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Was passiert nach einem Waffenstillstand?

Die Waffen des Gaza-Kriegs ruhten seit fast einer Woche. Den Menschen in Gaza wird endlich geholfen, doch es gibt wenig Hoffnung auf Frieden.

Ein Palästinenser sitzt in einem Sessel vor einem zerstörten Gebäude in Gaza-Stadt. Foto.aussiedlerbote.de
Ein Palästinenser sitzt in einem Sessel vor einem zerstörten Gebäude in Gaza-Stadt. Foto.aussiedlerbote.de

Fragen & Antworten - Was passiert nach einem Waffenstillstand?

Mit dem Waffenstillstand im Gaza-Krieg haben sowohl Israel als auch die islamistische Hamas ihre wichtigen Ziele erreicht: die Freilassung Dutzender israelischer Geiseln und mehr als 200 palästinensischer Gefangener. Im Gegenzug erhalten arme Menschen in Gaza mehr Hilfe als zuvor. Doch wie es weitergeht, ist unklar. Fragen und Antworten zum Waffenstillstand:

Wie hoch sind die Chancen, dass der Waffenstillstand über Freitag hinaus verlängert wird?

Die Vermittler Katar und Ägypten versuchen, den Waffenstillstand erneut zu verlängern. Grundsätzlich einigten sich Israel und die Hamas in der Vorwoche auf einen Waffenstillstand von bis zu zehn Tagen. Dieses Zeitfenster endet am Montagmorgen. Der Sicherheitsberater der israelischen Regierung, Mark Regev, sagte gegenüber CNN, dass der Waffenstillstand jeweils um einen Tag verlängert würde, wenn die Hamas zehn israelische Geiseln freilasse. Israel besteht darauf, dass es sich um lebende Geiseln handelt. Die Frage ist, ob die Hamas dieser Forderung nachkommen wird.

Wie israelische Medien berichteten, übermittelte die Hamas am Donnerstagmorgen kurz vor Ablauf der Frist eine Liste mit acht Geiseln. Die Verhandlungen über die Rückgabe der drei Leichen sollen noch andauern. Die US-Regierung gab am Montag bekannt, dass ihrer Meinung nach nicht alle Geiseln in den Händen der Hamas seien. CNN berichtete, dass es laut ungenannten diplomatischen Quellen schätzungsweise 40 Geiseln gab.

Wie viele israelische Geiseln und palästinensische Gefangene wurden bisher ausgetauscht?

Bis Donnerstagmittag waren 97 von der Hamas im Gazastreifen entführte Geiseln gegen 210 palästinensische Gefangene in israelischen Gefängnissen ausgetauscht worden. Zu den freigelassenen Geiseln gehörten 73 Israelis, davon 14 deutsche Staatsbürger, sowie 23 Thailänder und ein Philippiner. Bei den palästinensischen Gefangenen handelt es sich ausschließlich um Frauen und Minderjährige, der jüngste ist erst 14 Jahre alt. Ihnen werden Brandbombenwürfe, Brandstiftung und Messerangriffe vorgeworfen.

Wie viele Geiseln befinden sich noch im Gazastreifen?

Israel vermutet, dass sich noch immer etwa 145 Geiseln – darunter 15 Frauen und Kinder – im Gazastreifen befinden, berichtete die Times of Israel. Bisherigen Angaben zufolge besitzen rund sechs Geiseln deutsche Pässe. Der Vermittler Katar konnte die genaue Zahl der verbleibenden Geiseln nicht bestätigen, sagte der Sprecher des Außenministeriums, Majid Ansari, am Dienstag. Israelischen Quellen zufolge wurden zunächst etwa 240 Geiseln entführt.

Wie viel wissen Sie über die Bedingungen der Geiselhaft?

Angehörige der Geiseln berichteten in israelischen und internationalen Medien, dass ihre Familien in der Gefangenschaft nicht misshandelt worden seien. Es gab aber auch Tage ohne Essen. Manchmal müssen Entführte eineinhalb Stunden warten, bevor sie die Toilette benutzen dürfen. Manchmal gibt es nur Fladenbrot oder eine kleine Portion Reis. Sie schlafen auf zusammengeschobenen Bänken oder Stühlen. Angehörige eines 12-jährigen Kindes, das freigelassen wurde, berichteten, dass die Kinder mit Waffen bedroht und aufgefordert wurden, Stillschweigen zu bewahren. Nach seiner Freilassung berichtete der Junge, er sei gezwungen worden, sich Videos des israelischen Terroranschlags vom 7. Oktober anzusehen. Auch die ersten 16 Tage seiner Gefangenschaft musste er allein in einem geschlossenen Raum verbringen.

Was ist mit den männlichen Geiseln und Soldaten?

Über die Geiselnahmevereinbarung zwischen den männlichen Geiseln und den Soldaten gibt es bislang kein Wort. Es ist davon auszugehen, dass die Ansprüche der Hamas insbesondere an Soldaten deutlich höher sind als an Frauen und Kinder. Israelische Medien haben spekuliert, dass die Armee schließlich versuchen könnte, die Soldaten mit Gewalt zu befreien. Rundfunkberichten zufolge wurden am 7. Oktober etwa zehn Soldaten von einem Militärstützpunkt entführt.

Israel hat in der Vergangenheit eine schmerzhafte Erfahrung mit dem Austausch entführter Soldaten gemacht: Der israelische Soldat Gilad Shalit, der 2006 entführt und mehrere Jahre von der Hamas festgehalten wurde, wurde 2011 im Austausch gegen mehr als 1.000 Palästinenser freigelassen. Häftling. Jishia Sinwar, der derzeitige Führer der Hamas im Gazastreifen, wurde ebenfalls freigelassen.

Können sich Palästinenser jetzt in Gaza frei bewegen?

NEIN. Israels Bodenoffensive im Norden spaltete den Gazastreifen effektiv in zwei Teile. Kurz nach Beginn des Waffenstillstands wurden Soldaten eingesetzt, um zu verhindern, dass vertriebene Palästinenser aus dem südlichen Gazastreifen in ihre ehemaligen Häuser im Norden reisen, um nach Verwandten zu sehen oder sie zu besuchen. Hamas-Kreisen zufolge wurden im zentralen Gazastreifen zwei Menschen getötet, eine Person wurde angeschossen und eine weitere verletzt, als sie versuchten, in den Norden zu gelangen. Im Süden herrscht grundsätzlich Bewegungsfreiheit.

Was bedeutet der Waffenstillstand für die Zivilbevölkerung in Gaza?

Nach etwa sieben Wochen Krieg sind die leidenden Menschen in Gaza völlig erschöpft. Helfer sprachen von einer schweren humanitären Krise. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind derzeit etwa 1,8 Millionen Menschen oder etwa drei Viertel der Bevölkerung Binnenvertriebene. Es mangelt an fast allem: Nahrung, Wasser und Medikamente sind knapp, ebenso der Zugang zu medizinischer Versorgung. Nach Angaben der Hamas-Behörden wurden bei groß angelegten israelischen Luftangriffen und Bodenoffensiven im Norden fast 15.000 Menschen getötet und mehr als 36.000 verletzt. Die Zahlen können nicht unabhängig überprüft werden, werden aber von den Vereinten Nationen und Diplomaten allgemein als glaubwürdig angesehen. Nach Angaben des Palästinensischen Roten Halbmonds waren bis Mittwoch seit Beginn des Waffenstillstands 1.132 Lastwagen mit Hilfsgütern im blockierten Küstenstreifen eingetroffen.

Wie viel Schaden wurde im Gazastreifen angerichtet?

Riesig, das ist sicher, wie unzählige Fotos aus Kriegsgebieten zeigen. Thomas White, UNRWA-Direktor für Gaza, beschrieb Gaza-Stadt als „Geisterstadt“, in der alle Straßen verlassen seien und das Ausmaß der Zerstörung enorm sei. Laut US-Forschern wurden seit Kriegsbeginn zwischen 67.000 und 88.000 Gebäude beschädigt. Dies ist eine Analyse der Dispersed Damage Mapping Group (DDMG), einer Gruppe US-Wissenschaftler, die Satellitendaten nutzten, um Angriffe entlang der Küste zu untersuchen. Im nördlichen Gazastreifen wurden 50 bis 60 Prozent der Gebäude beschädigt.

Kann ein Waffenstillstand den Krieg beenden?

Dies scheint derzeit nicht der Fall zu sein. Israel hat sehr deutlich gemacht, dass es den Waffenstillstand nur als eine Pause betrachtet. Premierminister Benjamin Netanjahu hat wiederholt betont, dass der Krieg so lange andauern wird, bis Israel alle seine Ziele erreicht hat. Dazu gehören die Eliminierung der Hamas und die Rückgabe aller Geiseln. Darüber hinaus sollte Gaza keine Bedrohung mehr für Israel darstellen.Netanjahu hatte zuletzt am Mittwoch angekündigt, dass die Kämpfe wieder aufgenommen würden, wenn „diese Phase der Rückführung der Geiseln abgeschlossen ist“.

Die Hamas wiederum hofft letztendlich, in den historischen palästinensischen Gebieten einen islamischen Staat zu errichten. Sie will den Staat Israel zerstören. Der Sprecher der Terrorgruppe drohte zudem mit einer Wiederholung des Massakers vom 7. Oktober. Die USA und Deutschland haben bislang die Ablehnung eines langfristigen Waffenstillstands durch Israel unterstützt.

Was ist die größte Sorge der internationalen Gemeinschaft hinsichtlich der Fortsetzung des Krieges?

Die Zahl der zivilen Opfer wird erneut stark ansteigen. Nach Angaben der Vereinten Nationen leben viele der rund 1,8 Millionen Binnenvertriebenen in überfüllten Notunterkünften in der südlichen Küstenregion. Die Weltgesundheitsorganisation hat gewarnt, dass eine weit verbreitete Ausbreitung der Krankheit letztendlich mehr Menschen töten könnte als Kämpfe. Wenn die israelischen Streitkräfte wie angekündigt weiterhin Angriffe auf Hamas-Ziele starten und diese dann verstärkt in den Süden richten, ist es fraglich, wie die Bevölkerung geschützt werden soll. Darüber hinaus ist unklar, wie humanitäre Hilfsgüter an die Bedürftigen geliefert werden.

Was sind Israels langfristige Pläne für Gaza?

Es ist noch nicht klar. Premierminister Netanjahu sagte, dass Israel auch nach dem Sieg über die Hamas weiterhin eine Rolle bei der Gewährleistung der Sicherheit in der Region spielen müsse. Unterdessen haben die USA, vielleicht Israels wichtigster Verbündeter, ausdrücklich vor einer erneuten Besetzung des Gazastreifens gewarnt. Die US-Regierung möchte, dass die Palästinensische Autonomiebehörde neben dem Westjordanland wieder auch für den Gazastreifen zuständig ist. Die langfristige Hoffnung ist eine Zwei-Staaten-Lösung, eine friedliche Koexistenz zwischen einem israelischen und einem palästinensischen Staat – was derzeit unrealistisch erscheint.

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Quelle: www.stern.de

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