Kann die EU-Asylreform endlich verhandelt werden, nachdem Deutschland einem umstrittenen Krisenmechanismus zugestimmt hat? Die Ereignisse der vergangenen Tage haben in Brüssel und Berlin viele Fragen aufgeworfen. Wie es weitergeht, wird jedoch nicht nur von diesen beiden Städten bestimmt. Überblick.
Wie ist der Stand der EU-Asylreform, nachdem Deutschland als Reaktion auf die große Zahl ankommender Migranten sogenannten Krisenregelungen zugestimmt hat?
Die Bundesregierung hatte damit den Weg für wichtige Gespräche mit dem Europaparlament und Zugeständnisse im krisengeschüttelten Regulierungsstreit geebnet. Allerdings ist diese Hoffnung spätestens ab diesem Freitag eindeutig verfrüht. Diplomaten zufolge reichen die Zugeständnisse Deutschlands für Italien nicht aus. Auch die deutsche Finanzierung ziviler Seenotrettungsprojekte bereitet Rom Sorgen.
Grundsätzlich sieht der EU-Asylreformplan eine Reihe ergänzender und verschärfender Maßnahmen zur Begrenzung unnötiger Einwanderung vor. Insbesondere ist ein härteres Vorgehen gegen Personen aus Ländern geplant, die als relativ sicher gelten. Von nun an werden sie nach ihrer Ausreise in gefängnisähnliche Aufnahmezentren gebracht. In der Regel wird dort innerhalb von zwölf Wochen geprüft, ob eine Chance auf Asyl besteht. Wenn nicht, sollten sie sofort abgeschoben werden.
Außerdem soll künftig dafür gesorgt werden, dass ein Teil der Asylbewerber aus Ländern mit höheren Belastungen wie Italien und Griechenland abgeschoben wird. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, werden zur Zahlung einer Entschädigung gezwungen.
Wenn Italien nicht zustimmt – warum verkündete Bundesinnenministerin Nancy Feser (SPD) am Donnerstag nach dem EU-Treffen eine „politische Einigung“?
Feser ist derzeit nicht nur Innenminister, sondern auch Spitzenkandidat der Hessischen Sozialdemokratischen Partei bei der Landtagswahl am 8. Oktober. Vielleicht möchte sie nur wenige Tage vor der Wahl politischen Erfolg demonstrieren. Wie vorherzusehen war, versäumte sie es jedoch, die Situation und die Bedenken Italiens richtig einzuschätzen. Feather muss nun hoffen, dass in den kommenden Tagen eine Einigung erzielt werden kann.
Die Entwicklungen an den EU-Außengrenzen haben die Angelegenheit ebenfalls unter Druck gesetzt. Die Zahl der in der EU erfassten Asylanträge ist zuletzt auf den höchsten Stand seit sechs Monaten seit der Flüchtlingskrise 2015/2016 gestiegen. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR haben bis zum 24. September dieses Jahres 186.000 Menschen das Mittelmeer nach Europa überquert. Nach Angaben des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen waren dort im vergangenen Jahr etwa 150.000 Menschen.
Hat die Bundesregierung tatsächlich weitreichende Änderungen am Krisenordnungsplan ausgehandelt?
Auf diese Frage antworten EU-Beamte, die sich der Sachlage im Allgemeinen sehr bewusst sind, eindeutig mit „Nein“. Wer den neuen Text gelesen hat, wird beispielsweise feststellen, dass eine Regelung gestrichen wurde, die es EU-Ländern erlaubt, im Falle eines großen Zustroms von Menschen vorübergehend von den EU-Standards für materielle Unterstützungsleistungen und Gesundheitsversorgung abzuweichen. Darüber hinaus sollten Anträge auf Schutz von Minderjährigen und ihren Familienangehörigen auch in Krisensituationen Vorrang haben. Für Länder, die die Regelung in Anspruch nehmen wollen, sind zudem strengere Informations- und Begründungspflichten vorgesehen.
Unter dem Strich sind diese Änderungen jedoch nicht signifikant. Der ursprüngliche Text sieht vor, dass die Mitgliedstaaten auch in Krisensituationen die Grundbedürfnisse der Antragsteller in Bezug auf Nahrung, Kleidung, angemessene medizinische Versorgung und Unterkunft gewährleisten müssen.
Die Grünen wollen, dass die Regierung Bedenken zustimmt, dass Forderungen nach einer inakzeptablen Absenkung der Schutzstandards seit Wochen blockiert werden. Warum sind sie immer noch einer Meinung?
Hauptpolitiker der Grünen wie Außenministerin Annalena Baerbock begründeten die Verschiebung am Donnerstag mit noch nicht erfolgten Änderungen. Allerdings glaubten auch die Grünen-Bundestagsabgeordneten, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch informell von seinen Weisungsbefugnissen Gebrauch gemacht und ein Ende des Widerstands gegen die Krisenregulierung angeordnet habe. Julian Pahlke kritisierte, dass die „Entscheidung der Kanzlerin, der Regelung um jeden Preis zuzustimmen“, Verbesserungen nur erschwere.
Was bedeutet das für die Grünen?
Sie stecken fest und bringen das Thema in ein Dilemma. Von Anfang an gab es grundsätzlichen Widerstand an der Basis gegen das von der EU ausgehandelte härtere Asylpaket. „Ampeln spielen bei dieser Rassentrennungspolitik keine Rolle“, schrieb kürzlich ein Bundessprecher. Der Grünen-Jugendliche Timon Dzienus auf X (ehemals Twitter) wird mit den Brüsseler Verhandlungen in Verbindung gebracht. Er warnte vor „mehr Chaos, Elend und Leid an den Außengrenzen, weil die Menschen entrechtet werden.“ Im Rahmen der Regierung seien hochrangige Grünen-Politiker zu Zugeständnissen gezwungen – ein Stresstest für die Partei.
Gilt das auch für die gesamte Ampel-Allianz?
Gib sie auch. Wie bei anderen Themen – siehe grundlegende Kindersicherheit oder Heizungsgesetze – verläuft die Trennlinie hauptsächlich zwischen den Grünen und den Liberaldemokraten. Beim Thema Einwanderung warf FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai den Grünen kürzlich sogar vor, sie seien ein „Sicherheitsrisiko für das Land“ und erschwerten durch „unrealistische Positionen“ ein konzertiertes Vorgehen der Regierung. Dem Spiegel sagt er nun: „Der Ministerpräsident hat den grünen Bündnispartnern jetzt deutlich gemacht, dass die Asylwende kommen muss, und das begrüße ich.“
Wie ist die öffentliche Stimmung zu dem Thema? Thema? ?
Entsprechend dem aktuellen ARD-„Trend in Deutschland“ hat die Befürwortung einer Begrenzung der Flüchtlingszahlen ebenso zugenommen wie der Generalverdacht gegenüber Einwanderung. 64 Prozent der Befragten befürworten, dass Deutschland weniger Flüchtlinge aufnimmt, ein Anstieg von 12 Prozentpunkten gegenüber Mai. Auf die Frage, ob Deutschland durch die Zuwanderung Vor- oder Nachteile habe, antworteten laut der infratest dimap-Umfrage 64 Prozent mit „mehr Nachteilen“, verglichen mit 54 Prozent im Mai.