Meltz wirft Scholz die Tür vor der Nase
Die Koalition weiß noch nicht, wie sie einen verfassungsrechtlich fundierten Haushalt 2024 ausarbeiten soll. Doch die Kanzlerin hat bereits Argumente dargelegt, die in Karlsruhe zum Tragen kommen könnten. Die CDU-Spitzen hingegen setzten auf Konfrontation.
Eigentlich soll die Haushaltswoche an diesem Dienstag um 10 Uhr beginnen und der Bundestag soll eigentlich am Freitag über den Haushaltsplan für das kommende Jahr verabschieden. Eigentlich. Aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November ist ein solcher Plan Zeitverschwendung.
Stattdessen erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag, wie „die Regierung auf die Konsequenzen des jüngsten Urteils des Bundesverfassungsgerichts reagieren wird“. Lange Rede, kurzer Sinn: Scholz hat immer noch keinen Plan B vorgelegt. Nach seiner Rede und der anschließenden Debatte war eines klar: Wenn die Allianz auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Unionisten hoffte, hatte sie sich verrechnet.
Heftige persönliche Angriffe des Bundestagsfraktionschefs Friedrich Merz, insbesondere gegen Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck, haben die Chance auf eine solche Zusammenarbeit nahezu unmöglich gemacht. Der CDU-Chef hat die Verhandlungen nicht nur blockiert, sondern wirft sie der Kanzlerin sogar vor die Nase.
Gründe für Schuldbekenntnis in Karlsruhe
Die Rede von Scholz hingegen richtete sich nicht an die EU. Im Großen und Ganzen scheint dies die Botschaft an die Richter des Bundesverfassungsgerichts zu sein. Denn sie machten in ihrem Urteil deutlich, dass es gute Gründe für die Aussetzung der Schuldenbremse geben muss.
Die Koalition hat deutlich gemacht, dass sie diesen Weg auch im Jahr 2023 gehen will; der diesjährige Nachtragshaushalt wird noch in dieser Woche dem Bundestag vorgelegt. Ob Traffic Light auch für den Haushalt 2024 einen „außerordentlichen Notstand“ ausrufen will, ist unklar.
Auch Scholz erwähnte die Angelegenheit in seiner Regierungserklärung nicht. Als Gründe für die Ausrufung des Notstands, der auch im Jahr 2024 gelten würde, nannte er jedoch: militärische und finanzielle Unterstützung für die Ukraine, die „letztendlich entscheidend für unser Überleben in Europa“ sei. Die Unterstützung ukrainischer Kriegsflüchtlinge in Deutschland sei richtig, aber auch eine „riesige Anstrengung“. Die Energiepreise steigen, da Russland die Gaslieferungen einstellt.
Stimmt die Bundesregierung zu, könnte sie mit all diesen Argumenten eine Aussetzung der Schuldenbremse für das kommende Jahr rechtfertigen. In diesem Fall muss sie möglicherweise alle diese Gründe in Karlsruhe angeben. Merz drohte mit einer Klage auf eine weitere Aussetzung der Schuldenbremse – und räumte ein, dass der diesjährige Nachtragshaushalt möglicherweise verfassungsgemäß sei.
Keine Entschuldigung, sondern ein Wahlkampfslogan
Trotz anhaltend hoher Energiekosten bekräftigte Scholz, dass die von Finanzminister Christian Lindner angekündigte Energiepreisbremse zum Jahresende auslaufen werde. Sein Team erhielt an dieser Stelle seiner Rede keinen Applaus – die SPD forderte, dass diese Unterstützungsmaßnahmen für Industrie und Haushalte wie geplant bis März bestehen bleiben. Scholz sagt, das sei nicht nötig. „Jetzt werden in ganz Deutschland wieder Strom- und Gastarife eingeführt, wobei die Preise deutlich höher sind als vor der Krise, aber größtenteils unter den Obergrenzen liegen, die wir für Preisbremsen festgelegt haben.“
Der Kanzler entschuldigte sich nicht dafür, dass die Haushaltspolitik seiner Bundesregierung verfassungswidrig sei. Stattdessen erklärte er mit großer Zuversicht, dass sich die Bundesregierung „vom ersten Tag an“ dafür eingesetzt habe, das Land zu modernisieren, die Wirtschaft zu transformieren und den Reformstau abzubauen. „Wir haben zu Beginn der Regierung beschlossen, dass wir nicht länger zusehen werden, wie die deutsche Infrastruktur zerstört wird.“
Gegen Ende seiner Rede änderte sich die Ansprache: Scholz wandte sich nun klar an die Wähler. Er zitierte ein altes Fußballsprichwort, mit dem er zuvor versucht hatte, seine politischen Ansichten zu erklären: „Du wirst nie alleine gehen – das habe ich letztes Jahr versprochen und das tue ich immer noch.“ Auch das ältere Underhook-Image ging nicht verloren. Scholz scheint bereits über den bevorstehenden Wahlkampf nachzudenken.
"Man weiß immer alles"
Merz und die Allianz-Fraktion scheinen dies berücksichtigt zu haben. Sie kommentierten die Rede des Premierministers immer wieder mit Zwischenrufen und hämischem Gelächter. Bündnisfraktionen hätten lachen müssen, als der CDU-Chef später sagte, seine Organisation habe sich gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht durchgesetzt.
Die Rede von Mertz war insofern ungewöhnlich, als er scharfe Kritik an Ampeln und dem Premierminister übte. Ungewöhnlicherweise lässt sein Vorwurf wenig Raum für Diskussionen. Er warf der Bundesregierung vor, sie wolle die Schuldengrenzen „in geradezu dreister Weise“ umgehen und nannte Scholz „den Urheber dieser verfassungswidrigen Interpretation“, was nach wie vor zum üblichen Umgangston zwischen Opposition und Regierung gehört, wie es seine Kritik ist Der Kanzler betonte, er habe kein Wort des Bedauerns gesagt.
Doch dann sagte Merz: „Du weißt immer alles, und vor allem weißt du immer alles besser als alle anderen.“ Das geht gegen Menschen und gegen den Charakter. So kann man nicht reden, wenn man sich danach privat treffen möchte. Er zeigte auf die Regierungssitze und sagte in abweisendem Ton: „Das ist die Regierung der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt. Was wir hier sehen und hören, ist wirklich peinlich.“ (Finanzminister Lindner hob drei Finger, lächelte sanft: Deutschlands Das BIP hat gerade Japan übertroffen und ist zur drittgrößten Volkswirtschaft geworden.)
"Bitte kommen Sie jederzeit zu mir"
Daraufhin machte Mertz der Liga ein Gesprächsangebot, das eher einer Aufforderung zum Gehorchen gleichkam. „Wenn Sie mit uns darüber sprechen möchten, wie das funktioniert, dann kommen Sie zu mir und wir können über fast alles reden.“ Auch hier gilt es, Etikette-Details zu beachten: Der Oppositionsführer lädt den Premierminister zu einem Besuch ein ihn. Tatsächlich finden solche Treffen oft im Büro des Premierministers statt. Aber auch Mertz freute sich nicht auf ein solches Treffen. Er bezeichnete es als „politische Verantwortung“ der Gewerkschaft, alles zu tun, damit „der Skandal mit der Regierung so schnell wie möglich beendet wird“. Also Neuwahl. Doch mit wem will Mertz regieren? Für die SPD, wessen Kanzlerin verachtet er offensichtlich? Was die Grünen betrifft, scheint er den Wirtschaftsminister der Grünen für inkompetent zu halten?
Darüber hinaus richtete Merz auch eine Botschaft an die CDU-Kanzler, die sich alle mehr oder weniger explizit für eine Reform der Schuldenbremse aussprechen: „Wir werden auf der Schuldenbremse im Grundgesetz bestehen“, sagte Merz. Die Ampel dürfe gar nicht erst versuchen, „den Bund abzuwürgen“, denn „Entscheidungen werden im Bundestag getroffen und nicht im Berliner Rathaus.“ Vielleicht war es kein Zufall, dass Merz den Berliner Bürgermeister Kai Wegener für seine Ausführungen ausgewählt hat – ohnehin gelten die Beziehungen zwischen den beiden nicht mehr als besonders gut.
Die besten Witze kommen von Christian Durr
Eine weitere Debatte wird die Konfrontation nicht lösen. Katharina Dröge, Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, warf der Lega-Fraktion vor, deutlich zu machen, dass ihr das Schicksal des Unternehmens und seiner Mitarbeiter egal sei. Die Fraktionsvorsitzende der Alternative für Deutschland, Alice Weidel, schaffte es, über Merz‘ eskalierende Rhetorik hinauszugehen, indem sie die Bundesrepublik als „Abgrund-“ oder „Kollaps“-Land bezeichnete, Habeck als „wirtschaftspolitischen Analphabeten“ bezeichnete und behauptete, Lindner wolle die Schuldenbremse abschaffen – etwas, was er wahrscheinlich nie tun würde geträumt von.
Den besten Witz der Debatte machte FDP-Fraktionsvorsitzender Christian Dürr. Er sprach davon, dass der Bundeskanzler in diesem und im nächsten Jahr auch in seinen Bundesländern den Ausnahmezustand ausgerufen habe. Der einzige EU-Ministerpräsident, der die Schuldenbremse „diese Woche“ noch nicht in Frage gestellt hat, ist Markus Söder, „aber das ist erst Dienstag.“
Sogar Merz musste schmunzeln.
Quelle: www.ntv.de