Die Verfassung von Deutschland – Eine Komplexe Geschichte
Die ausgestopften Tiere wurden diskret versteckt oder sorgfältig beiseite geschoben; dennoch muss eine Aura der Exotik den Ort durchdrungen haben. Genau vor 75 Jahren, am 1. September 1948, entfaltete sich die formelle Einweihung des Parlamentarischen Rates innerhalb der Mauern des Museums Koenig für Naturgeschichte in Bonn. Diese Versammlung trug die entscheidende Verantwortung, das Gerüst für einen neuen westdeutschen Staat zu schaffen – die Verfassung. Die Auswahl des Museums erfolgte aufgrund seiner glücklichen Stellung als eines der wenigen Gebäude, die die Verwüstungen des Krieges unversehrt überstanden hatten. Die substantiellen Beratungen fanden jedoch in der Pädagogischen Akademie statt, die nur 500 Meter entfernt liegt. Rückblickend können die bahnbrechende architektonische Ästhetik dieses Gebäudes, gekennzeichnet durch seinen nüchternen Bauhausstil, nahezu als Sinnbild für den Geist des Grundgesetzes interpretiert werden.
Gerhart Baum (FDP), der heute das Alter von 90 Jahren erreicht hat, stand damals kurz vor seinem 16. Geburtstag. Er war zu dieser Zeit am Tegernsee Gymnasium in Bayern eingeschrieben. “Wir waren uns der Entstehung eines völlig neuen Paradigmas in Bonn nicht bewusst“, erinnert sich der ehemalige Bundesinnenminister in einem offenen Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur aus seiner Residenz in Köln. “Die Bevölkerung blieb weitgehend von der Entstehung des Grundgesetzes abgekoppelt.” Die Menschen hatten andere drängende Anliegen und waren damit beschäftigt, die Herausforderungen des täglichen Lebens zu bewältigen.
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“Darüber hinaus war das vorherrschende Umfeld noch nicht vollständig aufgeschlossen für demokratische Prinzipien“, erläutert Baum. “Wir hatten Lehrer, die noch nicht erkannt hatten, dass wir nun in einer Ära der Demokratie leben. Ich hatte damals vor, an der Schule eine Gedenkveranstaltung zu organisieren, um der Widerstandskämpfer des 20. Juli zu gedenken, doch das Lehrerkollegium untersagte uns dies. Sie bezeichneten jene Individuen als ‘Vaterlandsverräter’.”
Verfassung: Die Macht sollte verteilt werden
Die Alliierten aus dem Westen gaben den parlamentarischen Ausschüssen eine Direktive, sie anzuweisen, eine demokratische Verfassung mit einer starken föderalen Struktur zu formulieren. Unter Rückgriff auf die Lehren aus dem Niedergang der Weimarer Republik lag der Schwerpunkt auf einer breiten Verteilung der Macht zwischen der Bundesregierung und den einzelnen Bundesländern. Als Reaktion darauf setzten sich Vertreter der bestehenden Landesparlamente bei den Besatzungsmächten dafür ein, dass eine vorläufige “Grundgesetz“-Verfassung ausgearbeitet werden sollte, anstelle einer ausführlichen Verfassung. Aus ihrer Sicht befand sich die Identität Westdeutschlands als Nation noch im Entstehungsprozess. Diese Zwischenlösung war als vorübergehende Maßnahme gedacht, bis es schließlich zur Wiedervereinigung mit den Gebieten im Osten kommen würde.
Der Katalog des Parlamentarischen Rates bestand aus 65 Mitgliedern mit Stimmrecht, die alle von den Landesversammlungen ernannt wurden und aus verschiedenen politischen Gruppierungen stammten. Einige von ihnen hatten unter dem Nazi-Regime gelitten, während andere mit ihm zusammengearbeitet hatten. Die Nazis hatten nur wenige wirkliche Opfer. “Was von höchster Bedeutung ist, ist unsere Fähigkeit, alle Grenzen politischer Fraktionen zu überwinden und… die ursprüngliche Ära der Weimarer Zeit”, betonte Baum. “Es kam zu einer Verschmelzung des politischen Spektrums.”
Dieser Geist spiegelt sich auch in den intimen Momentaufnahmen wider, die von der Düsseldorfer Fotografin Erna Wagner-Hehmke gemacht wurden, die die Beratungen begleitete. Ihre berührenden Fotos, die derzeit im Haus der Historie Bonn ausgestellt sind, fangen oft ungezwungene Gruppierungen von Ratsmitgliedern in Fluren ein, die in Diskussionen vertieft sind oder unter einem Baum sitzen und Kaffee trinken.
Hintergrundrolle des Rechtsprofessors
Wenn man eine Person hervorheben möchte, die bei diesem Vorhaben eine bedeutende Rolle gespielt hat, könnte es sich um Karel Schmid handeln, einen Juraprofessor, der der Sozialdemokratischen Partei angehörte. Allerdings agierte dieser freundliche Wissenschaftler größtenteils im Hintergrund – der zukünftige deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU), der stärker auf Macht ausgerichtet war, wurde zum Präsidenten des Legislativrates ernannt.
“Das Besondere am Grundgesetz ist seine Eigenschaft als erste grundlegende Rechtsgrundlage. Die deutsche Verfassung gründet sich auf das Prinzip der Menschenwürde”, teilte Baum mit, der weiterhin als Anwalt tätig ist. “Im Gegensatz zur Weimarer Verfassung verankert das Grundgesetz die gesamte Staatsgewalt in den Grundrechten.” Zusätzlich wurde es aufgrund der dauerhaften Natur einiger der wichtigsten Grundrechte unmöglich, sie durch einen parlamentarischen Beschluss einzuschränken.
Dennoch lösten die Feinheiten der Diskussionen leidenschaftliche Debatten aus. Zum Beispiel mussten die vier weiblichen Ratsmitglieder lange für die Formulierung “Gleichberechtigung von Mann und Frau” kämpfen. “Ursprünglich sollte eine so explizite Formulierung vermieden werden.” Der später ernannte erste Präsident der Bundesrepublik, Theodor Heuss (Liberale), argumentierte, dass es ausreichen würde, wenn Frauen die gleichen Bürgerrechte hätten. Doch innerhalb der Familie sollten die Männer immer noch das Sagen haben.
Überschwemmt mit wütenden Briefen
Vier einflussreiche “Matriarchinnen”, angeführt von der entschlossenen SPD-Politikerin Elisabeth Selbert (1896-1986) im Rahmen des Grundgesetzes, waren keineswegs bereit, in dieser Hinsicht nachzugeben. Ihr lauter Appell erklang für umfassende Reformen, die das gesamte Spektrum der Rechtswissenschaft umspannten und sogar den Bereich des Familienrechts umfassten, alles untermauert von den Grundprinzipien der Parität und Egalität. Begeistert von Selberts Initiative, fand das Gremium seine Schreibtische überschwemmt von Briefen aufgebrachter Frauen. Selbert selbst ging noch einen Schritt weiter und rief direkt die Ehefrauen jedes CDU-Ratsmitglieds dazu auf, sich zu versammeln und standhaft zu bleiben – zweifellos lastete die Verantwortung schwer auf ihnen. Das Ergebnis war triumphal: Die Widerstandsfähigkeit des männlichen Kontingents bröckelte unter dem Druck.
Am 23. Mai 1949 wurde das grundlegende Grundgesetz in Bonn enthüllt und erreichte letztlich durch die Vereinigung von West- und Ostdeutschland im Jahr 1990 seine Ratifikation. “An diesem Wendepunkt hegte ich entschiedenen Widerstand gegen den Beginn der Ausarbeitung einer neuen Verfassung”, reflektiert Gerhard Baum. Letztendlich jedoch bewies das Grundgesetz seine Stärke. “Eine bessere Verfassung können wir uns nicht wünschen.”