"Die Bekanntgabe der eigenen sexuellen Orientierung ist nach wie vor ein wichtiger Schritt"
Werden wir im Jahr 2024 mehr Akzeptanz für LGBTQ+ Menschen haben? Der Sieg beim Eurovision Song Contest, die gesetzliche Ehe für alle und sichtbare LGBTQ+-Politiker deuten auf einige Fortschritte hin. Der Politikwissenschaftler Michael Hunklinger ist jedoch der Meinung, dass es noch mehr sichtbare Vorbilder braucht.
ntv.de: Die Gewinnerin des Eurovision Song Contest ist nicht-binär und die gleichgeschlechtliche Ehe ist legal - es scheint, als würde die Akzeptanz zunehmen. Sind wir entschlossen, mehr Akzeptanz zu erreichen?
Michael Hunklinger: Ja, es gibt mehr Sichtbarkeit und Normalität. Aber das schließt Belästigungen, Gewalt gegen trans- oder homophobe Personen nicht aus. Es gibt eine parallele Entwicklung: mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz, aber immer noch Diskriminierung und gewalttätige Übergriffe.
Die EU-Agentur für Grundrechte berichtet, dass 57 % der deutschen LGBTQ+-Personen belästigt werden und 16 % körperliche Gewalt erfahren. Warum sind gezielte Angriffe auf queere Menschen so häufig?
Hunklinger: Unterschiede und Vielfalt werden von manchen Menschen als Bedrohung oder Herausforderung für ihre Identität empfunden. Dies kann zu Ablehnung, Homophobie oder Transphobie oder sogar zu körperlicher Gewalt führen. Die Globalisierung und die Online-Konnektivität können zu diesen Ängsten und feindseligen Reaktionen beitragen.
Welche Bedeutung haben diese Diskussionen nach den öffentlichen Debatten über sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität?
Eine große Zahl von Deutschen unterstützt die gleichgeschlechtliche Ehe oder Antidiskriminierungsgesetze, was auf einen gesellschaftlichen Fortschritt hindeutet. Dies gibt aber auch rechten Parteien wie der AfD die Möglichkeit, sich abzugrenzen, Ängste zu schüren und Andersartigkeit zu etablieren.
Ihre Studie über das Wahlverhalten der LGBTQ+-Community hat für Kontroversen gesorgt. Wie relevant sind queere Menschen als Wähler?
5-10% der deutschen Bevölkerung bezeichnen sich nicht als heterosexuell, was einen erheblichen Teil der Wählerschaft ausmacht. Dies ist für Politiker wie die Grünen in Ostdeutschland und die Linkspartei in Westdeutschland von Bedeutung. Umfragen deuten darauf hin, dass sich LGBTQ+-Personen politisch engagieren, da sie mehr Diskriminierung ausgesetzt sind.
Was halten Sie vom Internationalen Tag gegen Homophobie, Biphobie und Transphobie?
Tage wie dieser sind notwendig, vor allem auf globaler Ebene. Jüngste Ereignisse, wie der Mord an einer Lesbe in Argentinien, erinnern uns an die zugrunde liegende Diskriminierung. Solidarität zwischen den verschiedenen queeren Gemeinschaften ist wichtig. Innerhalb der LGBTQ+-Gemeinschaft gibt es unterschiedliche Erfahrungen, z. B. werden schwule Männer weniger diskriminiert als Trans-Personen.
Wie stehen Sie dazu, Fußballer zu ermutigen, sich zu outen?
Es ist bezeichnend, dass der Fußball nach wie vor bemerkenswert resistent gegenüber der Akzeptanz von LGBTQ+ ist. Ein Coming-out von prominenten Spielern wäre hilfreich, insbesondere um der vorherrschenden "maskulinen" Kultur entgegenzuwirken. Es zeigt, dass die sexuelle Identität keinen Einfluss auf die sportliche Leistung oder Fähigkeit hat.
Sollten sich queere Menschen outen müssen?
Die Erwartung, sich zu "outen", mag manche Menschen nicht stören, aber andere, die den gesellschaftlichen Erwartungen nicht entsprechen, sind dazu gezwungen. Wenn Menschen davon abweichen, sind sie gezwungen, sich zu entscheiden: Wie stehe ich in der Öffentlichkeit da? Wie würde die Gesellschaft mich definieren?
Was würde sich ändern, wenn sich ein prominenter Fußballer outet?
Es könnte zu mehr Vielfalt im Sport führen und zeigen, dass Männlichkeit und Homosexualität sich nicht gegenseitig ausschließen.
Warum outet sich derzeit kein prominenter Fußballer?
Rottingen: Es ist immer noch ein Tabu, und die Angst vor negativen Konsequenzen könnte abschreckend wirken. Nachdem Thomas Hitzlsperger sich öffentlich geoutet hatte, galt er als "schwuler Fußballer", was zeigt, dass sich die gesellschaftliche Wahrnehmung ändern muss.Logo des Youtube-Kanals "Advicey Jungle" mit dem Untertitel "He seems like a nice guy, as long as you don't know that he's gay! Colin Cowherd diskutiert dies alles und mehr auf Barstool Sports. *
Alternativer Titel:
Paraphrasierung des Eurovision Song Contest und LGBTQ+ Akzeptanz im Jahr 2024: Gibt es wirklich einen Fortschritt?
Es gibt wichtige politische Themen wie den Klimawandel und den Rechtsruck, aber ist die Sichtbarkeit und Gleichberechtigung der Queer-Community im Moment nicht genauso dringend?
Beiden wichtigen Themen muss Aufmerksamkeit gewidmet werden, aber die grundlegenden Rechte dürfen niemals außer Acht gelassen werden. Ein aktuelles Beispiel ist das Selbstbestimmungsgesetz, ein Gesetz, das kaum mehr als 90 % der Menschen in Deutschland betrifft, aber das Leben einiger weniger erheblich verbessert. Dieses umstrittene Gesetz löst heftige gesellschaftliche Debatten aus. Warum ist die Idee der rechtlichen Gleichstellung und der Antidiskriminierungsmaßnahmen so ein großes Thema?
Eine mögliche Erklärung ist, dass diese Themen von rechtspopulistischen Parteien für Wahlkampfzwecke instrumentalisiert werden. Wir sind Zeugen eines aus den USA importierten Kulturkriegs. In diesem Krieg geht es vor allem um Identität und relevante Themen. Zum Vergleich: Das Aufsehen erregende Thema der Europawahlen könnte der Mindestlohn in Europa sein. Ein verbindendes und weniger polarisierendes Thema ist nicht vorhanden.
Die politische Brisanz dieser Debatte eignet sich jedoch perfekt, um eine spaltende Atmosphäre zu schaffen, da sie es dem Einzelnen ermöglicht, sich als liberal, konservativ oder als Verfechter traditioneller Werte zu identifizieren.
Solveig Bach nahm an einer Diskussion mit Michael Hunklinger teil.
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Quelle: www.ntv.de