Achim Truger - Sozialausgaben kürzen? Der Wirtschaftsweiser erklärt, warum er das für eine schlechte Idee hält
Herr Truger, Finanzminister Lindner sagte, dass im Haushalt 2024 17 Milliarden US-Dollar fehlen. Wo kann der Staat am besten Geld sparen?
Das ist die falsche Diskussion. Aufgrund des Karlsruhe-Urteils stehen diese Fördermittel in den nächsten Jahren nicht mehr zur Verfügung und waren ursprünglich für die Kreditfinanzierung von Investitionen gedacht. Der beste Weg, eine Ampel zu finanzieren, besteht darin, einen Kredit dafür aufzunehmen. Ich denke darüber nach, die Schuldenbremse zu reformieren oder einen „Sonder-Klimafonds“ einzurichten. Ähnlich wie bei der Bundeswehr wurde ein Sonderfonds eingerichtet, der in Form eines Bundesbeschlusses im Grundgesetz verankert ist.
Die Sozialdemokraten und die Grünen könnten dies auch bevorzugen. Doch dieses Mal hat sich die Liga selbst abgeriegelt. Liberale Demokraten wollen auch, dass Ampeln eine bessere Nutzung der verfügbaren Mittel ermöglichen.
Wenn Regierungen Geld sparen wollen, sollten sie über klimaschädliche Subventionen nachdenken. Ihre Abschaffung wurde bereits im Koalitionsvertrag angekündigt. Doch wenn die Ampeln tatsächlich die Sozialausgaben kürzen, wie manche es jetzt fordern, würde das nicht nur gravierende soziale Probleme verursachen, es wäre auch schlecht für die Wirtschaft.
Du musst es erklären.
Die Finanzpolitik für das kommende Jahr ist bereits restriktiv. Wenn man den sozialen Bereich einschränkt, entsteht ein zusätzlicher Zwang zur Einschränkung. Dies macht es wahrscheinlicher, dass die Regierung die Wirtschaft in eine Rezession treiben wird. Wir brauchen Investitionen in der Höhe, die der Klima- und Transformationsfonds und der Wirtschaftsstabilisierungsfonds vorsehen. Würden diese beseitigt, würde das Wirtschaftswachstum um 0,9 Prozentpunkte zurückgehen.
Es gibt viele Vorschläge zur Kürzung der Sozialausgaben. Längst kommen sie nicht nur von der EU und der FDP, sondern auch von anderen Ökonomen.
Was wir gerade sehen, ist ein großes Spiel mit dem Titel „Was ich schon immer sagen wollte“. Viele nutzten das Karlsruher Urteil als Vorwand, um Kürzungen vorzuschlagen, die sie bereits zuvor vorgeschlagen hatten.
Sind diese Ideen falsch?
Einige Vorschläge können besprochen werden. Sie werden uns in der aktuellen Situation gravierender Haushaltsdefizite nicht helfen. Andere Vorschläge hätten jedoch enorme negative Auswirkungen auf die ärmsten Menschen der Gesellschaft. Das verdeutlicht die Absurdität der ganzen Debatte: Sollen jetzt arme Rentner die Zeche bezahlen, weil die Regierung bei der Finanzierung klimafreundlicher Investitionen völlige Fehler gemacht hat?
Ihre Kollegin im Ökonomengremium, Veronika Grimm, hat sich ebenfalls für Rentenkürzungen ausgesprochen. Sie glaubt, dass über die 63-Jährigenrente oder die Mütterrente verhandelt werden kann.
Jeder kann Vorschläge machen. Allerdings glaube ich nicht, dass diese Kürzungen empfehlenswert sind. Diese Ideen sind verfrühte Schnelllösungen. Es gibt wirksame Regeln für Rentenanpassungen, aber eine kurzfristige Haushaltssanierung sollte diese Regeln nicht außer Kraft setzen. Auch die Mütterrente wirkt sich auf die Altersarmut aus. Eine Kürzung der Ausgaben wird sich besonders stark negativ auf die untersten Einkommensschichten auswirken. Dies wird die Armutsgefährdungsquote erhöhen und letztendlich mehr Menschen dazu zwingen, Zugang zur Grundsicherung zu erhalten. Dies würde Länder anderswo belasten. Bei beiden Vorschlägen gibt es auch ein wichtiges Problem: Diese Renten werden größtenteils durch Beiträge finanziert. Wenn Sie sie entfernen, verringern Sie die Belastung der Beitragszahler, sparen aber nicht so viel im Bundeshaushalt.
Trotzdem fließen die meisten Sozialausgaben in die Renten. Der Bund zahlt jedes Jahr rund 100 Milliarden Euro an Zuschüssen zur gesetzlichen Rentenversicherung. Sollten Sie nicht dort sein?
Sie können fragen, aber was sind die Konsequenzen? Natürlich könnte man die Bundeszuschüsse auch einfach kürzen. Aber andererseits müssen die Spenden steigen. Ich glaube nicht, dass uns das hilft.
Dann schauen wir uns das Geld der Bürger an. Die EU ist besorgt über ihr Wachstum von 12,6 % Anfang 2024.
Für mich ist das Populismus, purer Theaterdonner. Die EU selbst hat sich bereit erklärt, Mechanismen einzurichten, um die Gelder der Bürger schneller an die Inflation anzupassen. Darüber hinaus sieht die Verfassung strenge Grenzen für das Geld der Bürger vor und garantiert einen Mindestlebensstandard. So einfach kann man es nicht kürzen.
Können Sie nicht grundlegende Maßnahmen zur Kindersicherheit einführen?
Die Begrenzung der Kinderarmut sollte ein zentrales Thema sein. Wenn Sie wirklich möchten, dass mehr Menschen die ihnen tatsächlich zustehenden Leistungen erhalten, sollten Sie die Einführung des Grundkindergeldes nicht blockieren. Außerdem wird es erst 2025 erscheinen, sodass seine Entfernung dem Budget für 2024 nicht zugute kommt. In den letzten Wochen gab es massive Kritik an der Gestaltung der grundlegenden Kindersicherheit, nicht nur von Seiten der Kommunen, sondern auch vom Commonwealth Audit Office und der Arbeitsagentur, die wesentliche Teile davon hätten umsetzen sollen.
Natürlich muss man ein möglichst effizientes Design finden. Das Schnittstellenproblem ist komplex und wird immer noch diskutiert. Allerdings halte ich es für unangemessen, dadurch das Grundwohl des gesamten Kindes in Frage zu stellen.
Vereinfacht gesagt: Sozialsektoren sollte man nicht abbauen, aber die Reform der Schuldenbremse oder neue Sonderfonds auf Basis des Grundgesetzes sind derzeit politisch blockiert. Was sollen Ampeln also bewirken?
Wenn Politiker keine zusätzlichen Kredite bekommen wollen oder können, müssen sie auf die Einnahmenseite schauen. Eine „Klima-Solidarität“ ähnlich dem aktuellen Solidaritätszuschlag könnte zur Finanzierung von Klimaprojekten beitragen. Natürlich könnten auch Energiesteuern oder CO2-Preise erhöht werden. Das ist zwar aus ökologischer Sicht eine gute Sache, aber auch eine ökonomische Belastung. Eines ist sicher: Wir dürfen jetzt nicht an Investitionen sparen. Dies wird in Zukunft zu Verlusten führen.
Lesen Sie auch:
Quelle: www.stern.de