„Die Geschichte von Iron Christian wird als Märchen enthüllt“
Die entscheidende Haushaltssitzung wird auf Wunsch der EU zum zweiten Mal abgesagt. Im Interview mit ntv.de erklärte der einflussreiche CDU-Haushaltspolitiker Middelberger aus seiner Sicht, warum es so kommen musste, was das für die Schuldenbremse bedeutete und welche Ampeln es gab. Welche Wahl.
ntv.de: Herr Middleberg, die Haushaltsverhandlungen vergisst man leicht. Sagen wir es so: Wenn das alles ein Fußballspiel wäre, in welcher Minute wären wir jetzt?
Mathias Middelberg: Wir wären in der 90. Minute aber gewesen Wir mussten in die Verlängerung gehen.
Der Bundeshaushalt 2024 sollte am Donnerstag fertiggestellt werden, doch eine wichtige Anpassungssitzung wurde zum zweiten Mal verschoben. Was bedeutet das? Ist es das, was die Liga will?
Nein, das wollen wir nicht. Wir wollen die Haushaltsberatung nicht erschweren. Wir brauchen einen Verfassungshaushalt. Ampeln sollten sich an die Schuldenbremse halten und grundsätzlich auch mit dem Geld auskommen, das unsere Wirtschaft durch Steuern erwirtschaftet.
Warum können wir uns nicht jetzt entscheiden?
Denn wir wissen noch nicht, welche Konsequenzen das Urteil des Verfassungsgerichts haben wird und wie genau der Haushalt 2023 überarbeitet werden muss. Aber das ist die Grundlage für den nächsten Haushalt. Wir glauben, dass eine Entscheidung nur dann getroffen werden kann, wenn wir wissen, wie wir die Verfassungswidrigkeit des Haushalts 2023 beheben können. Infolgedessen war die Ampel gezwungen, die letzte Sitzung des Haushaltsausschusses auf diesen Donnerstag zu verschieben. Andernfalls besteht die Gefahr, dass auch der neue Haushalt verfassungswidrig ist, wenn er beispielsweise Gelder aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds enthält, was auch als „Doppelschlag“ bezeichnet wird. Denn sie werden möglicherweise in absehbarer Zeit nicht mehr verwendet.
Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) ist jedenfalls seit Dienstag gesperrt.
Der Lockdown war unvermeidlich, weil wir nicht wussten, was mit den Geldern passieren würde.
Was passiert als nächstes?
Traffic Light muss nun einen Nachtragshaushalt für das laufende Jahr vorschlagen. Theoretisch könnte es 2023 erneut den Ausnahmezustand ausrufen und die Schuldenbremse aussetzen. Das kann sie mit ihrer Mehrheit schaffen. Doch die Geschichte von eingefleischten Christen, die sich strikt an die Schuldenbremse halten, während Schattenfamilien riesige Schulden anhäufen, wird sich irgendwann als Märchen entpuppen.
Bei dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts geht es um die externe Finanzierung des Klima- und Transformationsfonds und möglicherweise des Wirtschaftsstabilisierungsfonds … Nein, darum geht es nicht.
Nicht wahr?
Die Regierung sagt das, um die Verantwortung auf uns abzuwälzen. Wir haben keine Klage gegen Klimafonds und schon gar nicht gegen den Klimaschutz eingereicht.
Herr Habeck sieht das anders.
Es ist wahr: Hier geht es um die verdrehten Protokolle der Buchungstechnologie, die Traffic Lights in ihren Allianzen verwendet, die gezielt neu arrangiert wurden. Das Verfassungsgericht beklagte nicht nur die Umwidmung von COVID-19-Mitteln in Klimafonds. Kritisiert wird auch, dass diese Kredite nicht in den Jahren erfasst werden, in denen sie tatsächlich in den Bundeshaushalt einfließen, sondern in den Jahren, in denen die Ampel sie aus dem Kernhaushalt in dessen Sonderschuldenstock (nur intern) verschiebt. Das Bundesverfassungsgericht hat diese betrügerischen Buchungen mit dem Ziel, die Umgehung der Schuldenbremse zu verschleiern, zurückgewiesen.
Bundeskanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner sagten vergangene Woche, dass der Bundeshaushalt von dem Urteil nicht betroffen sei und lediglich den Klimawirtschaftsplan mit dem Transformationsfonds betreffe. Sie werden eine andere Perspektive haben. Warum?
Hier geht es um absichtlich fehlerhafte Ampelbuchungstechniken. Dies ist nicht nur im Nachtragshaushalt 2021 (60 Milliarden Euro Klimafonds) enthalten, sondern auch im WSF, dem „Doppelwumms“. Traffic Light hat die gesamten 200 Milliarden Euro an Kreditgenehmigungen für das Jahr 2022 erfasst. Erst dann werden sie auf die Schuldenbremse angerechnet. Allerdings können diese Mittel überwiegend nur in den Jahren 2023 und 2024 genutzt werden. Wie das Verfassungsgericht klarstellte, widerspricht dies dem sogenannten Jahresprinzip.
Ist es immer noch so, dass Sie als Gewerkschaft WSF nicht verklagen werden?
Dies ist nicht mehr notwendig. Ich bin davon überzeugt, dass das WSF ebenso verfassungswidrig ist wie der Nachtragshaushalt 2021.
Herr Habeck stimmte zu und sagte, eine Strafverfolgung sei nicht notwendig.
Es ist erfreulich, dass dieses Verständnis auch in der Regierung anerkannt wird.
Die große Frage ist nun, woher das fehlende Geld kam. Als konstruktiver Gegner werden Sie dies auf jeden Fall in Betracht ziehen.
Es ist unmöglich, alle Lücken allein durch Einsparungen sofort zu schließen. Sie müssen es der Regierung geben. Zumindest für das kommende Jahr muss klar sein, dass die Regierung nicht mehr nur vom Wandel der Zeiten spricht, sondern diese auch im Haushalt umsetzt. Sie musste ihre Prioritäten neu ordnen. Wir dürfen zum Beispiel nicht einen Zehntel Euro für das Geld der Bürger ausgeben. Wir haben vier Millionen Sozialhilfeempfänger, die erwerbs- und damit arbeitsfähig sind. Wenn es uns gelingen würde, 1 Million davon in Betrieb zu nehmen, würde uns das bis zu 30 Milliarden Euro an zusätzlichen Einnahmen für den Bundeshaushalt bringen.
Grüne und Sozialdemokraten fordern eine Reform der Schuldenbremse, also eine Lockerung der Schuldenbremse. Haben Sie das gemildert?
Nein, wir brauchen keine Reform der Schuldenbremse.
Trotz eines milliardenschweren Verstoßes?
Ich sehe kein so großes Milliardenloch. Die Regierung findet Schlupflöcher für sich.Es muss nun daran arbeiten, Kapital zu mobilisieren – durch Sparen, etwa mit Bürgergeldern, und durch den Abbau von Bürokratie, aber auch durch gezielte Investitionen zur Ankurbelung des Wachstums. Dann werden die Steuereinnahmen wieder deutlich steigen.
Denkbar ist auch die Einrichtung eines eigenen Klimaschutz- und Transitionsfonds, um Industrieprojekte über den Klima- und Transitionsfonds zu finanzieren. Bist du dafür offen?
Als Opposition sind wir immer konstruktiv. Das haben wir durch das Bundeswehr-Sondervermögen nachgewiesen. Doch jetzt müssen die Ampeln ehrlich sein und ihre regulären Budgets radikal anpassen. Es kann nicht mehr so weitergehen wie bisher. Das Einzige, was bei dieser Regierung oft passiert, ist, dass neben dem regulären Haushalt für jede neue Herausforderung neue Schulden entstehen, sodass Christian Lindner sagen kann, dass er an der Schuldenbremse festhält. Gleichzeitig sollten Sozialdemokraten und Grüne durch zusätzliche Budgets erhebliche Mittel für soziale Belange und den Klimaschutz bereitstellen. Diese bürgerschaftliche Versammlung endete nach der Urteilsverkündung.
Volker Peterson im Gespräch mit Matthias Middelberg
Quelle: www.ntv.de