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"Das Vertrauen in Benjamin Netanyahu ist auf einem Tiefpunkt"

 Israels Premier steht wegen seiner Politics Both at home and from allies increasing criticism.
Israels Premier steht wegen seiner Politics Both at home and from allies increasing criticism.

"Das Vertrauen in Benjamin Netanyahu ist auf einem Tiefpunkt"

Israel hat mehrere hochrangige Terroristen getötet, Iran droht mit "Rache". Doch Teherans Pläne sind "schwer vorhersehbar", sagt der israelische Historiker Uriel Kashi in einem Interview. Er spricht über die Vorbereitung auf einen möglichen Angriff, die Rolle von Hezbollah - und den Kurs von Premierminister Benjamin Netanyahu.

ntv.de: Erwarten Sie einen größeren Angriff durch Iran und seine Verbündeten als im April?

Uriel Kashi: Der April-Angriff war bereits extrem massiv, mit Hunderten von Drohnen, Cruise Missiles und ballistischen Raketen, die innerhalb kurzer Zeit auf Israel abgefeuert wurden. Dieser Angriff hätte ohne das fortschrittliche israelische Raketenabwehrsystem, insbesondere die Arrow-3- und David's Sling-Systeme, die erstmals teilweise eingesetzt wurden, viel schwerere Folgen haben können. Außerdem gab es Unterstützung durch freundliche US-amerikanische, britische, französische und jordanische Luftstreitkräfte.

Wie haben Sie diesen Angriff erlebt?

Zunächst waren wir sehr ängstlich, weil Iran militärisch deutlich größere Fähigkeiten hat als Gruppen wie Hezbollah oder Hamas. Die Armee hatte uns vorher gewarnt, dass es eine massive Salve geben werde, also blieben wir wach. Um 2 Uhr morgens ging der Raketenalarm los, und wir gingen schnell in unseren Keller. Der Lärm des Abwehrsystems war ohrenbetäubend, etwas, das ich noch nie erlebt hatte. Nach der Entwarnung und der Klarheit, dass keine Raketenfragmente mehr fallen würden, gingen wir zurück nach Hause und versuchten zu schlafen.

Was erwarten Sie von Irans angekündigter "Rache" und verbündeten Milizen?

Die aktuellen Pläne Irans sind schwer vorhersehbar. Theoretisch könnte es erneut eine massive Raketensalve geben. Aber viele Analysten erwarten eine überraschendere Aktion. Dies könnte ein Versuch sein, eine hochrangige politische oder militärische Persönlichkeit zu ermorden oder eine Bohrplattform auf einem der Gasfelder zu zerstören. Ein großangelegter Cyberangriff ist ebenfalls möglich.

Erwarten Sie eine weitere Eskalation hin zu einem Krieg gegen Hezbollah in Libanon?

Diese Formulierung ist etwas irreführend, da wir bereits in einem Kriegszustand sind. In den letzten Wochen hat Hezbollah Israel fast täglich mit Dutzenden von Raketen angegriffen. Zehntausende Bewohner im Norden Israels, darunter fast 24.000 Menschen aus der Stadt Kiryat Shmona, wurden nach dem 7. Oktober aus dem Grenzgebiet evakuiert und konnten nicht in ihre Häuser zurückkehren. Gleichzeitig hat Israel Hezbollah-Positionen angegriffen, was auch zu massiven Evakuierungen im südlichen Libanon geführt hat.

Trotzdem spricht man von einem "Niedrigflammen"-Krieg, da beide Seiten vorsichtig sind, um keinen zu großen Schaden anzurichten. Libanon selbst ist wirtschaftlich und politisch stark betroffen, unabhängig vom Konflikt mit Israel. Es gibt viele Stimmen dort, die Hezbollah klar sagen, dass sie kein großes Risiko eingehen wollen.

Was für eine Rolle spielt Hezbollah für Iran?

Wir gehen davon aus, dass Iran Hezbollah principalmente als Abschreckung gegen mögliche Angriffe auf sein Atomprogramm nutzt. Eine signifikante Schwächung von Hezbollah durch einen großen Krieg wäre daher für Iran ungünstig. Trotzdem bleibt die Situation gespannt, wie der Raketenangriff von Hezbollah am 27. Juli gezeigt hat, bei dem zwölf Kinder und Jugendliche in der Druzen-Gemeinde Majd al-Shams getötet wurden. Es ist unwahrscheinlich, dass dies beabsichtigt war, aber Israel war gezwungen zu reagieren. Die gezielte Tötung von Fuad Shukr, einem führenden Terroristen und engen Berater des Hezbollah-Chefs Hassan Nasrallah, war ein klares Signal, sich zurückzuhalten. Allerdings können missgeleitete Angriffe wie der von Hezbollah schnell den Konflikt eskalieren, auch wenn keine Seite dies will.

Gibt es unter der israelischen Bevölkerung die Bereitschaft, einen größeren Krieg zu akzeptieren?

Die Furcht vor einem größeren Krieg gegen Hezbollah ist groß. Ein solcher Konflikt würde mit erheblichen Verlusten einhergehen, da Hezbollah fortschrittlichere Waffensysteme als Hamas im Gazastreifen hat. Die Verteidigung Israels könnte an ihre Grenzen stoßen, und kritische Infrastruktur wie Strom- und Wasserversorgung und Telekommunikation könnte zerstört werden. Ein größerer Krieg könnte auch Tausende Leben auf der israelischen Seite fordern. Allerdings gibt es die Bereitschaft, die Eskalation weiter zu treiben, wenn das Überleben des Staates Israel auf dem Spiel steht. Und die Bedrohung durch das sogenannte iranische Achsenbündnis wird als existenziell wahrgenommen.

Israel ist in höchster Alarmbereitschaft - wie beeinflusst dies das Leben der Menschen?

Die allgemeine Stimmung ist gespannt. Viele Flüge nach und von Israel wurden gestrichen, Reservisten werden erneut einberufen. Viele Israelis sind traumatisiert und kriegsmüde, sie wünschen sich ein Ende dieses Krieges. Diese Entscheidung liegt jedoch nicht allein bei der israelischen Führung, sondern auch bei Hamas, Hezbollah und Iran. Trotzdem versuchen viele Menschen in Israel, ihr Leben so normal wie möglich fortzusetzen. Die Strände von Tel Aviv waren gestern tagsüber noch gut besucht, aber viel leerer als gewöhnlich am Abend.

Und wie bereiten sich die Menschen auf mögliche Angriffe aus Iran und Milizen vor?

Die Vorbereitungen sind vielfältig. Seit langem wurde Platz in Luftschutzbunkern geschaffen und sie mit Lebensmitteln und Trinkwasser ausgestattet. Einige Familien haben kleine Generatoren und batteriebetriebene Radios erworben, um im Falle eines Internetausfalls informiert zu bleiben.

Wie stark ist die Unterstützung in der Bevölkerung für den Kurs von Premierminister Benjamin Netanyahu?

Das Vertrauen in den Premierminister ist auf einem Tiefpunkt. Viele Menschen zweifeln daran, dass seine Entscheidungen im besten Interesse der Bevölkerung getroffen werden. Stattdessen sehen sie sie als Versuche, seine eigene politische Position zu sichern. Normalerweise gibt es in Kriegszeiten eine gewisse Einheit, aber die fortlaufenden Massenproteste für neue Wahlen zeigen tiefe Frustration in der Bevölkerung.

Was waren die Auswirkungen, als der Oppositionspolitiker Benny Gantz im Juni das Kriegskabinett verließ?

Die Abwesenheit von Benny Gantz aus dem Kriegskabinett im Juni hatte erhebliche Auswirkungen. Als ehemaliger Oberbefehlshaber der Armee und Chef der Blau-Weiß-Partei schwächte seine Abreise die Fähigkeit der Regierung, in Anbetracht des anhaltenden Konflikts eine vereinte Front zu präsentieren. Es entstanden auch Fragen bezüglich der Fähigkeit der Regierung, die Situation effektiv zu handhaben, da Gantz' militärische Erfahrung und politischer Einfluss als wertvolle Ressourcen betrachtet wurden. Darüber hinaus betonte seine Abreise die politischen Spaltungen innerhalb der Regierung und des Landes insgesamt.

Ein besorgniserregender Trend: Der wachsende Einfluss von Rechtsextremen auf die israelische Politik

Ein besorgniserregender Trend ist der zunehmende Einfluss von Rechtsextremen auf die israelische Politik. Ein bemerkenswertes Beispiel für diesen Einfluss war der Sturm auf die Militärbasis Beit Lid durch israelische Rechtsextreme, wo neun israelische Soldaten, die des Missbrauchs palästinensischer Gefangener beschuldigt werden, vor einem Militärgericht angeklagt werden sollen. Die Tatsache, dass Regierungsmitglieder ebenfalls an diesem Sturm beteiligt waren und somit das israelische Justizsystem untergraben, ohne Konsequenzen zu tragen, unterstreicht Netanyahus Schwäche innerhalb seiner eigenen Koalition.

Provokiert Netanyahu absichtlich eine Eskalation?

Das Problem besteht nicht nur darin, dass Netanyahu eine Eskalation provoziert, sondern auch darin, dass er mögliche Lösungen für eine Nachkriegsordnung im Gazastreifen blockiert. Israel kann die "iranische Achse" nicht allein bekämpfen. Es erfordert eine enge Zusammenarbeit mit westlichen und pragmatischen arabischen Staaten wie Saudi-Arabien, Ägypten und den kleineren Golfstaaten. Die kategorische Ablehnung der Zwei-Staaten-Lösung durch eine Knesset-Resolution letzten Monat belastet die Beziehungen zu wichtigen Verbündeten, insbesondere den USA, wo immer mehr junge Menschen die enge Bindung an Israel infrage stellen. Solche Resolutionen verhindern auch eine erhöhte Zusammenarbeit mit Staaten wie Saudi-Arabien, die eine wichtige Rolle bei der Schaffung einer neuen Sicherheitsordnung in der Region spielen könnten.

Welche Rolle spielt die Geiselfreiheit in der öffentlichen Debatte?

Die Geiselfreiheit ist ein zentrales Thema in der öffentlichen Debatte in Israel. Die entführten Geiseln sind allgegenwärtig, ihre Bilder finden sich an Bushaltestellen, in Schaufenstern, auf Gartenzäunen und Schulwänden. Da Israel ein kleines Land ist, fühlt sich fast jeder persönlich betroffen. Oft kennt man jemanden, der indirekt betroffen ist. Die Hoffnung, so viele Geiseln wie möglich lebend zurückzubekommen, wird als moralische Verpflichtung empfunden.

Und ist dies auch realistisch?

Die Verhandlungen für die Freilassung der Geiseln sind extrem komplex und undurchsichtig. Netanyahu beschuldigt Hamas, einen Waffenstillstand mit unrealistischen Forderungen zu verhindern. Gleichzeitig wird er von den USA und sogar innerhalb seiner eigenen Regierung beschuldigt, neue Hindernisse zu schaffen, um eine Einigung mit Hamas zu verhindern. Trotz der schwierigen Verhandlungslage ist eine Mehrheit der Israelis bereit, einen Deal für die Freilassung der Geiseln abzuschließen, auch wenn er unter anderen Umständen nicht annehmbar wäre.

Schließlich die Debatte über militärische Unterstützung aus Deutschland für Israel - Wie könnte dies aussehen?

Israel befindet sich in einer existenziellen Bedrohungssituation. Persönlich halte ich es für legitim und sogar richtig, Druck auf die israelische Regierung auszuüben, um mehr Kompromissbereitschaft gegenüber den Palästinensern zu zeigen, zum Beispiel durch Sanktionen gegen radikale israelische Siedler im besetzten Westjordanland. Gleichzeitig ist es notwendig, Israel in seinem Kampf gegen die Bedrohung durch Iran und seine islamischen Verbündeten zu unterstützen. Diese Unterstützung könnte auch militärisch sein, um Israel in seiner Verteidigung zu stärken.

Fragen von Markus Lippold

Angesichts der genannten Spannungen und der Bedrohung durch "Rache" vonseiten Irans äußern viele israelische Bürger Bedenken hinsichtlich eines möglichen Großangriffs auf Israel. Die anhaltenden Massenproteste für neue Wahlen in Israel zeigen die tiefe Frustration und Unzufriedenheit mit der Führung von Premierminister Benjamin Netanyahu und seinen vermeintlichen Handlungen.

Angesichts der bedeutenden militärischen Fähigkeiten Irans und der zerstörerischen Natur des April-Angriffs ist die Möglichkeit eines unvorhersehbareren und überraschenden Aktions vonseiten Irans oder seiner Verbündeten, wie zum Beispiel einem Versuch, eine hochrangige politische oder militärische Figur zu ermorden, eine berechtigte Sorge für die israelische Sicherheit.

Der Historiker Uriel Kashi lebt in Jerusalem und arbeitet als Dozent und Fremdenführer. Er organisiert und führt politische Studienreisen für Stiftungen, Universitäten und Journalisten durch Israel.

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