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Gaza-Krieg: Was bedeuten Kampfpause und Geiselfreilassung?

Zum ersten Mal seit sieben Wochen verstummten die Schüsse. Geiseln und palästinensische Gefangene wurden freigelassen. Auch den Menschen in Gaza sollte mehr Hilfe geleistet werden.

Eine Frau geht in Jerusalem an einem Plakat vorbei, auf dem die Rückkehr von rund 240 Geiseln....aussiedlerbote.de
Eine Frau geht in Jerusalem an einem Plakat vorbei, auf dem die Rückkehr von rund 240 Geiseln gefordert wird..aussiedlerbote.de

Gaza-Krieg: Was bedeuten Kampfpause und Geiselfreilassung?

Der Krieg in Gaza ist am Freitag mit einem von Katar vermittelten Waffenstillstand zwischen Israel und der islamistischen Hamas in eine neue Phase eingetreten. Zum ersten Mal seit sieben Wochen verstummten die Schüsse wieder.

Der Waffenstillstand soll den Weg für die schrittweise Freilassung der von Hamas und palästinensischen Gefangenen in Israel festgehaltenen Geiseln sowie für mehr humanitäre Hilfe in den Gazastreifen ebnen. Wichtige Fragen und Antworten:

Wer sind die Geiseln, die freigelassen werden sollen?

Die islamistische Hamas sollte im Rahmen einer zunächst vereinbarten viertägigen Waffenruhe 50 Geiseln freilassen. Zunächst sollten Mütter, Kinder, Jugendliche und ältere Frauen freigelassen werden, hieß es. Bei einer Verlängerung des Waffenstillstands (bis zu zehn Tage) muss die Hamas täglich weitere zehn Geiseln freilassen. Bei den Geiseln handelt es sich entweder um Israelis oder Einwohner Israels, es wurde jedoch berichtet, dass es sich bei ihnen möglicherweise auch um Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit handelt. Die ersten 13 Frauen und Kinder werden am Freitag freigelassen.

Nach ihrer Freilassung ist möglicherweise wenig über die Geiseln und ihr Schicksal bekannt. Das Militär appellierte an die Öffentlichkeit und die Medien, geduldig und sensibel zu bleiben. Psychologen gehen davon aus, dass die Kinder nach siebenwöchiger Geiselhaft möglicherweise schwer traumatisiert waren. Sie wurden auch Zeuge der schlimmsten Gewalt am 7. Oktober, als Terroristen der Hamas und anderer Gruppen im israelischen Grenzgebiet rund 1.200 Menschen töteten. Es war unklar, wie viele der damals 240 entführten Menschen noch am Leben waren und wo genau sie im Gazastreifen festgehalten wurden.

Welche palästinensischen Gefangenen wird Israel freilassen?

Für jede freigelassene Geisel werden voraussichtlich etwa drei Gefangene freigelassen. Israel hat eine Liste mit bis zu 300 freizulassenden Personen veröffentlicht. 123 der 300 Palästinenser auf der Liste sind junge Menschen unter 18 Jahren. Daher beträgt das Mindestalter 14 Jahre. Der Liste zufolge handelt es sich bei 33 Gefangenen um Mädchen und Frauen. Den Gefangenen werden Brandbombenwürfe, Brandstiftung und Messerangriffe vorgeworfen. Medienberichten zufolge reisten 39 palästinensische weibliche Gefangene, Minderjährige und Jugendliche am Freitag vor ihrer geplanten Freilassung in das israelische Zentralgefängnis. Unter ihnen seien 24 weibliche Gefangene, berichtete die Nachrichtenseite Ynet.

Gab es in der Vergangenheit Angebote zur Freilassung von Geiseln?

Ja. Der Gefangenenaustausch mit dem 2006 entführten und mehrere Jahre von der Hamas festgehaltenen israelischen Soldaten Gilad Schalit gilt weiterhin als umstritten. Im Jahr 2011 wurde er im Austausch für mehr als 1.000 palästinensische Gefangene freigelassen. Jishia Sinwar, der derzeitige Führer der Hamas im Gazastreifen, wurde ebenfalls freigelassen.

Hat Hamas vom Waffenstillstand profitiert?

Dies gilt als sicher. Allerdings ist unklar, welchen Nutzen es daraus ziehen kann, zumal das israelische Militär den Norden bereits kontrolliert. Unabhängig davon befürchtet Israel, dass die Hamas diese Zeit nutzen könnte, um sich nach dem Waffenstillstand neu zu positionieren und stärker zu werden. Auch nach dem Ende der Kämpfe wird die Terrorgruppe weiterhin viele der Geiseln kontrollieren und sie möglicherweise weiterhin als Verhandlungsmasse einsetzen.

Sind israelische Soldaten noch im Gazastreifen?

Ja. Kurz vor Inkrafttreten des Waffenstillstands verstärkte die israelische Armee ihre Angriffe auf den Gazastreifen erneut und zog ihre Truppen nicht ab. Tausende israelische Truppen sind im nördlichen Teil des blockierten Küstengebiets stationiert.

Können sich Palästinenser jetzt im Gazastreifen frei bewegen?

NEIN. Israels Bodenoffensive im Norden spaltete den Gazastreifen effektiv in zwei Teile. Nach Beginn des Waffenstillstands am Freitag wurden Soldaten eingesetzt, um vertriebene Palästinenser aus dem südlichen Gazastreifen daran zu hindern, in ihre ehemaligen Häuser im Norden zurückzukehren, um nach ihnen zu sehen oder Verwandte zu besuchen. Hamas-Quellen zufolge wurden im zentralen Gazastreifen zwei Menschen erschossen und weitere verletzt, als sie versuchten, in die nördliche Region zu gelangen. Zeugen berichteten zudem, dass das Militär Tränengas eingesetzt habe. Ein israelischer Militärsprecher sagte, man untersuche die Berichte. In der südlichen Region herrscht weitgehende Bewegungsfreiheit.

Was bedeutet der Waffenstillstand für die Zivilbevölkerung in Gaza?

Nach etwa siebenwöchigen Kämpfen sind die notleidenden Menschen im Gazastreifen völlig erschöpft und Helfer sprechen von einer schweren humanitären Krise. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind derzeit mehr als 1,7 Millionen Menschen oder etwa drei Viertel der Bevölkerung Binnenvertriebene. Es mangelt an fast allem: Nahrung, Wasser und Medikamente sind knapp, ebenso der Zugang zu medizinischer Versorgung. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben inzwischen 22 der 36 Krankenhäuser im Gazastreifen ihren Betrieb eingestellt. Trotz der wachsenden Zahl von Verletzungen ist die Zahl der Krankenhausbetten nach Angaben der Vereinten Nationen von 3.500 auf etwa 1.400 gestiegen.

Nach Angaben der Hamas-Behörden wurden bei groß angelegten israelischen Luftangriffen und Bodenoffensiven im Norden fast 15.000 Menschen getötet und mehr als 36.000 verletzt. Die Zahlen konnten zunächst nicht unabhängig überprüft werden, wurden aber von den Vereinten Nationen und Diplomaten allgemein als glaubwürdig angesehen.

Wie viel zusätzliche Hilfe können die Menschen jetzt bekommen?

Im Rahmen der Waffenruhe wurde auch vereinbart, die humanitäre Hilfe deutlich auszuweiten. Etwa 200 Lastwagen mit Hilfsgütern, darunter Tanker mit Treibstoff und Erdgas, sollten am Freitag im Gazastreifen eintreffen. Kraftstoffe sind besonders wichtig, etwa um Generatoren für Krankenhäuser und die Trinkwasserversorgung zu betreiben. Nach Angaben der Vereinten Nationen lieferten vor dem Krieg täglich durchschnittlich etwa 500 Lastwagen Waren in den Gazastreifen. Täglich werden etwa 100 LKW-Ladungen mit Gütern benötigt, um die lebenswichtige humanitäre Versorgung sicherzustellen. UNRWA, das palästinensische Hilfswerk der Vereinten Nationen, hofft, die Kampfpause nutzen zu können, um dringend benötigte Hilfe zu verteilen. Israel überwacht die Hilfslieferungen sehr genau, aus Sorge, dass sie auch der islamistischen Hamas zugute kommen könnten.

Wie groß ist die Zerstörung im Gazastreifen?

Riesig, das ist sicher, wie unzählige Fotos aus Kriegsgebieten zeigen. Gleichzeitig gibt es kaum verlässliche Daten über das genaue Ausmaß des Schadens. Laut US-Forschern wurden seit Kriegsbeginn zwischen 56.000 und 74.000 Gebäude beschädigt.Dies ist eine Analyse der Dispersed Damage Mapping Group (DDMG), einer Gruppe US-Wissenschaftler, die Satellitendaten nutzten, um Angriffe entlang der Küste zu untersuchen. Im nördlichen Gazastreifen wurden 40 bis 50 Prozent der Gebäude beschädigt.

Kann ein Waffenstillstand den Krieg beenden?

Dies scheint derzeit nicht der Fall zu sein. Israel hat sehr deutlich gemacht, dass es den Waffenstillstand nur als eine Pause betrachtet. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu betonte, der Krieg werde weitergehen, „bis wir alle unsere Ziele erreicht haben“. Dazu gehören die Eliminierung der Hamas und die Rückgabe aller Geiseln. Darüber hinaus sollte der Gazastreifen keine Bedrohung mehr für Israel darstellen. Das ultimative Ziel der Hamas wiederum ist die Errichtung eines islamischen Staates im historischen Palästina. Hamas will den Staat Israel zerstören. Ein Hamas-Sprecher drohte zudem mit einer Wiederholung des Massakers vom 7. Oktober. Die USA und Deutschland haben bislang die Ablehnung eines langfristigen Waffenstillstands durch Israel unterstützt.

Was ist Israels langfristiger Plan für Gaza?

Es ist noch nicht klar. Premierminister Netanyahu sagte, dass Israel auch nach dem Sieg über die Hamas weiterhin eine Rolle bei der Gewährleistung der Sicherheit in der Region spielen müsse. Unterdessen haben die USA, vielleicht Israels wichtigster Verbündeter, ausdrücklich vor einer erneuten Besetzung des Gazastreifens gewarnt. Die US-Regierung möchte, dass die Palästinensische Autonomiebehörde neben dem Westjordanland wieder auch für den Gazastreifen zuständig ist. Die langfristige Hoffnung ist eine Zwei-Staaten-Lösung, eine friedliche Koexistenz zwischen einem israelischen und einem palästinensischen Staat – was derzeit unrealistisch erscheint.

Quelle: www.dpa.com

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