Bodyshaming - Melodie Michelberger: „Dicke Menschen werden bewusst aus Modeunternehmen ausgeschlossen“
Michelle Berg, die Modebranche prahlt gerne damit, dass sie endlich vielfältiger wird. Auf Modenschauen sollten mehr Models mit unterschiedlichen Hauttönen zu sehen sein, und es sollte mehr Mode in Übergrößen geben. Sehen wir endlich Veränderungen? Ich hoffe es. Leider ist von der vielgepriesenen Vielfalt nicht mehr viel übrig geblieben. Die Präsentation kurviger Frauen in Werbekampagnen oder Modenschauen war vor einigen Jahren der letzte Schrei und machte Models wie Ashley Graham und Paloma Elsesser auf der ganzen Welt berühmt. Leider werden Plus Size- und BIPoC-Modelle heutzutage immer seltener. Laut einer Analyse des Magazins Vogue Business werden weniger als 1 % der Models auf den Modenschauen im Sommer 2024 Plus-Size-Körper haben. Das bedeutet, dass 99 % der Menschen immer noch winzige Kleidung tragen. Welche Gesellschaft repräsentiert das?
Wie vielfältig sind die Einkaufsstraßen in Deutschland?Leider gibt es auch hier fast keine Änderungen. Die große Vielfalt, die wir sehen, wenn wir auf einer Bank in der Innenstadt sitzen und den vorbeigehenden Menschen zusehen, spiegelt sich immer noch nicht in den angebotenen Konfektionsgrößen wider. Bei Damen sind nach wie vor die Größen 44+ gefragt. Noch immer sind die Models in großen Werbekampagnen überwiegend weiß, sehr jung und sehr dünn. Viele Marken haben zudem den Verkauf von XXL-Kollektionen im Handel verboten und verkaufen sie nur noch online. Dies macht es für Menschen mit bestimmten Konfektionsgrößen schwierig, die richtige Passform zu finden.
Was ist Ihrer Meinung nach der Grund dafür?Viele Marken glauben, dass sich Mode online besser verkauft und dass sie in den Geschäften zu viel Platz einnimmt. Das ist schwer zu verstehen. Schließlich haben Anbieter wie H&M riesige Flagship-Stores. Dies erweckt den Eindruck, dass einige Geschäfte dickere Kunden nicht willkommen heißen.
Möchten Sie absichtlich Kunden mit größeren Größen ausschließen?Ja, das ist meine einzige Erklärung. Dicke Menschen sind nicht willkommen und werden von Modeunternehmen bewusst ausgeschlossen. Fettleibigkeit ist weit verbreitet. Natürlich hat das niemand gesagt. Deshalb ist es besser, ein paar fadenscheinige Gründe anzuführen, etwa eine unzureichende Nachfrage oder zu viel Input für die Produktion.
Warum gelten diese Gründe nicht?Wenn Sie sich in anderen Ländern umschauen, werden Sie einige Marken finden, die es schaffen, das gleiche Kleid in XXS und 4XL herzustellen. Ihr Größenbereich ist nicht auf XL oder Größe 44 beschränkt. Marken wie Ganni aus Dänemark, Rixo aus Großbritannien und Mara Hoffman aus den USA haben keine eigenen Kollektionen und lassen sperrige Zelte einzeln in einer Nische hängen. Sie machen einfach coole Mode für alle Größen.
Die Größenauswahl vieler Modeanbieter endet oft bei 44. Das ist aber genau die Durchschnittsgröße deutscher Frauen. Warum wurde diese Marktlücke jahrelang ignoriert?Ich verstehe es selbst nicht. Die Modeindustrie produziert etwas, das die Realität ignoriert. Dünne Models dominieren zwar Modenschauen, aber unsere Gesellschaft ist anders. Ich selbst trage Größe 44/46. Auch wenn es manche wundert: Das ist das Standardmaß in Deutschland. Ich bin gewöhnlich – aber die Modebranche markiert mich als Ausnahme.
Wann sind Sie das letzte Mal durch die Einkaufsstraßen Ihrer Heimatstadt Hamburg geschlendert? Obwohl ich nur wenige Minuten von der Hamburger Innenstadt entfernt wohne, habe ich dort schon seit Jahren nicht mehr eingekauft. Warum? Ich mag es nicht, mich unerwünscht zu fühlen. Denn keine der großen Modemarken wie Zara und Other Stories hat Produkte für mich und auch bei Alsterhaus konnte ich sie nicht finden. L oder XL ist normalerweise die Endung. Deshalb bestelle ich fast alles online. Ich höre immer häufiger von Freunden meiner Mutter, dass auch Kinder unter Größenstress leiden können.
Du musst es erklären. Dies ist besonders für Kinder schwierig, da sich die Konfektionsgrößen nach der Körpergröße richten. Es scheint, dass alle Kinder mit einer Körpergröße von 116 Zentimetern genau die gleiche Körperform haben. Darüber hinaus gibt es Unterschiede zwischen Mädchen- und Jungenkleidung; Mädchenkleidung ist in der Regel deutlich schmaler geschnitten als Jungenkleidung. Vor der Pubertät ist der Körper praktisch derselbe. Hier erkennt man auch den Einfluss des beliebten Schlankheitsideals, das auf junge Mädchen übertragen wurde. Dadurch lernen Kinder schon früh, dass wir in einem System leben, das Körper unterschiedlich wertschätzt.
Die italienische Teenie-Marke Subdued setzt ebenfalls auf kleine Größen. Dein Größenindex endet sogar mit M. Welche Konsequenzen sehen Sie daraus? Das ist ein klares Zeichen dafür, dass Mädchen ab einer bestimmten Konfektionsgröße dort nicht willkommen sind. Jugendliche konzentrieren sich besonders auf ihre Gleichaltrigen und möchten aktuelle Mode tragen, um zur Masse zu passen. Subduted schließt bewusst junge Menschen aus, die nicht zu einer kleinen Minderheit von Größen passen. Dieses Skalensystem ist kein Zufall. Die Marke hat sich bewusst dafür entschieden, keine Kleidung für große oder fettleibige Teenager herzustellen. Das ist wirklich eine Aussage. Dies signalisiert Mädchen im Teenageralter indirekt, dass sie einen bestimmten Körpertyp haben müssen, wenn sie die Marke tragen und zu den modischen Mädchen gehören wollen.
Dieser Ansatz erinnert an den Skandal um den ehemaligen Abercrombie & Fitch-Chef Mike Jeffries, der einmal sagte: „Wir wollen unsere Sachen an gut aussehende, coole Leute verkaufen.“ Dieser Satz Die Worte spiegeln das glorreiche Image der ruinierten Marke wider ...Ja, Sie denken vielleicht, dass Sie noch nie von Abercrombie & Fitch in Subdued gehört haben. Tatsächlich ist die Verkaufsrhetorik dieselbe. Diese italienische Marke möchte einfach nur viele Leute anlocken. Menschen. Die schlanke Zielgruppe und alle anderen sind ausgeschlossen. Sie zeigte es auch auf Instagram. Hier sind Beiträge von jungen Mädchen zu sehen, die teilweise sehr freizügige Pastell-Outfits tragen. Unter dem Bild steht #subduedgirls, ein Hashtag für ein Gemeinschaftsgefühl.
Wozu wird das führen?Teenager ist ein schwieriges Alter, insbesondere wenn das Risiko einer Essstörung besteht. Vor Kurzem nahm ich an einer informativen Podiumsveranstaltung in Hamburg teil, bei der es um Perspektiven für die Versorgung betroffener Patienten ging. Eingeladen war das Zentrum für Essstörungen Hamburg Segel e.V.. 5. Vertreter der DAK stellten den Kinder- und Jugendbericht vor. Infolgedessen nahmen Essstörungen bei Mädchen im Alter von 15 bis 17 Jahren zwischen 2019 und 2021 um 54 % zu. Das ist eine überraschend hohe Zahl.Als Ursachen werden neben der Pandemie auch unrealistische Körperideale in Medien und Werbung sowie sogenannte perfekte Körper auf Social-Media-Plattformen genannt.
Welche Verantwortung trägt die Mode? Natürlich kann man nicht sagen, dass ein zu enges Kleidungsstück einen sofort magersüchtig macht. Aber die Modebranche ist Teil des Problems. Es hält an einem überholten Schönheitsideal fest und diktiert weiterhin, was wir allgemein als schön empfinden. Nur sehr wenige Frauen auf der Welt entsprechen diesem Ideal, da sie von Natur aus groß und dünn sind. Aber die Mode- und Schönheitsindustrie hat sich seit Jahrzehnten der fettfreien, idealen Frau verschrieben. Was sie uns verkauft, ist nicht nur der neueste Lippenstift, sondern auch ein Lebensgefühl. Glücklicherweise bricht dieses restriktive Körperideal zusammen, und ich hoffe, dass wir es endlich durchbrechen können. Damit sich in Zukunft mehr Frauen und Mädchen mit ihrem Körper wohlfühlen können.
Was muss sich ändern?Viele Hersteller mögen Marken wie Ganni oder Rixo folgen, die nur bis Größe 52/54 erhältlich sind, aber das ist ein guter Anfang und lässt mich auf mehr hoffen. Mode in großen Größen sollte als Chance für mehr Inklusion gesehen werden. Davon profitieren nicht nur Kunden, sondern auch Modemarken. Wer kann in Zeiten rückläufigen Konsums schon Nein zu neuen Zielgruppen sagen?
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Quelle: www.stern.de