Steinmeier blickt auf Israels „verwundete Seele“
Der Bundespräsident kroch durch die Trümmer und Asche des Kibbuz Beeri, inspizierte zerstörte Häuser und hörte sich Berichte über Mord und Terror an. Er traf sich auch mit Überlebenden des Hamas-Massakers vom 7. Oktober. Werden sie hierher zurückkommen?
Am Morgen des 7. Oktober bebten die Fenster von Qiwajielins Haus. Sie weckte ihren Sohn. Sie hörte das Sirenensignal und vermutete, dass es keine gewöhnliche Sirene war, kein Raketenangriff, denn es passierte immer wieder. Die Familie zog sich in die Unterkünfte zurück, die hier in jedem Haus zu finden sind. Draußen hörte sie Schüsse, Explosionen und Rufe auf Arabisch, als Angreifer mit Fahrzeugen zum Tatort fuhren. Ziva Jelin erhielt über ihr Telefon die Bitte, im Tierheim zu bleiben. „Wir haben lange Zeit nicht verstanden, was los war“, sagte sie.
Ziva Jelin ist 61 Jahre alt und wurde im Kibbuz Beeri geboren. Von der Haustür aus wohnt sie in einem kleineren, älteren Haus auf der linken Seite. Die Angreifer bewegten sich überwiegend nach rechts, in Richtung neuerer, größerer Gebäude. Einer ihrer Militärnachbarn war am Sabbat zu Hause. Ziva Gerin sagte, er habe mit seiner Waffe auf alles geschossen, was sich auf das Haus zubewegte. "Wir sind glücklich."
Trotz Waffenstillstand bleibt das Sicherheitsniveau hoch
Der Kibbuz Beeri, den Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Montag besuchte, ist fast schon ein Synonym für die Schrecken des 7. Oktober. Sie liegt nicht weit von der Grenze zum Gazastreifen entfernt und war eine der ersten israelischen Siedlungen, die am Samstagmorgen von der Hamas, dem Islamischen Dschihad und palästinensischen Zivilisten angegriffen wurde. Laut israelischen Statistiken wurden 130 der rund 1.300 Einwohner getötet und mehr als 50 Menschen entführt. Viele Häuser wurden zerstört, oft brannten sie völlig nieder. Später evakuierte die israelische Armee den Kibbuz, und die verbleibenden Bewohner leben jetzt in Notunterkünften, die meisten von ihnen in einer kleinen Stadt am Toten Meer, darunter auch Ziva Jerin.
Dies ist der 52. Tag nach dem Angriff und der vierte Tag des Waffenstillstands zwischen der israelischen Armee und der Hamas. Dennoch gelten für Steinmeiers Besuch strenge Sicherheitsvorkehrungen. Der Bundespräsident und seine Frau Elke Budenbender tragen Schutzwesten. Es waren keine Vorabinformationen über bestimmte Reiseziele zulässig; die Delegation wurde mehrfach über Vorsichtsmaßnahmen informiert.
Steinmeier ist oft in Israel – die Situation war noch nie so dramatisch
Ziva Jelin besuchte sie mehrmals zu Hause, um Vorräte abzuholen. Sie war eine Malerin, die mehr als 30 Jahre lang eine Galerie in Be'eri betrieb, die weit über die Grenzen des Kibbuz hinaus bekannt wurde. Moderne Kunst, ein Ort der Begegnung. Am selben Tag traf sie sich mit Steinmeier, der mit seiner Frau in Begleitung des israelischen Präsidenten Yitzhak Herzog nach Beeri kam. Sie stehen vor den Ruinen einer völlig zerstörten Galerie.
Steinmeiers Besuch in Israel ist seit langem geplant. Tatsächlich sollte der 75. Jahrestag Israels gefeiert werden. Doch dann kam der 7. Oktober. Für Steinmeier ist es der vierte Besuch als Bundespräsident in Israel. Insgesamt war er mehr als 20 Mal hier, meist als Außenminister. Er hat auch den Gazastreifen besucht. Aber die Reise nach Israel war noch nie so dramatisch. Er solidarisierte sich nicht nur mit dem angegriffenen Israel, sondern auch mit „Israel, das sich wehrt“. Der Bundespräsident hofft, ein Zeichen zu setzen und den wachsenden Verdacht gegenüber Israels Kriegsführung zu zerstreuen, ohne dabei das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung außer Acht zu lassen. Ein schmaler Grat.
Am Sonntag traf Steinmeier in Jerusalem mit Angehörigen der Geiseln zusammen, die die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Acht von ihnen wurden inzwischen freigelassen, darunter vier Frauen und vier Kinder. Ungefähr 15 Menschen bleiben in den Händen ihrer Entführer. Ich bin mir nicht sicher, ob alle noch am Leben sind. Die Freilassung von Geiseln in den Händen des Islamischen Dschihad ist besonders schwierig, da Verbindungen zur Terrorgruppe fast nur über den Iran hergestellt werden können.
Ein Ausflug zum Kibbuz Beeri. Zwei israelische Soldaten führten deutsche Touristen in das Haus von Herrn und Frau Kipnis, beide Rentner. Sie leben hier mit philippinischen Betreuern. Lilach Kipnis ist eine ehemalige Sozialarbeiterin, die Bücher für Kinder schreibt, die von der ständigen Angst vor Raketenangriffen traumatisiert sind. Auf Schutt und Dreck läuft man durch das Haus. Es roch nach Rauch, überall waren schwarze Streifen und ein Raum war mit Blut befleckt. Hier wurden die Kipnis und ihre Betreuer brutal ermordet. Israelische Soldaten berichteten, dass 80 Prozent der in Beeri gefundenen Leichen Spuren von Folter aufwiesen.
Einige der Toten haben nur noch ihre Zähne übrig
Ein paar Meter entfernt standen einige Frauen (ehemalige Bewohnerinnen) vor einem Haus. Offenbar waren sie dabei, die Möbelreste zu durchsuchen. Eine andere Frau kam vorbei und wurde umarmt. Die Leute schienen immer noch verwirrt zu sein. Ein weiteres zerstörtes Haus. Hier lebt Vivian Silver, eine kanadische Jüdin, die vor einigen Jahren nach Israel eingewandert ist. Silver versteht sich als Friedensaktivistin, sie kümmert sich um kranke Kinder im Gazastreifen und besorgt ihnen medizinische Hilfe. Israelische Soldaten sagten, sie sei etwa einmal pro Woche zum Grenzübergang Gazastreifen gefahren.
Nach dem 7. Oktober verschwand Silver. Nur wenige Wochen später wurden in ihrem verbrannten Haus menschliche Überreste entdeckt und die Frau identifiziert. Israelische Soldaten sagen, dass sie oft nur die Zähne toter Menschen finden. Am 11. November wurde Vivian Silver für tot erklärt.
Einige Bewohner von Beeri hatten Waffen und andere wehrten sich. Die Armee kam später, sehr, sehr spät, um zu helfen. Eine Kibbuzfrau sagte, sie sei nicht überrascht. Die Regierung vernachlässigt bewusst die Grenzgebiete des Gazastreifens, da sie mehr Truppen zum Schutz der Siedler im besetzten Westjordanland stationiert. Ein israelischer Soldat sagte, die Leichen von etwa 200 Terroristen seien später im Kibbuz Beeri gefunden worden. Sie sagte, das sei ein Hinweis darauf, wie viele es insgesamt zu den Angreifern gegeben habe.
"Sehen Sie, wie tief die Seele Israels verletzt wurde"
Frank-Walter Steinmeier zeigte sich nach seinem Besuch tief beeindruckt. In Deutschland schaue man fern und lese Reportagen, sagte der Bundespräsident. Aber die Verwüstung aus erster Hand zu sehen, war etwas anderes. Steinmeier sagte, Kibbuzim, bei denen es sich größtenteils um kooperative Siedlungen handelt, deren Lebensunterhalt von der Landwirtschaft abhängt und die oft von europäischen Juden gegründet werden, seien „Teil der Seele Israels“. „Hier zu sein bedeutet, Zeuge zu werden, wie tief die Seele Israels verletzt wurde.“
Deutschland will den Wiederaufbau der Galerie und des Konferenzzentrums mit 7 Millionen Euro unterstützen. Steinmeier wird neben Präsident Itzhak Herzog das Sponsoring übernehmen. Als der Kibbuz Beeri wieder aufgebaut wurde.
Sofie Berzon MacKie hat kürzlich die Galerie von Ziva Jelin übernommen. Vor dem Hamas-Angriff lebte sie mit ihren drei Kindern in Beeri. Alle überlebten, aber McKee sagte, was sie sahen, sei „das Schlimmste, was man erleben konnte, ohne zu sterben.“ Sie und ihre Kinder sind in Behandlung. Sie wollen als Familie entscheiden, ob sie zurück nach Beary ziehen wollen. Aber egal was passiert, diese Erinnerungen werden sie „lebenslang“ begleiten.
Solange die Hamas den Kibbuz bedroht, wird sie nicht zurückblicken
Mackey sagte, die Menschen sollten unter keinen Umständen in den Kibbuz zurückkehren, solange die Hamas dort bleibe und den Kibbuz weiterhin bedrohe. Das Leben mit Raketenwarnungen, Unterkünften und Evakuierungen sei in den letzten Jahren alltäglich geworden, und „das kann ich nach allem, was passiert ist, von meinen Kindern nicht mehr erwarten.“
Die Malerin Ziva Jelin sagte, sie wolle nach Beeri zurückkehren. Sie wurde hier geboren. „Ich fühle mich nirgendwo anders wohl.“ Sie hält einen Krieg der israelischen Streitkräfte gegen die Hamas für unausweichlich. „Wir wollen diesen Krieg nicht, aber wir müssen ihn führen.“ Einige von Beeris Geiseln seien inzwischen freigelassen worden. Doch die 13-jährige Enkelin ihres Bruders ist immer noch in den Händen von Terroristen.
Natürlich hörte Ziva Djelin auch von Kindern im Gazastreifen, die starben, ihre Eltern verloren oder flüchteten. Aber sie gibt freimütig zu, dass ihr erster Gedanke immer daran lag, was mit den Kindern in Beeri und anderswo in Israel geschah.
Quelle: www.ntv.de