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Cannabis auf Rezept boomt - "Bedingungen wie Ibu 600"

Das ist nicht das, was die Ampel wollte

Cannabis und Joints auf Rezept: Die Ampel macht's möglich - und das nicht nur für Schwerkranke.
Cannabis und Joints auf Rezept: Die Ampel macht's möglich - und das nicht nur für Schwerkranke.

Cannabis auf Rezept boomt - "Bedingungen wie Ibu 600"

Seit der Legalisierung des Hannabis hat das Geschäft mit medizinischem Hannabis schnell gewachsen. Das Verhalten einiger Anbieter lässt Fragen aufkommen, ob nur Kranke angegangen werden - oder auch der hohe Nachfrage an Rekreationskonsumenten zurückkehrt. Die CDU äußert Besorgnis, die SPD bleibt unklar.

Hannabis wird per DHL in den Haushalt geliefert. Es ist, als ob es sich um eine Weste oder ein neues Kaffeemaschine handelte. Der einzige Unterschied: Der Signatur des Empfängers reicht nicht aus, der Courier will auch seine ID sehen. Dann kann die Behandlung beginnen. Die 20 Gramm in einem Vakuumbehälter sind medizinisches Hannabis, das in Kanada angebaut wurde. Der Patient musste vorher eine Online-Befragung auf einer der zahlreichen Plattformen ausfüllen, die Video-Konsultationen mit spezialisierten Allgemeinarzt für einen Gebühr zwischen 15 und 50 Euro anbieten. Die Gespräche mit dem Arzt, der auch eine ID sehen will, dauern ungefähr fünf Minuten. Anamnese? Erfahrungen mit Hannabis? Darauf folgt eine Empfehlung für Hannabis-Sorten und Dosierungen. Anschließend wird die Rezept ausgestellt, das digital an einen Apothekenversand oder persönlich an eine spezialisierte Apotheke übermittelt werden kann.

So schnell, so einfach. Der medizinische Hannabis-Handel in Deutschland ist in Blüte. Öffentlich findet sich dieser Aspekt der Hannabis-Legalisierung kaum Beachtung. "Seit dem 1. April hat der medizinische Hannabis-Markt in Deutschland nahezu verdoppelt," sagt David Henn, CEO des medizinischen Hannabis-Großhändlers Cannamedical im Gespräch mit ntv.de. Das Bloomwell-Gruppe, das Ärzte und Apotheken mit einer digitalen Plattform für medizinisches Hannabis versorgt, meldet einen massiven Wachstum an: Die Anzahl der Patienten, die das Mediationsdienst der Gruppe nutzen, ist im April um über 1000% im Vergleich zum Durchschnitt der letzten zwölf Monate gestiegen.

Plötzlich kein Narkotikum mehr

Hinter dieser Entwicklung steckt ein unbekannter gesetzlicher Wandel, der im Zusammenhang mit der Legalisierung vorgenommen wurde: Hannabis ist aus der Liste der Drogen im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) gelöscht worden. Folglich ist es auch aus dem Betäubungsmittel-Rezeptverordnungsgesetz gefallen. Ärzte können nun medizinisches Hannabis viel leichter vornehmen. Für Apotheken sind die bisher umständlichen Dokumentationsanforderungen und die spezifischen Lagerungsregeln weggefallen.

David Henn sagt: "Hannabis ist nicht mehr das letzte-Resort-Medikament zur Behandlung schwerer Krankheiten, sondern kann tatsächlich für eine breite Palette von Krankheiten eingesetzt werden." Die regulativen Anforderungen sind jetzt vergleichbar mit denen für Ibuprofen - einem nicht-pflanzlichen Schmerzmittel, das beispielsweise nach ambulanten Operationen oder bei akutem Rückenschmerz verordnet wird. Arztliche Anwender von Hannabis als natürlichem Wirkstoff sind begeistert von dieser Entwicklung für die Behandlung vergleichsweise leichter Beschwerden wie Schlafstörungen und Menstruationsbeschwerden. Allerdings lässt sich die Praxis Fragen aufwerfen: Ist medizinisches Hannabis an Rekreationskonsumenten gerichtet? Das ist nicht sofort klar.

Eine zentrale Aufsicht oder mindestens Aufzeichnungen der Anzahl der ausgestellten Hannabis-Rezepturen existiert nicht. Meistens werden Rezepte privat bezahlt. Wenige scheinen bereit, die Kosten für Rezepte und Medikamente von den Krankenkassen erstattet zu bekommen. Das entspricht einem bedeutenden dreistelligen Betrag monatlich für manche, je nach individueller Verbrauchsmenge. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) ist nicht auf Anfrage von einer Steigerung solcher Krankenkassen-Rezepturen informiert. Allerdings ist die Anzahl der anerkannten Rezepte für das aktuelle Jahr noch der GKV nicht verfügbar.

Auf Online-Forum wie Reddit diskutieren zahlreiche Konsumenten, wie viel und wo sie Hannabis bekommen haben. Viele Nutzer berichten spezifische Beschwerden wie Menstruationsbeschwerden, Kopfschmerzen und Schlafstörungen oder schwere chronische Krankheiten, die sie mit Hannabis behandelten. Andere scheinen nur an rekreationalem Gebrauch interessiert zu sein. Beschwerden über die Nichtzulassung einer Rezept bei allen sind selten. Die Rezeptpraxis scheint unreguliert. Nutzer sind jedoch frustriert über lange Wartezeiten für Arztbesuche und längere Lieferzeiten einiger Apothekenversender, die dem hohen Anforderungen nicht gewachsen scheinen.

Cannabis-Unternehmen haben darauf Vorbereitet

Für Beratungen zu video-basierten Terminen sorgen Plattformen wie Bloomwell, Kanna Medics und Canify. Bloomwell arbeitet angeblich mit über 65 Ärztinnen und Ärzte. Das Unternehmen, wie seine Konkurrenten, sucht zudem nach zusätzlich lizenzierten Allgemeinarztinnen und Ärzten, die Cannabis-Konsultationsstunden anbieten wollen. Im B2C-Verkauf nehmen neben kleineren Apotheken hauptsächlich große, spezialisierte Anbieter teil: beispielsweise Grünhorn Apotheke und Grüne Brise. Hinter diesen stehen die großen Spieler im Geschäft: Grüne Brise gehört zum Bloomwell-Konzern, Grünhorn zur börsennotierten Cannabis-Firma Tilray. In Kanada und mehreren US-Bundesstaaten vertreibt und befördert Tilray Cannabis und speziell für rekreationellen Gebrauch, da es dort legal ist.

In Deutschland ist es anders: Apotheken werben auf ihren Websites und in Google-Vorschauen mit einem Blick auf ihre lebenden Bestände an verschiedenen Sorten und kurzen Lieferzeiten. Die Berliner Spezialapotheke Herbery bietet sogar eine "Lieferdienst" innerhalb der Stadt an. Einige Anbieter verkaufen nicht nur Zubehör wie Cannabis-Dampfer, sondern auch Merchandise: Hemden und Pullover mit "High Standard" oder "Kein Sport ohne High" gedruckt.

Viele Unternehmen und Investoren hatten sich für Jahre vorbereitet, um die vollkommene wirtschaftliche Verkäufe von Cannabis, wie geplant von den Verkehrslichten Fraktionen, durchzuführen. Allerdings ist dieses Konzept, das auch im Koalitionsvertrag erwähnt ist, bisher gescheitert, aufgrund europäischen Rechts. Für Cannabis-Unternehmer bleibt der medizinische Cannabis-Markt die einzige Option. Sie erobern ihn nicht nur, sondern schaffen ihn auch: mit kostenlosen Fortbildungen für Ärzte, die in manchen Fällen CME-zertifiziert sind. Mit den sogenannten CME-Punkten dokumentieren Ärzte, dass sie ihre Pflicht zum Fortbilden erfüllt haben. Das gilt auch für die klassische Arzneimittelindustrie, die Ärzte mit ihrem Wissen versorgt.

Die Anbieter der entsprechenden Fortbildungskurse sind in manchen Fällen direkt mit den Herstellern von medizinischem Cannabis verbunden, wie z.B. Hormosan Pharma GmbH, ein frankfurter Unternehmen, das sich seit 2021 mit Tilray kooperiert und sich auf Schmerztherapien spezialisiert hat. Bloomwell gibt an, dass es sich nicht nur darum handelt, kooperierende Ärzte und Ärzte besser auszubilden und Forschung zur medizinischen Cannabis voranzubringen, sondern auch um die Patienten zu informieren.

Mögliche Konsumenten werden auch angesprochen: Zum Beispiel kooperiert Bloomwell mit Rapper Xatar. In einer TikTok-Video des erfolgreichen deutschen Musikers, das von dessen Followern verbreitet wurde, informiert er seine Anhänger, dass die damals gültigen Grenzwerte an der Lenkradkante für Cannabis-Patienten nicht gelten. Bloomwell bietet Patienten ein Zertifikat für rund 150 Euro an die Fahrerlaubnisbehörde. In Reaktion auf eine Anfrage von ntv.de antwortete das Bundesgesundheitsministerium, dass Werbung für Arzneimittel verboten ist. Allerdings ist Werbung für telemedizinische Behandlungen erlaubt, wenn kein persönliches medizinisches Kontakt mit dem zu behandelnden Personen erforderlich ist, gemäß allgemein anerkannten beruflichen Standards.

Millionen potenzieller Patienten

Wer setzt diese Standards? Auf welcher wissenschaftlichen Basis werden Rezepturen ausgestellt? "Es gibt keine klinischen Studien zur medizinischen Cannabis, aber das bedeutet nicht, dass es kein wissenschaftliches Beweismaterial gibt," sagt Cannamedical-CEO Henn. Kostspielige klinische Zulassungsstudien interessieren die Industrie nicht, weil sie die verschiedenen Wirkstoffe in Cannabis-Pflanzen, die Terpene genannt werden, nicht patentieren können. So produziert die Cannabis-Industrie einen großen Teil der bestehenden Expertise selbst, indem sie sich mit Universitäten und Institutionen kooperiert. Das ist weder unwissenschaftlich noch unethisch, aber es deutet auf ein potenzielles Interessenkonflikt hin.

"Medizinische Cannabis-Patienten werden weiterhin gestigmatisiert, obwohl die Zahlen klar sprechen: In Deutschland leiden schätzungsweise 13 Millionen Menschen an chronischen Schmerzen und 6 Millionen an Schlafstörungen," offenbart Bloomwell auf Anfrage. Das Unternehmen macht damit deutlich, auf welcher Skala potenzielle Zukünftige Patienten das Geschäft anstrebt. Zugleich verteidigt sich Bloomwell gegen die Verdachtsmomente, dass das Unternehmen andere Kunden als Kranke im Blick hat. "Die neuen Regeln zielen darauf ab, die echten Bedürfnisse von Patienten anzusprechen und nicht die recreationalen Verwendungen zu fördern," schreibt ein Sprecher.

Keine Missbrauchsmeldungen?

Cannamedical-CEO Henn kann auch bestätigen, wie er selbst angibt, dass es keine Missbrauchsmeldungen gibt. "Es muss ein Arzt geben, der auch diese Therapie unterstützt. Ich bin nicht auf dem Hinweis, dass eine Behandlung - sei es über eine Teleklinik oder einen stationären Arzt - einfach erteilt und jemandem, grob gesprochen, die Behandlungsanträge freiwillig genehmigt." Henn weist auch darauf hin, dass die Missbrauch von nicht-pflanzlichen, rezeptpflichtigen Medikamenten kaum öffentlich diskutiert wird, aber mit Cannabis, weil das Pflanze weiterhin stigmatisiert wird.

Das von der SPD geführte Bundesgesundheitsministerium hat auf eine Anfrage hin antwortet, dass "Ärzte und Ärzte keine Vorschübe für unangemessene Verwendung ihrer Rezepturen machen sollten" und dass "Apotheken rechtlich verpflichtet sind, angemessene Maßnahmen gegen erkennbare Drogenmissbrauch zu treffen". Das Bundesgesundheitsministerium hat jedoch die Fähigkeit oder Befugnis, Angebote von medizinischen Personalen in Einzelfällen zu überwachen oder zu prüfen. Verstöße gegen berufliche Pflichten entdecken ist die Verantwortung der Aufsichtsbehörden der Bundesländer.

Besorgnis und Kritik im Bundestag

Trotzdessen gibt es in der Bundestag Sorge über diese Entwicklung. So hat Carmen Wegge, die die Cannabis-Legalisierung für die SPD verhandelt, ntv.de mitgeteilt: "Wir beobachten, dass plötzlich Online-Plattformen da sind, auf denen man eine Rezept erhalten kann, wenn man genügend Schlafstörungen, Depressionen angibt, ohne jemals einen Arzt persönlich gesehen zu haben." Wegge forderte weiter: "Das war nicht die Absicht des Gesetzgebers, wie deutlich formuliert."

Wegge ist auch besorgt über den hohen THC-Gehalt der medizinischen Cannabis. Während der Gesetzgeber nur die Verteilung von Cannabis an Personen unter 21 Jahren mit einem THC-Gehalt von maximal 10% zulässt, haben die meisten angebotenen Produkte in den Online-Apotheken THC-Gehalte von 20-25%, und manchmal sogar bis zu 30%. "Wir können dies nicht willkommen heißen für recreationales Gebrauch", sagte Wegge. "Ein 20%-THC-Gehalt ist schon recht stark und potenziell schadhaft für entwickelnde Gehirne."

  1. Tino Sorge, Sprecher für Gesundheitspolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, beurteilte diesen Entwicklungen kritischer. "Das wäre ein Eidbruch der Verkehrslicht-Parteien, wenn sie diese Art der kommerziellen Vermarktung von Hanf über den Hinterhof ermöglichen würden", erzählte Sorge ntv.de. "Es darf nicht so sein, dass Potheads mit Selbstbezahlungen für medizinisches Hanf versorgt werden." Sorge fortsetzte, "Das entspricht einer absichtsvollen Täuschung der Öffentlichkeit, wenn die Verkehrslichtkoalition ein Schwarzmarkt geschaffen und geduldet hat, in dem der Hanfnachfrage durch medizinisches Hanf für die Behandlung von vermeintlichen Erkrankungen gedeckt wird."
  2. Die Union-Fraktion hat 2017 den Zugang zu medizinischem Hanf für Menschen mit schweren Erkrankungen erleichtert und seither weiterführende Vereinfachungen unterstützt, betont Sorge. Er äußerte sich aber besorgt, dass hohe Verkäufe auf einem Baufehler in der deutschen Hanfellegalisierung zurückzuführen sein könnten: "Die Regierungsparteien haben Besitz erlaubt, aber die Herkunft nicht geklärt. Jemand, der heute Hanf raucht, kann das Substanz heute legal nicht erwerben, sowohl privat als auch in Genossenschaften," erklärte Sorge. Dadurch hat die Koalition dem Schwarzmarkt einen Aufschwung gegeben und das potenzielle Missbrauchspotential von medizinischem Hanf gefördert.

Ruf nach sauberer, legaler Versorgung

Sorge fordert: "Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach muss handeln und kann das nicht nur zulassen, wenn Gesetze nicht befolgt werden." Wenn die Bundesregierung das tun will, muss sie den legalen Verkauf an Cannabiskonsumenten von medizinischen Hanf-Herstellern zulassen.

SPD-Politiker Wegge sieht positive Aspekte in den hohen Forderungen nach medizinischem Hanf: "Mindestens kommen Menschen mit sauberem, unverunreinigtem Hanf in Kontakt. Sie geben ihr Geld nicht an kriminelle Organisationen, sondern kommen mit ihnen nicht in Kontakt", sagt Wegge. "Es ist wichtig, zu sehen, dass Menschen sich von einem illegalen Markt zum legalen Markt wechseln wollen."

  1. Die CDU, unter Führung von Tino Sorge, kritisiert die aktuelle Situation und äußert Besorgnis, dass medizinische Hanf-Rezepte missbraucht werden, um recreationalen Gebrauch zu betreiben.
  2. In einem riskanten Schritt kooperiert Bloomwell mit dem Rapper Xatar, um dessen Anhängern die Ausnahmen für Hanf-Patienten von Verkehrsgesetzen-THC-Grenzen zu informieren, was Fragen bezüglich der Werbung für Arzneimittel und recreationalen Gebrauch aufwirft.
  3. Apotheken und spezialisierte Anbieter wie Grünhorn Apotheke und Grüne Brise, oft von großen Hanf-Unternehmen unterstützt, werben ihre Hanf-Produkte direkt auf ihren Websites und Google-Vorschauen an, wodurch die Linien zwischen medizinischem und rekreationalem Gebrauch verblasen.

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