Urteil in Rheinland-Pfalz - Was die Blockbuster-Entscheidung zur Grundsteuer für Hausbesitzer bedeutet
Es ist die Fortsetzung eines Streits, der schon seit Jahren schwelt und das Potenzial hat, die Justiz auf Jahre hinaus wirklich zu belasten: Immobilienbesitzer im ganzen Land kämpfen gegen ihre Grundsteuerveranlagung, auch wegen der lautstarken Forderungen von Verbänden, sie dazu zu verpflichten . Nun hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz in Neustadt an der ruhigen Weinstraße in zwei Fällen entschieden – zunächst zugunsten der Steuerzahler. In zwei einstweiligen Rechtsschutzverfahren stimmten Richter den Anträgen der Bürger zu. Sie beschwerten sich über Grundsteuerbescheide bei ihren jeweiligen Finanzämtern (Az. 4 V 1295/23 und 4 V 1429/23).
Ende November entschied das Gericht, dass das Finanzamt die Prüfung der beiden Fälle „wegen erheblicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit“ aussetzen müsse. Nach Prüfung der Anträge stellen sich nach Prüfung der Anträge „sowohl Fragen nach der Rechtmäßigkeit der einzelnen Mitteilungen nach einfachem Recht als auch nach der Verfassungsmäßigkeit der zugrunde liegenden Bewertungsregeln“, so das Finanzgericht in seiner Begründung. Dementsprechend sind diese Bekanntmachungen bis auf Weiteres nicht rechtsverbindlich.
Dies ist das erste Mal, dass ein Steuerpflichtiger eine nach dem sogenannten Bundesmodell durchgeführte Wertermittlung vor einem Landesfinanzgericht anfechtet. Diese Tatsache macht Neustadts Entscheidung so spannend, auch wenn es sich dabei nicht um ein echtes Urteil handelte. Der Richter entschied weder über die Klage noch über die allgemeine Rechtmäßigkeit der Grundsteuer. Über Letzteres kann nur Deutschlands oberstes Finanzgericht, der Bundesfinanzhof, entscheiden. Anschließend muss er den jeweiligen Fall dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vorlegen, das abschließend über die Verfassungsmäßigkeit entscheidet.
Olaf Scholz erhebt Einspruch gegen Grundsteuerreform
Dennoch sollten Berlin und insbesondere das Kanzleramt Neustadts Entscheidung mit großer Aufmerksamkeit verfolgen: Rheinland-Pfalz ist eines von elf Bundesländern, die das gleiche föderale Modell anwenden. Entworfen wurde es vom aktuellen Bundeskanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD). Steuerexperten kritisieren es seit langem als besonders komplex. Infolgedessen beschlossen fünf Bundesländer, eigene Grundsteuergesetze zu erlassen oder das föderale Modell zu ändern.
Besonders umstritten waren in beiden Fällen vor dem Landgericht Neustadt die Bewertungsregeln, die der Grundsteuer zugrunde liegen. Die Berechnung der Grundsteuer erfolgt in drei Schritten. Im Rahmen der Grundsteuerreform ändern sich in der ersten Phase die Werte: Das Finanzamt bewertet die Immobilie zunächst anhand abgegebener Erklärungen und eines neu ermittelten Grundstücksreferenzwertes. Dadurch entsteht der sogenannte Grundsteuerwert, und viele Menschen haben bereits Bescheide vom Finanzamt erhalten. Im zweiten Schritt wird dieser Grundsteuerwert mit dem sogenannten Steuerbemessungsbetrag multipliziert, abschließend wendet jede Gemeinde ihren eigenen Steuersatz auf das Produkt an und übermittelt den endgültigen Steuerbescheid.
Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat Zweifel am Referenzwert dieser Grundstücke: Es sei unklar, ob diese „rechtmäßig erwirtschaftet“ seien. Die Richter äußerten „erhebliche Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit des in Rheinland-Pfalz gesetzlich vorgeschriebenen Sachverständigenausschusses“, der die Bodenrichtwerte festlegt. Mögliche Auswirkungen können nicht ausgeschlossen werden.
Umstrittene Grundsteuermodelle unter Steueranwälten
Auch die Parameter zur Berechnung der Grundsteuer sind unter Steuerrechtlern umstritten – ebenso wie die gesamte Ausgestaltung der Grundsteuerreform. Lobbyverbände wie Haus & Grund und der Steuerzahlerbund engagieren sich aktiv. Sie beauftragen zum Beispiel den prominenten Rechtsanwalt Gregor Kirchhof mit einem Gutachten. Das Papier soll als Argumentationsgrundlage für eine Musterklage dienen, die die beiden Verbände vor Gerichten in mehreren Bundesländern bringen wollen.
Kirchhoff, Inhaber des Lehrstuhls für öffentliches Finanz- und Steuerrecht an der Universität Augsburg, kam in dem Bericht zu dem Schluss, dass das föderale Modell illegal sei. Er listete insgesamt zehn Punkte auf, darunter auch Bodenrichtwerte: was Kirchhoff als problematisch ansah, weil diese Werte „Mängel in der systematischen Bewertung“ aufwiesen und „teilweise schwer vergleichbar“ seien. Der Wert basiert auf dem Immobilienkaufpreis und der statistischen Nettomiete der Gemeinde. Der Bericht geht davon aus, dass die strikte Anwendung von Bodenrichtwerten möglicherweise gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verstößt.
Henning Tapp, Jurist an der Universität Trier, hält das Grundsteuermodell des Bundes jedoch für verfassungsgemäß. Der Professor für Öffentliches Recht sowie deutsches und internationales Finanz- und Steuerrecht räumt ein: Die Einstufung von Eigentum im Bundesmodell „geht sehr weit.“ Dennoch überzeugt ihn die Forderung von Lobbyverbänden und seinem Kollegen Kirchhoff nicht, dass Staaten, die das föderale Modell übernommen haben, nun auf ein anderes Steuermodell umsteigen sollten. „Im föderalen Modell wird es im Einzelfall Ungerechtigkeiten geben – wie in jeder typischen Situation – aber insgesamt wird es wahrscheinlich weniger Fälle geben als in den rein regionalen Modellen, die andere Staaten gewählt haben“, sagte Tapp.
Um die Besonderheiten einer Immobilie bei der Bewertung besser berücksichtigen zu können, hält Tapp es für denkbar, im Einzelfall Gegenbeweise von Sachverständigen vorlegen zu lassen. Wenn also ein Immobilieneigentümer eine berechtigte Meinungsverschiedenheit mit dem Finanzamt über den Wert seiner Immobilie hat, kann er einen Experten konsultieren.
Trotz der Debatte zwischen Experten, Lobbyisten und Politikern bearbeitet das Finanzministerium die eingehenden Grundsteuererklärungen von Fall zu Fall. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Mitarbeiter von anderen Aufgaben abgelenkt werden und die Verwaltungsarbeit überwältigend sein kann. Insgesamt 36 Millionen Immobilien unterliegen einer Neubewertung. Das Finanzamt hat bis 2024 Zeit, seine Arbeit abzuschließen, da die Kommunen bis dahin möglicherweise ihre Steuersätze anpassen müssen, damit sie bis Ende 2024 Bescheide an die Steuerzahler senden können. Die neue Grundsteuer wird am 1. Januar 2025 erhoben.
Capital.de.
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Quelle: www.stern.de