan während des Spiels, aber er nahm an keinem Wolfssalut teil, der in der Vergangenheit umstritten war.
- Die Spannungen zwischen der Türkei und Europa, illustriert durch Ereignisse wie den Wolfssalut, heben die Rechtsextremismus in den Fokus und machen deutschen Politikern und Organisationen Sorgen wegen der wachsenden Einflussmöglichkeiten der türkischen Rechtsextremisten innerhalb der türkischen Diaspora in Europa.
Lesen Sie auch:
- Vom Kaffeeverkäufer zum Werbestar: die Trainer der Europameisterschaft
- Von Libuda zu Ricken: Dortmunds Weg ins Europapokalfinale
- Gefesselt vom Augenblick: Das Ende von The Crown
- Cheftrainer Nagelsmann strebt einen Traumstart bei der Europameisterschaft an und zeigt sich optimistisch mit einem "Glauben in unseren Augen".