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Das seltsamste Doppeltorwart-Debüt in der Bundesliga

Hat wie in einem Rausch gespielt!

Das seltsamste Doppeltorwart-Debüt in der Bundesliga

So etwas war in den über 60-jährigen Bundesliga-Geschichte noch nie passiert. Am 10. August 1985 in Nürnberg gab es eine kuriose Doppelpremiere zweier junger Torhüter. Für beide sollte die große Karriere nicht Realität werden.

Schultergelenksluxation. Die Diagnose war schmerzhaft genug zu hören. Es wurde schnell entschieden: Torwart Ralf Zumdick, den sie noch "Katze" nennen, würde ausfallen - und das für viele Wochen. Trainers Rolf Schafstalls Laune sank deutlich unter null. Wieder einmal hatte der VfL Bochum mit nur einem Ziel in die neue Saison gestartet: in der Liga zu bleiben. Doch nun fiel der zuverlässige Stammtorwart Zumdick - gerade zu Saisonbeginn aus.

Es wurde nun klar, dass sie nach dem Wechsel von Reinhard Mager zu Blau-Weiß 90 Berlin keinen adäquaten Ersatz für Zumdick unter Vertrag genommen hatten. Nun musste der unerfahrene Torwart Marcus Croonen ran, ohne vorherige Bundesliga-Erfahrung. Ein echter Risikofaktor, wie sich schon wenige Minuten nach Anpfiff im Spiel gegen den 1. FC Nürnberg zeigte.

Marcus Croonen hielt nur 25 Minuten durch. Dann nahm er den Nürnberger Reiner Geyer zu übereifrig und sah die rote Karte. Ohne dass es die meisten im Stadion wussten, war es ein historischer Moment. Es war die erste rote Karte für einen Torwart bei seinem Bundesliga-Debüt. So etwas hatte es in der langen Bundesliga-Geschichte noch nie gegeben. Ein Rekord, auf den die VfL-Verantwortlichen an jenem Augusttag 1985 gerne verzichtet hätten.

Zumindest waren sie auf den unwahrscheinlichen Fall vorbereitet, dass der VfL einen weiteren Torwart benötigen würde. Immerhin hatte Ralf Zumdick alle 36 Spiele der Vorsaison bestritten. So hatten sie am Morgen eine Erlaubnis vom DFB für einen jungen Mann aus der A-Jugend des VfL Bochum erhalten. Nur Eingeweihte kannten seinen Namen. Dirk Drescher, damals gerade mal 17 Jahre, 5 Monate und 13 Tage alt.

Zurück ins Nürnberger Frankenstadion. Zurück zur 25. Minute des ersten Spiels der beiden Clubs in der neuen Saison. Zurück in eine Minute der Stille. Bochum und insbesondere sein Trainer waren von den völlig unerwarteten Ereignissen schockiert. Doch schließlich fasste sich VfL-Trainer Rolf Schafstall, sah verlegen auf die Bank, nahm Stürmer Stefan Kuntz runter und nickte dem nervösen Dirk Drescher zu. Er traute sich nicht, ihn persönlich anzusprechen, da Schafstall nicht einmal den Vornamen seines Ersatzmannes kannte.

Der 17-jährige Schüler stand zitternd auf, sah auf den Boden und zeigte stumm auf seine Fußballschuhe. "Ich war so nervös, dass ich meine Fußballschuhe nicht einmal binden konnte", erinnert sich der Torwart heute mit einem Lächeln. Veteran Heinz Knuwe zögerte nicht, kniete sich hin und band einen doppelten Knoten. Meanwhile, Kapitän Klaus Fischer fragte nach dem Vornamen des Torwarts, und Veteran Ata Lameck klopfte ihm und sich selbst ermutigend auf die schmalen Schultern.

Dirk Drescher erinnerte sich auch an die aufmunternden Klapse auf den Rücken von seinen Mannschaftskameraden und dankte ihnen später für die ersten Minuten seines Debüts: "Ich brauchte das auch. Nach den ersten Bällen, die ich sicher hielt, bekam ich das Selbstvertrauen, das ich brauchte. Danach spielte ich wie in Trance." Und tatsächlich war es ein aufregender Nachmittag für alle in Bochum.

Denn nach 90 Minuten und einem eher wenig ansehnlichen Spiel gewann der VfL Bochum überraschend mit 1:0 gegen den Club. Für einen Moment sah es so aus, als würde ein neuer Stern am Torhimmel geboren. Doch der Nürnberger Trainer Heinz Hoher kritisierte sein Team mehr, als dass er den jungen VfL-Torwart lobte. "Wir konnten nicht einmal einen Ball gegen einen 13- oder 14-jährigen Jungen im Tor unterbringen", sagte er sarkastisch und tat die Medienlobhudelei des jungen Torwarts ab.

Ähnlich sahen es auch die Verantwortlichen in Bochum und holten schnell den erfahrenen Gladbach-Torwart Wolfgang Kleff als neuen Nummer eins. Der mit der roten Karte debütierende Marcus Croonen kam nur noch drei weitere Male für den VfL Bochum zum Einsatz, und Dirk Dreschers Traum von der Bundesliga blieb ein 65-minütiges Intermezzo. Schließlich erkannte er, dass der Sprung in die Bundesliga zu groß war. Nach ein paar Jahren bei unterklassigen Clubs wurde er Polizist. Doch er würde diesen besonderen Tag in Nürnberg nie vergessen, an dem Bundesliga-Geschichte mit einem Doppeldebüt im Tor geschrieben wurde.

Die folgenden Umstände hätten in normalen Zeiten als Vorbereitung gegolten: einen Ersatz-Torwart unter Vertrag zu haben oder einen erfahrenen Torwart als Backup zur Verfügung zu haben. Trotz der Doppelpremiere zweier junger Torhüter in Nürnberg waren die Vorbereitungen des VfL Bochum unzureichend, was zur Erteilung einer Erlaubnis für einen 17-jährigen aus der A-Jugend des VfL Bochum in einer Notfallsituation führte.

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