Wie hoch ist die Verschuldung angemessen?
Viele glauben, dass der Staat angesichts des Urteils des Bundesverfassungsgerichts nun mit seinen Einnahmen auskommen muss. Das klingt offensichtlich – ist aber falsch.
Manche Menschen reiben sich heutzutage vielleicht verwundert die Augen. Während die Vereinten Nationen berichten, dass sich die globale Klimakrise dramatisch verschärft und die Welt sich um fast drei Grad erwärmen könnte, dreht sich in Deutschland alles um die Staatshaushaltskrise. Dreimal wurde der banale „Klimawandel“ in ein apokalyptisches Szenario der Zerstörung des Planeten verwandelt. Unsere Kinder und Enkel werden bald in einer anderen, unwirtlicheren Welt leben müssen – wenn sie die damit verbundenen Verteilungskonflikte überstehen können. Ohne gezieltere Anstrengungen zum Klimaschutz könnten die meisten Menschen in wenigen Jahrzehnten den Wohlstand, den wir heute kennen, verlieren.
Warum bleibt uns bei dieser Frage dann nichts Besseres übrig, als heftig zu debattieren, ob es sich um einen Notfall handelt, ob es sich um eine Sondersituation im Sinne unserer Gesetzgebung handelt oder um die 60 Milliarden Euro, die für den Klima- und Transformationsfonds vorgesehen sind? (KTF) Kann man vom Guten zu viel haben? Oder sollte die jetzige Generation in puncto Staatsbürgerschaft, Grundkindergeld oder Rente den Gürtel enger schnallen, um zukünftige Generationen nicht mit zu hohen Schulden zu belasten?
Viele glauben, dass der Staat nun mit seinen Einnahmen auskommen muss. Das klingt offensichtlich, ist aber falsch. Die Klima- und Umweltkrise, mit der wir konfrontiert sind, erfordert eine umfassende Reaktion – und das erfordert massive Investitionen. Wir müssen auch die Defizite der letzten 20 Jahre in den Bereichen Modernisierung und Digitalisierung, Bildung und Infrastruktur ausgleichen. Allerdings reichen die heutigen Steuereinnahmen nicht aus, um dies zu finanzieren. Das muss aber nicht sein – insbesondere angesichts der relativ niedrigen internationalen Schuldenquoten. Letztendlich kommen die Erträge aus kreditfinanzierten Klimaschutzinvestitionen künftigen Generationen in Form einigermaßen intakter Lebensgrundlagen zugute. Im Idealfall käme dies aber auch in Form höherer Einkommen zum Ausdruck, etwa wenn es der deutschen Industrienation gelingt, zu den internationalen Spitzenreitern bei der Herstellung klimaneutraler Technologien und Produkte zu gehören.
Kraftvolle Sprengkraft
Es ist auch falsch zu versuchen, die von uns geschaffenen finanziellen Lücken zu schließen, indem wir die Schwächsten in der Gesellschaft ins Visier nehmen. Sie werden von der Klimakrise und den Maßnahmen zu ihrer Eindämmung am stärksten betroffen sein. Selbst tiefgreifende Einschnitte in den Sozialstaat werden nicht ausreichen, um die entstandene Lücke im Nebenhaushalt zu schließen. Allerdings könnten sie eine enorme Sprengkraft auf den ohnehin fragilen gesellschaftlichen Zusammenhalt entfalten und die Akzeptanz des Klimaschutzes untergraben. Darüber hinaus machen Sozialkürzungen aus fiskalischer Sicht wenig Sinn, da es sich meist um Ausgaben handelt, die über den privaten Konsum direkt wieder in den Konjunkturkreislauf zurückgeführt werden. Es ist nie gut, in einer Notsituation sparen zu wollen, und noch schlimmer ist es, wenn Menschen nur versuchen, über die Runden zu kommen, insbesondere in einer Rezession.
Doch sind Staatshaushalte grundsätzlich nicht für den Klimaschutz geeignet? Denn, wie wir heutzutage so oft hören, können Unternehmen allein durch Anreize wie CO2-Preise dazu bewegt werden, ihre Produktionsmethoden zu ändern, ohne dass staatliche Subventionen erforderlich sind. Aber jetzt muss diese Zahl ausreichend ansteigen, um eine Wirkung zu erzielen. Aber sich allein darauf zu verlassen, ist ein Missverständnis. Denn wenn Deutschland nur die Peitsche schwingt, während alle großen Konkurrenten Zuckerbrot verteilen, stehen wir ganz schnell allein da. Steigen die CO2-Preise zu schnell auf das nötige Niveau, könnte das viele Unternehmen in Schwierigkeiten bringen, zu erheblichen Preissteigerungen führen und sogar größeren gesellschaftlichen Druck erzeugen.
Letztlich muss der Staat gut mit der Wirtschaft und den privaten Haushalten zusammenarbeiten: Ohne den staatlich geförderten Netzausbau wird es keine Wasserstoffwirtschaft, keinen zusätzlichen Schienenverkehr, keine Elektrifizierung von Produktion und Verkehr und keine Transformation der Wohnraumheizung geben. Ohne gesellschaftliche Unterstützung, zum Beispiel durch die Umverteilung der CO2-Einnahmen oder die Förderung klimafreundlichen Heizens, gibt es keinen Ausweg aus dem Lockdown und keine Unterstützung des Wandels.
Erfordert erhebliche Investitionen
Obwohl die Klage der CDU gegen eine unlautere Finanzmasche legitim und das Karlsruher Urteil nachvollziehbar ist, kann die Antwort letztlich nur ehrlich sein. Der einzige Weg, Klimaneutralität zeitnah, wohlfahrts- und gesellschaftsschonend zu erreichen, sind umfangreiche private und staatliche Investitionen in umweltfreundliche Technologien und Infrastruktur. Die Schätzungen zum Anteil des Staates gehen weit auseinander, liegen aber alle deutlich über den bisher angekündigten finanziellen Mitteln. Einige geplante klima- und industriepolitische Maßnahmen – etwa geplante Strompreise oder Chipsubventionen – können hinsichtlich ihrer Relevanz und Angemessenheit umstritten sein. Sicher ist aber, dass wir jetzt viel Geld investieren müssen, sonst kommt die Investition entweder zu spät oder erfolgt in Ländern, die entspannter mit dem Klimaschutz und den Staatsausgaben umgehen und hohe Subventionen für den Klimaschutz einsetzen . Ziehen Sie ausländische Investitionen an.
Eine grundsätzliche Blockade von Vorschlägen zur Reform der Schuldenregeln (bei gleichzeitiger Ablehnung jeglicher Steuererhöhungen) hat zu einer stetig eskalierenden Spirale aus Verlust an Wirtschaftskraft und internationaler Wettbewerbsfähigkeit, sozialen Unruhen und Versagen der Klimapolitik geführt.
Die Vermeidung staatlicher Investitionen wird uns keine finanzielle Stabilität bringen, im Gegenteil: Wir brauchen angesichts des demografischen Wandels tatsächlich dringend Investitionen zur Steigerung der Produktivität und des Potenzialwachstums, die eine Voraussetzung für die künftige Besteuerung sind. Wie viele Stimmen zu Recht warnen, wird das BIP-Wachstum im nächsten Jahr aufgrund der Einstellung der aus dem Fonds finanzierten Projekte stark zurückgehen. Die Emissionen in Deutschland werden also in Zukunft sinken, aber das liegt an der geringeren heimischen Produktion und nicht an saubereren Produktionsmethoden. Tatsächlich kann es sogar zu einem Anstieg der Schuldenquoten kommen, sodass es zu keinen Gewinnen bei der Staatsverschuldung kommt. Selbst wenn wir dies beibehalten, was werden künftige Generationen von der diszipliniertesten Familie auf der verbrannten Erde profitieren? Kurz gesagt: Staatsinvestitionen in eine nachhaltige soziale Marktwirtschaft sollten daher künftig durch schuldenverzweigte Verfassungsreformen anders behandelt werden als andere Ausgaben. Obwohl es schwierig sein kann, Investitionen von Sozial- und Verbraucherausgaben zu trennen, ist es notwendig.
Wendepunkt der Zivilisation
Eine ausgewogene Reform bedeutet nicht zwangsläufig das Ende nachhaltiger Staatsfinanzen oder sogar den Staatsbankrott, wie manche Zwischenrufer glauben machen wollen. Auch ohne Reformen wird das Land seine Ausgaben sicherlich wieder strenger prüfen müssen. Mir fallen hier klimaschädliche Subventionen ein, deren Reduzierung das Bündnis beschlossen hat. Sie schaffen falsche Anreize, die das Land Milliarden von Dollar kosten und manchmal problematisch bei der Zuteilung von Policen wie Diesel-, Kerosin- und Dienstwagenprivilegien sind. Auch wenn sie nicht in allen Fällen überflüssig sind und auf einen Schlag abgeschafft werden können (z. B. Pendlerpauschalen), sind Reformen und Einsparungen dennoch dringend erforderlich und sollten jetzt als Teil der Lösung umgesetzt werden.
In diesem Zusammenhang sollte auch das jüngst angekündigte Strompreispaket der Bundesregierung, das die derzeitigen klimaschädlichen Subventionen im Bereich der Stromsteuer noch einmal erhöhen wird, auf den Prüfstand gestellt werden. Neben den fragwürdigen Konsequenzen und Anreizeffekten wäre ein derart breiter Steuernachlass für alle Industrieunternehmen auch kostspielig. Die praktischen Ziele, strategisch wichtige Bereiche wie die deutsche Grundstoffindustrie vor der Transformation im globalen Wettbewerb zu schützen und Planungssicherheit für die Energiepreisentwicklung zu schaffen, können mit dieser nicht näher spezifizierten Förderung nicht erreicht werden. Mit dem jüngsten Karlsruher Urteil dürfte die wirtschafts- und finanzpolitische Gießkanne endlich ihre Zeit haben.
Wir müssen in Zukunft nicht nur stark, sondern auch noch intensiver investieren. Da wir jedes Jahr immer drastischere zivilisatorische Veränderungen und zahlreiche Umweltkrisen erleben, ist es notwendig, Handlungsspielräume für den Staat zu schaffen, um auf diese Krisen reagieren zu können. Sollte es uns letztlich nicht gelingen, energische Gegenmaßnahmen zu ergreifen, werden sich die Folgen dieser Krisen nicht nur in Form von Belastungen für die öffentlichen Haushalte bemerkbar machen, sondern auch so weit gehen, dass die Sorge um die Schuldenquoten überflüssig wird. Jedes verlorene Jahr erhöht nur den Aufwand. In diesem Fall muss niemand selbst eine Haushaltskrise herbeiführen.
Markus Wortmann ist Senior Expert im Programm „Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft“ der Bertelsmann Stiftung. Regie führt dort Andreas Esche.
Dieser Artikel wurde zuerst im Online-Magazin für Wirtschaftspolitik „Makronom“ veröffentlicht.
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Quelle: www.ntv.de