Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Schande von Karlsruhe
Die Umverteilung von COVID-19-Mitteln in den Klima-Transitionsfonds der Bundesregierung ist verfassungswidrig. Dies ist nicht nur eine Blamage für die Bundesregierung, die Ampel-Allianz verliert jetzt auch erhebliche Mittel für ihr Programm. ntv.de beantwortet die wichtigsten Fragen zum Karlsruher Urteil.
Welche Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht getroffen? Nach Ansicht des Richters kann die Schuldenbremse nicht einfach umgangen werden. Genau das hat die Ampel-Allianz getan, so der Oberste Gerichtshof. Die alte Bundesregierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel hat während der Pandemie die Schuldenbremse ausgesetzt und vom Bundestag die Zustimmung erhalten, zusätzlich zu den bisherigen Corona-Krediten weitere 60 Milliarden Euro aufzunehmen. Schulden. Doch dann endete die Epidemie schneller als erwartet. Nach ursprünglichen Berechnungen wird das geliehene Geld also nicht mehr für die weitere COVID-19-Hilfe benötigt. So weit, so gut und legal.
Dennoch steht Geld oder genauer gesagt eine Kreditgenehmigung auf dem Tisch. Die Frage ist also: Was machen wir jetzt damit? Die Ampel-Antwort: Wir werden das Geld einfach für den Klimaschutz verwenden, mit dem Hinweis, dass es eine durch die Pandemie geschädigte Wirtschaft ankurbelt. Die neue Regierung übertrug Kreditbefugnisse in Höhe von 60 Milliarden US-Dollar an den Climate and Transformation Fund (KTF). Dabei handelt es sich um einen Sonderfonds, der neben dem eigentlichen Bundeshaushalt liegt. Ein Gericht in Karlsruhe hat nun entschieden, dass dies unangemessen sei, da Mittel aus dem Jahr 2021 auf das Jahr 2022 übertragen wurden. Auch dies stieß auf Widerstand.
Weil es bedeutet, dass die Ampel die Schuldenbremse umgangen hat. Diese Maßnahmen können nur ausgesetzt werden, wenn das Land plötzlich in eine unerwartete schwere Krise und Notlage gerät. Beispielsweise würde im Falle einer Pandemie oder eines Krieges wie in der Ukraine auch die Schuldenbremse außer Kraft gesetzt und Sondervermögen für die Bundeswehr geschaffen. Was Sie jedoch nicht tun sollten, ist, das Geld im Nachhinein für andere Dinge auszugeben. Pikant: Der Klimawandel gilt nicht als ernste Krise. Dies ist eine einmalige Mission im Jahrhundert, aber es handelt sich nicht um einen unvorhergesehenen Notfall oder ein plötzliches Ereignis. Die Botschaft des Gerichts: Der Kampf gegen den Klimawandel muss anders finanziert werden. Wie? Jetzt müssen sich die Ampeln darum kümmern. Einfach wird es nicht – denn das Gericht stellte auch klar, dass die Schuldenbremse auch für Spezialfonds wie KTF gilt. Das bedeutet: Unterm Strich muss die Schuldenbremse eingehalten werden, egal aus welchem Topf die Ausgaben kommen.
Warum ist das wichtig? Einerseits stellte das Gericht klar, dass die Schuldenbremse gilt. Deshalb kann jeder, der es für wichtig hält, dass Deutschland nicht immer weiter verschuldet wird, dem Verfassungsgericht Beifall zollen. Doch darüber hinaus löste das Urteil politisches Zittern in Berlin aus. 60 Milliarden Euro, von denen ein großer Teil geplant war, sind nun nirgendwo zu sehen. Das ist eine riesige Menge Geld. Zum Vergleich: Der diesjährige Verteidigungshaushalt – ohne Sondermittel – beläuft sich auf 50 Milliarden Euro.
Der Bund hat nun zwei Möglichkeiten: Entweder die Finanzierung anderswo beziehen oder die Programme kürzen. Beides ist politisch brisant. Der tatsächliche Bundeshaushalt lässt dafür wenig Spielraum. Vielleicht kann hier und da eine Milliarde irgendwie herausgequetscht werden. Aber 60 Milliarden? kommt nicht in Frage.
Für wen ist dieses Urteil ein Sieg? Zuerst für die Koalitionsparteien CDU und CSU, als sie in Karlsruhe auf Umverteilung der Corona-Hilfen klagten. Sie entlarven Ampeln und können davon profitieren und Wähler für sich gewinnen. Doch abgesehen von den Siegesschreien der Opposition war das Urteil ein Erfolg für die Verfassung. Die Schuldenbremse ist Teil davon und wird derzeit gestärkt. Der Verfassungsgerichtshof hat die Regeln für die Anwendung des Grundgesetzes klar festgelegt. Kein Wenn und Aber. Keine Buchungstipps. Es ist auch ein starkes Signal an künftige Regierungen.
Wer ist der Verlierer dieses Urteils? Der Verlierer ist eindeutig die Bundesregierung. Am Ende stimmten die Ampelfraktionen gemeinsam einem vom Bundeskabinett ausgearbeiteten Plan zu und verteilten anschließend nicht ausgegebene Covid-Hilfen in den Klimatransitionsfonds um. Doch der erste Verlierer war Bundesfinanzminister Christian Lindner. Letztlich sind er und sein Ressort für die Verfassungsmäßigkeit des Haushalts verantwortlich. Nach dem Votum der Karlsruher Richter ist dies nicht der Fall. Im Jahr 2022 gibt es genug Zweifel an diesem Ansatz. Doch Lindner ignorierte die Warnungen und richtete als letztlich Verantwortlicher einen weiteren, diesmal gewaltigen Reputationsschaden der Bundesregierung an. Vorteil Lindner: Die Idee der Umverteilung geht auf seinen Vorgänger, den ehemaligen Bundesfinanzminister Olaf Scholz, zurück.
Noch schlimmer ist, dass das Urteil Auswirkungen auf den Umfang künftiger Ampeloperationen hat. Viele Kernprojekte stehen in Frage, vom Wandel der Wirtschaft hin zu erneuerbaren Energien, dem Ausbau von Elektroautos und der Förderung im Zusammenhang mit dem Heizgesetz bis hin zu Investitionen in die Deutsche Bahn und der Finanzierung neuer Chipfabriken. Auch nach einem gemeinsamen Auftritt von Bundeskanzler Olaf Scholz, den Wirtschaftsministern Habeck und Lindner sowie der Bundestagsfrage von Scholz bleibt der Plan B der Ampelregierung unklar.
Werden jetzt die Steuern erhöht? Dies ist nahezu undenkbar, da die Liberaldemokraten dies ausdrücklich ablehnen. Angesichts der schwierigen Wirtschaftslage glaubt Lindner nun, dass Steuererhöhungen noch kontraproduktiver wären. Andererseits haben seine Koalitionspartner einige Vorschläge, um die Einnahmen zu steigern: eine höhere Vermögensteuer, eine Sondersteuer für Superreiche oder eine Reduzierung von Steuersubventionen wie Dienstwagenprivilegien. Aus Sicht von Sozialdemokraten und Grünen ist dies eine gangbare Option, auch wenn Lindner die Haushaltspolitik der sozialdemokratischen Kanzlerin weitgehend zu unterstützen scheint. Andererseits würde eine Erhöhung der Erbschaftssteuer der Bundesregierung nicht helfen. Die Einnahmen fließen an die Staaten. Es ist auch fraglich, ob die Steuererhöhung im nächsten Jahr innerhalb weniger Wochen umgesetzt wird.
Sind die aktuellen Sondervermögen grundsätzlich verfassungswidrig? Nein, insgesamt 29 Sonderfonds des Bundes zu haben, ist nicht verfassungswidrig. Das Gericht stellte jedoch klar, dass die Ausnahme von der Schuldenbremse auch für Sondervermögen gilt. Darüber hinaus dürfen geltende Haushaltsgrundsätze nicht durch die Verwendung zweckgebundener Mittel umgangen werden. Das bedeutet beispielsweise, dass Finanzmittel in Sondervermögen nur in dem Geschäftsjahr verwendet werden können, in dem sie zur Verfügung stehen. „Eine nahezu unbeschränkte Fortführung der Notkreditvollmacht in den Folgejahren ohne Anrechnung auf die ‚Schuldenbremse‘ bei gleichzeitiger Anrechnung auf die ‚Schulden‘ für das Geschäftsjahr 2021 ist daher nicht hinnehmbar.“
Das Urteil hat keine Auswirkungen auf das Sondervermögen der Bundeswehr, das auf dem Grundgesetz basiert und daher nicht der Schuldenbremse unterliegt.
Was bedeutet das für die Schuldenbremse? Die Schuldenbremse ist verfassungsrechtlich bestätigt und wird unmittelbare Auswirkungen auf die Behandlung von Sondervermögen haben (siehe oben). Damit ist die Diskussion über Sinn und Bedeutung verfassungsrechtlicher Regelungen wieder in vollem Gange. Vor allem, weil nicht nur Grüne und Sozialdemokraten (mit Ausnahme der Kanzlerin) Reformen fordern, sondern auch arbeitgebernahe Institutionen der deutschen Wirtschaft. Zwar sei es richtig, „von weiteren gesellschaftspolitischen Begehrlichkeiten abzuraten“, doch Investitionen müssten möglich sein: „Die Schuldenbremse kann weder eine Wachstumsbremse noch ein Vorbote einer Deindustrialisierung sein“, sagte IW-Direktor Michael Husser.
Werden die Ampeln getrennt? Natürlich: Nein. Zumindest jetzt noch nicht. Angesichts der Umfragewerte hätte keine der Regierungsparteien etwas von einer vorgezogenen Neuwahl. Der FDP drohte sogar der Ausschluss aus dem Bundestag. Auch wäre es für die SPD nahezu undenkbar, sich an eine Koalition zur Bildung einer Großen Koalition zu wenden. Die Sozialdemokraten werden CDU und CSU ausgeliefert sein. Diese können die gemeinsame Vereinbarung tatsächlich bestimmen. Aber würden Konservative das wollen? Die EU muss unter extrem schwierigen Umständen – Rezession, Inflation, Krieg in der Ukraine und Konflikt im Nahen Osten – Verantwortung übernehmen, aber es gibt keine Garantie für einen schnellen Erfolg. Strategisch gesehen wäre es besser, die Ampel noch zwei Jahre lang durchzuziehen, in der Hoffnung, vor den anderen Parteien ins Ziel zu kommen und als Seniorpartner eine große Koalition zu bilden.
Das soll so bleiben. SPD, Grüne und FDP sind voneinander abhängig und teilweise zum Erfolg verurteilt. Diese Stimmung innerhalb der Liga war in den letzten Wochen deutlich zu spüren: Seit der Sommerpause ist es spürbar ruhiger geworden. Karlsruhes Demütigung brach in einer inneren Flaute aus. Wenn die Liga nun jedoch die Finanzierung ihres wichtigsten Projekts sicherstellen muss, könnte das Ende dieses anhaltenden Streits Geschichte sein.
Quelle: www.ntv.de