Diese Party wird die Ampeln nicht in die Luft jagen
Wie ist das Verhältnis zwischen den Grünen und ihrer Führung? In einer schweren Regierungskrise muss die Partei diese Frage klären. Die Parteiversammlung wurde zu einem Kraftakt mit ungeahntem Eskalationspotenzial. Letztlich ist die Zuversicht groß – und es ist der einzige Bündnispartner, dessen Loyalität gegenüber der Ampel nicht nachgelassen hat.
Eine tannengrüne Bühne erstreckt sich über die Halle des Fußballstadions der Karlsruher Messe. Die dunklere Farbe im grünen Logo ist kein Zugeständnis an das bevorstehende Weihnachtsfest, sondern soll ein neues Selbstverständnis einer verantwortungsbewussten Partei nach außen vermitteln. Die Parteiführung hat sich von der auffälligen grünen Farbe der Vergangenheit verabschiedet und versucht, die Position der Grünen in der politischen Mitte sowohl programmatisch als auch im Auftreten weiter zu festigen. Nicht alle Delegierten des viertägigen Parteitags waren mit dem Kern des Verrats der Grünen einverstanden.
Doch als Robert Harbeck die Teilnahme der Grünen an einer Abstimmung über eine weitere Verschärfung der Asylgesetze am Samstagabend als Vertrauenssache für den Verbleib in der Ampel-Koalition hochjubelte und davon ausging, dass die Grüne Jugend ein „Misstrauensvotum“ erhalten würde, waren die Grenzen gezogen an allen Fronten Schnell wurde klar: Die große Mehrheit der Delegierten unterstützte auch dieses Thema, das die Basis, ihre Regierungsvertreter und den Bundesvorstand spaltete. Die Grünen wollen auf jeden Fall an der Macht bleiben.
Stabilität der Grünen
Für alle Parteien im Bund ist das Signal nicht ohne Bedeutung: Der Ampel stehen aufgrund einer Haushaltskrise schwierige Wochen bevor. Sie sucht nach einer Möglichkeit, die 60 Milliarden Euro zu kompensieren, die das Bundesverfassungsgericht für Klima- und Investitionsprojekte einnimmt. Die FDP, die Angst vor einer Rückkehr in den Bundestag hat, muss möglicherweise ihre eigenen Mitglieder fragen, ob sie in der Regierung bleiben wollen. Aktuellen Meinungsumfragen zufolge droht der SPD ein Drittel ihrer Macht zu verlieren, weshalb ein möglicher Übergang zu einer großen Koalition die Überlegungen anheizt. Die Nichtbeziehung zwischen Olaf Scholz und Friedrich Merz und seinen Forderungen nach einer Abschaffung des Sozialstaates verhinderte zumindest bisher, dass solche Überlegungen zu ernsthaften Spekulationen eskalierten.
Doch die Grünen wollen, wie auf der Föderalistenkonferenz deutlich wurde, an der Ampel festhalten: Ihre Mitglieder und „Wähler wollen bleiben“, und auch die Unterstützung der Partei liegt in der Meinung stabil bei 13 bis 15 Prozent Umfragen %, das gleiche wie die Ergebnisse der Bundestagswahl. Das ist zwar weit entfernt von den Ambitionen der Kanzlerin, aber anders als die derzeitige Unterstützung von SPD und FDP wird es kein Sturz in den Abgrund sein. Infolgedessen wagte außer dem neu gewählten Sprecher der Grünen Jugend keine nennenswerte Stimme innerhalb der Partei den Aufstand.
Nur wenige Beamte und Vertreter wandten sich an die Koalitionspartner. Stattdessen versuchten überraschend viele Redner, von Habeck – der Friedrich Merz „vorgestern den Parteichef“ nannte – bis hin zu Basisvertretern, die CDU-Spitze für sich zu gewinnen.
Überraschenderweise nicht wählerisch
Habeck und andere Bundesminister führen knallharte Haushaltsverhandlungen mit maximalem Spielraum. Diese Unterstützung eröffnet Raum für Kompromisse. Olaf Schulz und Christian Lindner hätten dies sorgfältig zur Kenntnis genommen. Das Ausmaß des grünen Pragmatismus ist weit entfernt von den Lagerkämpfen und hitzigen Debatten, die ihm vorangingen, und Kritiker innerhalb und außerhalb der Partei könnten ihn als Resignation oder sogar Machthunger interpretieren. Die Grünen nennen es Gestaltungswillen und Realismus.
Tatsächlich ist das Fehlen von Kritik manchmal überraschend: Die Partei erlitt bei Landtagswahlen herbe Niederlagen und sieht sich stärkerem Widerstand seitens der öffentlichen Meinung ausgesetzt als je zuvor. Der Stützpunkt ist offensichtlich besorgt über die Kampagne, die wiederholt Feindseligkeiten und physischen Angriffen ausgesetzt war, insbesondere, aber nicht ausschließlich, im Osten. Die Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour sowie die Bundesgeschäftsführerin Emily Büning hatten kaum Antworten auf diese prekäre Situation. . „Ich hoffe, wir sehen uns nächstes Jahr auf der Straße“, rief Lang furchtlos den Versammelten in Erwartung der Europa-, Landes- und Kommunalwahlen zu. Bunin kündigt Coaching-Seminar gegen Anfeindungen an. Lang Lang, Nouripour und Bunin, ein Duo, das oft in guter Stimmung zu sein scheint, wurden alle mit rund 80 % für die Wiederwahl bestätigt.
Stärkeanzeige des Parteitags
Unter dem Druck von außen haben die Grünen den Rückstand wieder aufgeholt. Die Parteispitze interpretierte diese Angriffe, auch von Koalitionspartnern auf Bundes- und Landesebene, als Beweis für das eigene Erfolgspotenzial. „Wir stören die Mitte, weil wir in der Mitte sind und weil wir sie verändert haben“, sagte Robert Habeck in einer vielbeachteten Rede am Freitagabend. Was hilft: Angriffe von Frontgruppen in den Bereichen Umwelt, Klima und Menschenrechte, die die Partei im Rahmen von Lützerath unterstützt, bleiben offenkundig beunruhigende Argumente, die immer seltener werden. Trotz ihrer tiefen Enttäuschung haben Verbände und Aktivisten keine andere politische Macht, die ihnen das Schicksal von Bündnis 90/Die Grünen gleichgültig machen könnte.
Allerdings haben auch in Karlsruhe Teile des linken Flügels der Partei – insbesondere Mitglieder der Grünen Jugend – Magenschmerzen wegen ihrer Parteilinie. Im Bereich der Einwanderung können sie viele der gewünschten Änderungen im europäischen Wahlprogramm aushandeln.
Die Partei hat ihre anarchischen Momente anderswo bewahrt: Die Zusammenstellung der Europawahlliste wurde von anderen Parteien von oben nach unten, manchmal hektisch, orchestriert. Bis spät in die Nacht war die Basis aktiv an der Formulierung des Europawahlprogramms beteiligt. Der Vorschlag des Bundesvorstands enthält keine Formulierung, die zu detailliert ist, um einer Debatte gerecht zu werden. Vierstellige Änderungsanträge haben auf die eine oder andere Weise Eingang in den Originaltext gefunden. Der viertägige große Parteitag war ein Kraftakt, bei dem selbst Geschäftsführer Bunin zeitweise das Vertrauen in die Erledigung aller Tagesordnungspunkte verlor. Am Samstag kam es zu einem unerwarteten Konflikt um das geplante Handelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten: 53 Prozent der Abgeordneten stimmten für eine von den Bundestagsabgeordneten Catherine Henneberg und Karl Barr befürwortete Änderung, wonach die Partei eine solche ablehnen würde fast vollständig ausgehandelter Deal. Damit scheiterten Habeck, seine Staatssekretärin Franziska Brandtner und Fraktionschefin Katharina Droge, die sich mit großem Aufwand dafür eingesetzt hatten, mehr Umwelt- und Sozialstandards im Vertrag festzuschreiben.
Daher kann der Deal nicht an den Stimmen der Grünen-Basis scheitern. Wer unzufrieden und skeptisch war, erzielte dennoch respektable Erfolge. Ihr Aufstand gegen die Ampel-Gönnerschaftspolitik scheiterte jedoch an Drohungen der Parteispitze. Die Tatsache, dass die Grünen-Spitze alles daran setzt, den Zusammenbruch der Koalition im größtmöglichen Ausmaß zu drohen, zeigt, dass sie unsicher ist, inwieweit die Wähler ihnen folgen werden. Diese Frage beantwortete der Karlsruher Parteitag. Ob die Zuversicht des Tannengrüns auch die schwankenden Ampeln stärkt, wird in Berlin geklärt.
Quelle: www.ntv.de