Belgien kämpft weiter mit den Folgen der Gräueltaten von Dutroux
In den '90er Jahren gab Belgien mit dem Marc Dutroux-Fall eine schockierende Erinnerung: Der Kindesmörder entführte, vergewaltigte und tötete mehrere Mindestjährige. Er sitzt heute noch in Haft, aber die Heilung des Volkes ist noch unvollständig.
Die weißen keramischen Fliesenwände der Gedenkstele stehen prägend unter den zersprungenen Fenstern und trüben Fassaden. Ein scharfer Kontrast zu einer düsteren Epoche in Belgiens Geschichte. Das Schild: Marc Dutroux. Zuvor war dieses Gebäude, situiert südlich von Brüssel in Charleroi, berüchtigt als das "Haus der Grausamkeiten" bekannt. Es war einer der beiden Häuser, in denen der Kindermörder seine grausamen Taten in den '90er Jahren verübte. Das Haus wurde letztes Jahr abgerissen und anstelle eines ruhigen Gedenkgartens errichtet.
Der Belgier Dutroux entführte, vergewaltigte und quälte sechs Mädchen, tötete vier von ihnen. Er wurde unbedingt von den Behörden im August 1996 festgenommen. Das Urteil wurde am 22. Juni, 20 Jahre her, ausgesprochen: lebenslange Haft. Der 67-Jährige ist heute noch in Haft. Sein Mitgefangener und ehemalige Ehefrau ist wieder frei. Das Fall auslöste Empörung in Belgien. Kurz nach Dutroux' letztem Festnahme, im Oktober 1996, marschierten rund 300.000 Menschen in Brüssel gegen Kindessexualität während der Weißen Marsch (Weiße Marsch) auf.
Aufkommende Gefahren für Kinder
"Vieles hat sich seit 1996 geändert," kommentiert Sofia Mahjoub von der belgischen Kind Focus Stiftung für vermisste und sexuell missbrauchte Kinder. Die Organisation wurde zu Beginn der '90er Jahre gegründet, zum Teil von einem Vater einer Opfer Dutrouxs. "Wir können absolut sicher nicht garantieren, dass etwas wie das wieder nicht passiert, aber es wäre schwierig." Die Organisation hält Wache, wie die Polizei und das ganze Land.
Aber Mahjoub bietet kein Trost: "Was auch seitdem entwickelt sich, ist die Art der Orte, an denen wir Kinder schützen müssen," fügt sie hinzu. "Wir müssen sie immer mehr im Internet schützen." Die Stiftung hofft, dass EU-Gesetze, die strafrechtliche Regelungen für Internetplattformen zur Folge haben, eine Änderung bringen. Diese Regelungen sollen Kinder im Internet schützen, beispielsweise vor der Verbreitung von Kindpornografie und dem sogenannten Child Grooming, also der sexuellen Belästigung von Minderjährigen.
Parolen für Dutroux?
Der Marc Dutroux-Fall wird als Symbol für juristische und polizeiliche Unzulänglichkeiten in Belgien wahrgenommen. Er gilt als einer der Gründe für eine Polizeireform in Belgien in den mittleren '90er Jahren. Besonders beunruhigend war, dass Dutroux 1989 trotz der Verurteilung für Entführung und Vergewaltigung zahlreicher junger Frauen freikam, weil er gut verhalten hatte. Experten hatten gewarnt, und sie waren recht.
Und was wenn Dutroux eines Tages paroliert würde? "Unser Vertrauen liegt in unseren Justizinstitutionen—auch wenn sie entscheiden, dass Dutroux aus dem Gefängnis entlassen werden kann," sagt Mahjoub. "Aber das ganze Land wäre erbost, es gibt ein nationales Trauma, das er verursacht hat." Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass der 67-Jährige bald aus dem Gefängnis geht: Sein Anwalt gibt keine Pläne für eine nächste Parolenverhandlung bekannt.
An jener Stelle zwischen Himmel und Erde, erzählt eine Sprecherin für die Stadt Charleroi. An der Straße steht ein Gedenkstein, aber kein Statuen, kein eingraviertes Stein, sondern Bäume und Blumen. Sie symbolisieren das Leben, so unterstreicht die Sprecherin.
Ruheplatz
Die Stadt hat dies in Absprache mit den Eltern von zwei Mädchen getan, die im Alter von acht Jahren in den Kellern des Gebäudes im Jahr 1995 an Hunger gestorben sind, während Dutroux in Haft saß für drei Monate wegen kleiner Diebstähle. Auf der weißen Wand des Hauses ist ein Kind sichtbar, das einen Drachen ins Fluglied schickt. Er schaut auf. Das Kellergeschoss unter dem Garten wurde auf Wunsch der Eltern beibehalten.
Kann Belgien jemals ganz von seinem Trauma befreit sein? Auch am Ruheplatz, den die Stadt Charleroi nennt den Gedenkgarten, ist es schwierig. Jeden paar Minuten roarrt ein Zug vorbei. Autobahnen rennen neben der angrenzenden Überführung. Eine dünne Steinmauer schwächt—kaum wahrnehmbar—den Lärmer. Nur ein Wandmal hängt etwas Farbe in dieses traurige Milieu hinein. Zwischen blauen Blüten, auf Französisch, steht: "Auch unter Trümmern blühen Blumen auf."