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„Warum wurde ein 16-jähriger Junge erschossen?“

Fünf Polizisten erscheinen vor Gericht

Wird Mohamed Dramehs Familie Gerechtigkeit widerfahren? Wie wird es aussehen?.aussiedlerbote.de
Wird Mohamed Dramehs Familie Gerechtigkeit widerfahren? Wie wird es aussehen?.aussiedlerbote.de

„Warum wurde ein 16-jähriger Junge erschossen?“

Am 8. August 2022 wurde der 16-jährige Mouhamed Dramé in der Dortmunder Nordstadt durch fünf Schüsse aus einer Maschinenpistole der Polizei getötet. Fünf Polizisten müssen sich nun vor dem Landgericht Dortmund für den tödlichen Einsatz verantworten. Es ist ein Prozess, der viel über dieses Land verrät.

Mohamed Drame hat nach einer Flucht aus dem Senegal nur eine Woche in Dortmund verbracht. Anschließend wurde er von fünf Kugeln aus einer Maschinenpistole der Polizei getroffen. er starb. Vor nicht allzu langer Zeit bat ein Vorgesetzter in einer bestimmten Gemeinde die Polizei um Hilfe. Der 16-Jährige war schwer selbstmörderisch und hielt sich ein Messer an den Bauch. Es waren zwölf Polizisten vor Ort. Aus der erhofften Deeskalation wurde eine Tragödie. Ein Vorfall, der landesweit für Empörung sorgte. Dies löste eine Debatte über die Verhältnismäßigkeit polizeilicher Maßnahmen aus. Vor allem eines, das das Leben eines 16-jährigen Teenagers forderte, eines leidenschaftlichen Fußballers in seiner Heimatstadt Borussia Dortmund, seinem Lieblingsverein.

Ab heute (Dienstag) müssen sich drei Polizisten und zwei Polizistinnen vor dem Landgericht Dortmund wegen des Vorfalls vom 8. August 2022 in der Missundestraße in Dortmund verantworten. Fabian S., 30, wurde wegen Totschlags angeklagt. Jeannine Denise B., 31, Pia Katharina B., 29, und Markus B., 34, müssen für gefährliche Körperverletzungen verantwortlich gemacht werden, die durch den unzumutbaren Einsatz von Pfefferspray und einem Taser im Büro verursacht wurden. Dienstgruppenleiter Thorsten H., 55, wurde wegen Anstiftung zu gefährlicher Körperverletzung im Büro angeklagt.

Gedenken an den ersten Jahrestag der von der Polizei verhängten Todesstrafe.

Die Ermittlungen ergaben, dass der 34-jährige Angeklagte auf Anweisung des Dienstteamleiters Pfefferspray auf den hockenden Mohammad gesprüht haben soll. Der Teenager sprang angeblich auf und ging mit einem Messer auf die Polizei zu. Zwei weitere Angeklagte sollen ihn wie vereinbart kurz vor der Schießerei mit einem Taser aus der Distanz geschockt haben. Dann starb Mohammed. Elf Verhandlungstage sind bis Mitte April 2024 geplant, bevor ein Urteil verkündet wird.

In welche Richtung bewegt sich die Polizei?

„Das ist ein Prozess mit sehr hohen gesellschaftlichen und politischen Erwartungen“, sagte Michael Mertens, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei NRW (GdP), gegenüber ntv.de. „Alle – für unsere Lieben und für die Polizei.“ Alle müssen den 8. August 2022 noch einmal überstehen. "

Fall für Fall scheinen Szenarien, die sich aus schrecklichen Ereignissen ergeben, zahlreiche Debatten in Deutschland zu prägen. Es geht um die Ausbildung und den Weg der deutschen Polizei, die sich, wie Polizeiwissenschaftler Raphael Bell sagt, von der Idee einer Bürgerpolizei hin zu einer Law-and-Order-Polizei bewegt. Es geht um den daraus resultierenden Vertrauensverlust zwischen den Bürgern. Dabei geht es aber auch um die Frage, wie eine Gesellschaft denjenigen gerecht wird, die keine Stimme haben, und wie sie diese Menschen überhaupt ins Land aufnimmt.

Mehr als ein Jahr nach dem Vorfall steht Mohammeds Familie immer noch unter Schock. Etwa einen Monat vor Prozessbeginn besuchten Sidi und Ramin Drameh zum ersten Mal den Ort, an den ihr Bruder und ihr Sohn gebracht worden waren. Sie reisten gezielt vom Senegal ins Ruhrgebiet. „Wir Afrikaner halten das für Rassismus der deutschen Polizei. Was sie getan haben, ist inakzeptabel“, sagte Sidi, der Bruder des Toten, dem WDR. „Die Art und Weise, wie Mohammed getötet wurde, kann allen eine Lektion erteilen.“ Das Drama brachte eine Reihe von Vorwürfen gegen die Polizei hervor, die auch im Dortmunder Prozess eine Rolle spielen werden. Die Solidaritätsgruppe Justice4Mouhamed wird vor Beginn des Prozesses eine Mahnwache vor dem Bezirksgericht abhalten. Die Gruppe warf der Polizei außerdem „rassistische Stereotypen“ vor.

„Die Polizei muss den Sachverhalt im Bruchteil einer Sekunde ermitteln“

Die ganze Welt verhandelt auf dem Rücken der Erschlagenen. Rechtsanwältin Lisa Gruter vertritt die Familie. Sie vertritt die Nebenkläger. „Die Familie ist an Aufklärung interessiert. Sie ist schockiert, dass Mohammed eine schwierige Gefängnisflucht überlebt hat, nur um von der Polizei erschossen zu werden. Ihr Anliegen ist Gerechtigkeit“, sagte sie gegenüber ntv.de.

Dies wurde durch die Klärung der Frage erreicht, ob der Einsatz von Maschinenpistolen gerechtfertigt war. Es wird von Einsatzfahrzeugen mitgeführt, muss aber aus einem sicheren Fach entnommen werden. Gerechtigkeit entsteht auch durch die Frage, ob vorher Pfefferspray und Taser hätten eingesetzt werden müssen. Der brutale Mord an dem 16-jährigen Mouhamed Dramé schockierte die Menschen weit über die Stadtgrenzen Dortmunds hinaus. Wie konnte die Aktion derart eskalieren?

Das Landgericht Dortmund muss die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes klären. Braucht es wirklich zwölf Polizisten und potenziell tödliche Waffen, um einen 16-jährigen Selbstmörder zu beruhigen? „Die Polizei lebt immer in Situationen, in denen sie in Sekundenbruchteilen Entscheidungen treffen muss. Benutzt sie Pfefferspray, einen Taser oder, wie in Dortmund, eine Waffe? Im Gegensatz zu Gerichtsverfahren gibt es keine Zeit“, sagte Mertens. Auch der BIP-Bundesvizepräsident sagte: „Es müssen jetzt Entscheidungen getroffen werden. Das ist unser tägliches Brot. Wir müssen entscheiden, was verwendet wird.“

Die mildeste Heilmittelfrage

Deshalb saß Thorsten H., der 55-jährige Service-Teamleiter, auf der Anklagebank. Er war an diesem Tag der Entscheidungsträger. Auf jeden Fall ist das, was jetzt verhandelt wird, selten. Nur zwei Prozent der Fälle gelangen vor Gericht. Tobias Singelnstein sagte vor zwei Jahren zu ntv.de, dass die normale Strafverfolgungsquote bei 20 bis 25 Prozent liege. Der Kriminologe Singelenstein ist einer der Autoren einer Studie über rechtswidrige Polizeigewalt.

Der Anwalt von Thorsten H., Michael Emde, sagte dem WDR Ende November, dass die Anklage gegen Thorsten H. „dem öffentlichen Druck Rechnung getragen“ habe. Kein Wunder. Der Vorwurf bleibe „problematisch“, da sein Mandant glaube, er habe im Verfahren „das mildeste Mittel gewählt“. Selbst dieser mildeste Ansatz, der die gleichzeitige Verwendung von Pfefferspray, Taser und Maschinenpistole bedeuten kann, kann „schreckliche“ Ergebnisse haben. Ein erschreckendes, aber nicht ungewöhnliches Ergebnis: Laut Statistik der Deutschen Hochschule der Polizei erschoss die Polizei zwischen 2012 und 2022 116 Menschen – Nothilfe und Notwehr, in Einzelfällen auch Kriminalprävention, fast immer aus dem Grund, wie Polizeibeamte sagten Der Tod wurde durch den Einsatz einer Schusswaffe verursacht.

Was geschah mit den Polizeieinsätzen

Insbesondere der Einsatz von Pfefferspray gehört mittlerweile fast zum Standardeinsatz der Polizei. Hauptsächlich in Fußballstadien oder bei Demonstrationen. „Pfefferspray und Taser verringern nicht die Feuerkraft, sondern verstärken die schmerzverursachende Feuerkraft“, sagte Polizeiwissenschaftler Bell der Nachrichtenagentur dpa. „Polizisten tun so, als ginge es bei jedem Messerangriff um Leben und Tod.“ „Diese Denkweise müssen wir ablegen.“ Bell forderte eine bessere Aus- und Weiterbildung der Polizeikräfte.

„Dieser Einsatz hat in der Polizei eine große Debatte über den Umgang mit psychisch kranken Menschen ausgelöst“, sagte Gewerkschaftsmitglied Mertens. Das Ergebnis in Dortmund: Jetzt hat die Polizei zwei zusätzliche Schulungstage. Hauptzweck der Zusatzausbildung ist die Fortbildung im Umgang mit psychischen Störungen und die Sensibilisierung für fremde kulturelle Zusammenhänge.

Wochen nach dem Einsatz räumte Oberstaatsanwalt Carsten Dombert ein, es liege kein Fall von Notwehr vor und daher auch keine Verteidigung für das Geschehene. Er kritisierte die Wahl der Mittel. Mit Schusswunden am Oberkörper und am Kopf akzeptierte die Polizei den Tod Mohammeds. Dirk Hedman geht es genauso. Von Oktober 2012 bis März 2022 war er Leiter der Abteilung I.1 „Polizeiführung“ an der Deutschen Hochschule der Polizei. Nach dem Vorfall in Dortmund schrieb er auf seinem Blog, er sei unbeschreiblich entsetzt über den Tod des 16-jährigen Mohamed, eines Menschen, der „in jeder Hinsicht Schutz braucht – aufgrund seines Alters“. Sein Fluchterlebnis sei zweifellos darauf zurückzuführen sein aktueller Geisteszustand.“

Was Dortmund klären muss

Der Fall beleuchtet auch die Situation unbegleiteter Minderjähriger und Jugendlicher in Deutschland sowie derjenigen, die diese Menschen bei ihrer Ankunft begleiten. Mit Stand vom 12. Dezember 2023 lebten 39.964 Menschen im Zuständigkeitsbereich der Kinder- und Jugendhilfe, weit entfernt vom Höchstwert von 69.004 im Februar 2016, seit Oktober 2022 aber wieder leicht ansteigend. Die Zahl liegt bei knapp über 25.000. Zu den Fluchtgründen zählen Krieg und Bürgerkrieg, körperliche Gewalt, schlechte Aussichten im Inland, wirtschaftliche Instabilität oder Verfolgung aufgrund von Rasse, Nationalität oder religiöser Überzeugung.

Die Flucht nach Deutschland ist nicht nur wie üblich oft schwierig und schmerzhaft, sondern trägt in vielen Fällen auch zu den psychischen Schäden in der Heimat bei. Aktuelle Daten des Psychosozialen Versorgungsberichts 2023 zeigen, dass neun von zehn Flüchtlingen in Deutschland ein traumatisches Erlebnis erlitten haben und etwa 30 % an einer traumabedingten Störung leiden.

Die psychosoziale und psychotherapeutische Versorgung wird von zentralen Akteuren, Ländern und Fachverbänden in Deutschland weiterhin als unzureichend angesehen. Finanzielle Mittel werden gekürzt und bürokratische Hürden nehmen zu. Ohne die Unterstützung psychosozialer Beratung kann es schwieriger sein, sie zu erreichen und in den Alltag zu integrieren. Ohne Unterstützung entstehen für die Gesellschaft höhere Kosten und es können andere Probleme auftreten.

Mohamed Drame blieb nur wenige Tage in Dortmund, bevor er Hilfe und psychiatrische Behandlung in Anspruch nahm und die Anstalt am Tag vor seinem Tod verließ. „Als der Anruf am 8. August 2022 erfolgte, hatten sich alle anderen Experten schon lange damit beschäftigt. Vor allem in den letzten 48 Stunden vor dem Vorfall. Diese Experten haben die Polizei gerufen“, sagte Mertens, Mitglied der Polizeigewerkschaft. Was nach diesem Anruf geschah, wird nun geklärt. „Die Familie fragt sich: Warum wurde in Deutschland ein 16-jähriger Junge von der Polizei erschossen?“, sagte Anwalt Gruter.

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Quelle: www.ntv.de

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