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„Ludwig Erhard hätte gefragt: Ist die Schuldenbremse zeitgemäß?“

Interview mit Michael Husser

Michael Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW)..aussiedlerbote.de
Michael Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW)..aussiedlerbote.de

„Ludwig Erhard hätte gefragt: Ist die Schuldenbremse zeitgemäß?“

IW-Chef Michael Hüther plädiert für Reformen der Schuldenbremse zur Finanzierung des wirtschaftlichen Umbaus. „Ohne diese Investitionen werden wir die Klimaneutralität nicht rechtzeitig erreichen können“, sagte er im Interview mit ntv.de. Die Senkung der Körperschaftssteuer ist im internationalen Vergleich sehr hoch und unter der Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form nicht möglich. Husser warf den Gewerkschaften und der FDP eine Verweigerung der Gesprächsbeteiligung vor. „Ich finde es intellektuell unwürdig, die zufällige Entdeckung einer Regel als heiliges Ereignis zu bewerten.“ ntv.de: Was passiert nach der Haushaltssperre?

Michael Hüther: Haushaltspolitische Unsicherheit durch Haushaltsstopp Die Rahmenbedingungen nehmen deutlich zu, da es nicht mehr nur um Ausgaben aus dem Klima- und Transformationsfonds und dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds geht. Die Bundesregierung muss nun schnell handeln und einen verfassungsrechtlich einwandfreien Haushalt 2024 verabschieden. Für die weiterhin stagnierende deutsche Wirtschaft kann die lähmende Wirkung nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transitionsfonds hat die Diskussion um die Schuldenbremse zugenommen. Abschaffung oder Beibehaltung, was befürworten Sie?

Ich werde diese Option nicht akzeptieren. Ich will die Schuldenbremse nicht abschaffen, ich will sie reformieren. Die öffentliche Diskussion wird von dieser drängenden Frage geprägt. Auch kritische Äußerungen werden von Befürwortern der Schuldenbremse als Angriff auf Grundgedanken gewertet. Natürlich brauchen wir Haushaltsregeln. Das Grundgesetz hatte schon immer eine Bestimmung. Sowohl das Grundgesetz von 1949 als auch das Grundgesetz von 1969 enthielten Schuldenregeln, bevor die aktuelle Regelung 2009 in die Verfassung aufgenommen wurde. Man muss nur fragen, ob es seinen Zweck erfüllt und geeignet ist.

Wirklich?

Meiner Meinung nach ist die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form längst überfällig. Die Begrenzung der Neuverschuldung auf 0,35 % des BIP ist sowohl theoretisch als auch empirisch ungerechtfertigt. Darüber hinaus muss es im Einklang mit einem weiteren späteren Urteil des Verfassungsgerichtshofs – zum Klimaschutz – stehen.

Im Jahr 2021 erklärte das Bundesverfassungsgericht Teile des Klimaschutzgesetzes der großen Koalition für verfassungswidrig. Politiker haben Ziele festgelegt, aber keine Schritte unternommen, um diese zu erreichen.

Das Urteil bindet auch die Politik durch das Klimaschutzgesetz: Deutschland soll bis 2045 klimaneutral werden. Dies ist eine historische Aufgabe, die erhebliche Investitionen erfordert, auch wenn wie bei der EU das Jahr 2050 als Zieljahr festgelegt ist.

Sie schlagen eine Reform der Schuldenbremse vor, um diese Investitionen zu ermöglichen.

Investitionen in den wirtschaftlichen Wandel Deutschlands kommen vor allem künftigen Generationen zugute. Deshalb halte ich es für legitim, dass sich auch zukünftige Generationen an der Finanzierung beteiligen. Diesen Standpunkt vertrat auch der Beratende Ausschuss für Fachwissen zur ordnungsgemäßen Gestaltung von Schuldenregeln im Jahr 2007. Der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums und der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums widersprachen seinerzeit mit der Begründung, dass Volkskonsum und Volksinvestitionen nicht ohne weiteres zu trennen seien. Hier kommt die Alternative mit festem Kontingent ins Spiel. Allerdings sind die Transformationsinvestitionen, die wir tätigen, relativ klar. Meiner Meinung nach ist der Klima- und Transitionsfonds ein geeignetes Vehikel.

Warum?

Diese Investitionen sind auf eine mehrjährige Laufzeit ausgelegt und der Fonds schafft einen verlässlichen Rahmen. Das Land kann eine solche wirtschaftliche Transformation nicht in 12 Monaten vollziehen. Die einfachste Lösung wäre in diesem Fall die Aufnahme eines Klima- und Übergangsfonds in das Grundgesetz, ähnlich dem Sonderfonds der Bundeswehr. Die Schuldenbremse bleibt davon unberührt.

Aber?

Sie sollten dennoch darüber nachdenken, ob andere Haushaltsregeln möglicherweise klüger sind. In der Schweiz zum Beispiel gibt es eher Ausgabenregeln als reine Defizitregeln. Man könnte sich auch fragen, ob andere Indikatoren, wie etwa das Zins-Steuer-Verhältnis, ebenso wichtig sind. Es wäre auch sinnvoll, Investitionsbestimmungen in das Grundgesetz aufzunehmen. Sogar das Bundesfinanzministerium stellte in einem informellen Papier zur Diskussion über die EU-Fiskalregeln die Frage, ob eine Investitionsausnahme eingeführt werden könne.

Es geht Ihnen offensichtlich nicht darum, die Schuldenbremse zu lockern, etwa um größere sozialpolitische Gestaltungsspielräume zu erreichen.

Nein, um Gottes willen – das sollte natürlich auf keinen Fall passieren. Projekte, die aus dem ordentlichen Haushalt gefördert werden können, müssen aus dem ordentlichen Haushalt nebst Steuern und Abgaben finanziert werden. Dies wirkt sich sowohl auf die Sozialpolitik als auch auf andere Konsumausgaben aus. Eigentlich betrifft es auch die Verteidigungsausgaben, aber wir haben ein Problem mit der Bundeswehr, wo 16 Jahre Unterfinanzierung nicht im Steuerhaushalt korrigiert werden können.

Einige Ökonomen fordern einen Übergang durch: Erhöhung der CO2-Emissionen. Preiskontrolle.

Das setzt voraus, dass wir auf diesem Weg mit Sicherheit davon ausgehen können, bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen. Das erscheint mir aber wenig sinnvoll, denn eine bloße Erhöhung des CO2-Preises führt noch nicht zu einer Energiewende. Wir müssen jetzt in die Offshore-Wind- und Netzinfrastruktur investieren, damit die Ladeinfrastruktur nicht vom Himmel fällt. Dies sind nur einige Beispiele für Investitionen, die öffentliche Unterstützung erfordern. Manchmal reicht es nicht aus, etwas zu tun, und man muss es jetzt tun. Ohne diese Investitionen werden wir die Klimaneutralität nicht zeitnah erreichen können. Wer das nicht will, soll es sagen.

Ich füge noch ein weiteres Argument hinzu: Eine große Steuerreform kann unter der Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form nicht umgesetzt werden. Die vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl in den Jahren 1986, 1988 und 1990 in drei Phasen eingeleiteten Steuerreformen führten zu erheblichen Steuerausfällen. Nach der Logik der damaligen Schuldenregeln war dies möglich, weil man davon ausgehen konnte, dass diese Steuerreform irgendwann die gesamtwirtschaftliche Aktivität mobilisieren und damit eine Refinanzierung bewirken würde. Gleiches galt für die drei Phasen der Steuerreform unter Gerhard Schröder in den Jahren 2001, 2003 und 2005. Heute sind unsere Körperschaftssteuersätze im internationalen Vergleich sehr hoch. Unabhängig vom Transformationsauftrag besteht hier Handlungsbedarf. Allerdings glaube ich nicht, dass die Unternehmenssteuersätze mit der Schuldenbremse wesentlich gesenkt werden können.

Ein Argument dafür, die Schuldenbremse nicht anzutasten, sind die möglichen Auswirkungen auf andere Aspekte der EU. Gehen wir nicht mit gutem Beispiel voran?

Ich glaube nicht, dass das ein überzeugendes Argument ist, denn Deutschland hat noch einen weiteren Einfluss auf die EU: Normalerweise ist unsere Wirtschaft stark genug, dass die EU-Dynamik das zulässt. Derzeit machen wir das nicht. Wir befinden uns im Stillstand, der Sachverständigenrat prognostiziert ein Wachstum von knapp einem halben Prozentpunkt bis zum Ende des Jahrzehnts. Darüber wird Europa nicht erfreut sein. Es wäre im Interesse aller, wenn wir dies durch intelligente Investitionen und eine Transformationspolitik ändern könnten.

Allein für Zinsen hat Deutschland in diesem Jahr knapp 30 Milliarden Euro ausgegeben. Wird das nicht zu teuer?

Die Frage ist nicht, wie hoch die Schulden sind, sondern wie tragfähig sie sind. Eine Schuldenquote hat einen Zähler und einen Nenner: Der Zähler ist die Verschuldung und der Nenner das BIP. Die Schuldenquote lag im vergangenen Jahr bei 66,3 %, wir stehen also relativ gut da. Kein Unternehmen wird seine Investition allein aus dem Cashflow bezahlen können. Wenn wir Investitionen nur aus Jahresbudgets finanzieren, bedeutet das, dass diese Generation keinen Grund hat, etwas zu tun, weil sie selbst nicht davon profitiert. Für mich sind beispielsweise keine organisatorischen Änderungen erforderlich. Ich bin 61 und der Klimawandel spielt einfach keine Rolle. Aber dieses Thema liegt meinen Kindern und Enkeln am Herzen. Es wäre zu kurzsichtig, Generationengerechtigkeit ausschließlich unter fiskalischen Gesichtspunkten zu verstehen.

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts betonten sowohl Bund als auch FDP, wie wirksam die Schuldenbremse mittlerweile sei. gestärkt. Ist diese Diskussion politisch zum Scheitern verurteilt?

Vielleicht schon, aber dafür gebe ich auch beiden Seiten die Schuld. Ich finde es intellektuell unwürdig, zufällige Regeln als heilige Ereignisse zu bewerten. Die Parteien, auf die Sie sich beziehen, beziehen sich gerne auf Regulierungsökonomen wie Ludwig Erhard oder Walter Eucken. Aber keiner von ihnen wäre so schlecht im Streiten. Sie würden immer fragen: Ist diese Regel zeitgemäß? Ich denke, wir müssen diese Diskussion führen. Ohne sie zu führen, sind wir dort angekommen, wo wir jetzt sind. Das Urteil ist nicht nur für die Regierung eine Katastrophe, sondern auch für die klagenden Oppositionsparteien, die keine Antworten darauf haben, wie Investitionen in die Transformation finanziert werden sollen. Eine ernsthafte, erwachsene Debatte muss uns dazu bringen, über eine Regel nachzudenken, die damals völlig vernünftig war. Dieses Tabu rund um die Schuldenbremse stört mich wirklich. Wenn Politik so passiert, ist es vorbei.

Hubertus Volmer im Gespräch mit Michael Hüther

Quelle: www.ntv.de

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