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Warum so viele Azubis als nie zuvor verschwunden sind

35 Prozent der Ausbildungsplätze blieben letztes Jahr unbesetzt. Das ist ein neuer Rekord. Auch eine Bildungsdünkelhaftigkeit, die Abitur und Universität höher schätzt, ist daran schuld.

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Lehrlinge im öffentlichen Dienst gingen im Herbst 2021 auf Streik - für bessere Bezahlung insbesondere in Pflege und sozialen Berufen

- Warum so viele Azubis als nie zuvor verschwunden sind

Ein Königreich, nein, ein Mercedes für einen Auszubildenden. Im Februar sorgte Kfz-Mechanikermeister Patrick Lippick aus Oberzent, Hessen, mit einer Aktion für Aufsehen, bei der ein historischer Mercedes der G-Klasse im Spiel war. Er suchte zwei Auszubildende und lockte sie mit dem Angebot, das Fahrzeug nach Vertragsunterschrift zu erhalten. Die Auszubildenden durften das Auto dann in ihrer Freizeit unter seiner Anleitung in seiner Werkstatt restaurieren. Sie mussten nur regelmäßig die Berufsschule besuchen und die Abschlussprüfung mit besser als 3,0 bestehen. Der Oldtimer war damals zwischen 30.000 und 40.000 Euro wert und würde ihnen gehören.

300 Bewerber meldeten sich bei Lippick. 20 wurden zu Vorstellungsgesprächen eingeladen, und er wählte zwei aus, doch ein Bewerber zog zurück. Der Grund war, dass das Unternehmen bald nach Bayern umziehen würde. Lippick fand einen Auszubildenden. "Wir verlangen nur das, was für uns selbstverständlich ist", sagte der 51-jährige Meister.

Über 200.000 Ausbildungsstellen unbesetzt

Lippick hat Erfahrung im Finden von Auszubildenden. Er führt sein Meisterbetrieb seit 1997. Es ist "immer schwieriger" geworden, Auszubildende zu finden. Lippick ist nicht allein mit diesem Problem. Letztes Jahr blieben mehr Ausbildungsstellen unbesetzt als je zuvor. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung waren 35 Prozent der Ausbildungsstellen unbesetzt. 2010 waren es noch 15 Prozent.

Andere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen: Letztes Jahr konnten fast die Hälfte (49 Prozent) der Unternehmen ihre Ausbildungsstellen nicht besetzen. Das ist ein neuer negativer Rekord. Mehr als ein Drittel der Unternehmen erhielt überhaupt keine Bewerbungen. Laut der Deutschen Industrie- und Handelskammer, die die Daten gesammelt hat, betrifft dies rund 30.000 Unternehmen in Deutschland. Im Juli 2024 gab es 204.000 unbesetzte Ausbildungsstellen, davon allein rund 20.000 im Handwerk, laut der Bundesagentur für Arbeit.

Meister Lippick hat seine eigene Theorie über die Ursache des Ausbildungsmangels. "Das ist ein selbstgemachtes Problem der Elternhäuser", glaubt er. "Die haben die Handwerksberufe nicht mehr auf dem Radar. Sie sagen: 'Lern was Besseres, mach dich nicht kaputt.' Du kannst leichter Geld verdienen und die Kinder auf die Uni schicken – egal, ob sie es schaffen oder nicht." Aber der Meister betont: "Wir können nicht alle am Laptop sitzen und Geld verdienen, das funktioniert nicht. Wir brauchen auch Leute, die mit den Händen arbeiten."

lieber zur Uni als in die Werkstatt oder ins Büro

Tatsächlich ziehen es junge Menschen in Deutschland vor, nach der Schule zur Uni zu gehen statt in die Werkstatt oder ins Büro. Fast 2,9 Millionen Studenten waren im Wintersemester 2023/24 an deutschen Universitäten eingeschrieben. Ende 2022 waren rund 1,2 Millionen in der dualen Ausbildung. Es gibt mehr als doppelt so viele Studenten wie Auszubildende. Geld spielt sicherlich eine Rolle. Das Statistische Bundesamt hat berechnet, dass Vollzeitbeschäftigte, die eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, im April 2022 durchschnittlich 3.521 Euro brutto verdienten. Diejenigen mit einem Meister-, Techniker- oder Berufsschulabschluss verdienten 4.826 Euro.

Ein Bachelor-Abschluss bringt durchschnittlich 4.551 Euro. Und ein Master-Abschluss 6.188 Euro. Sogar bei beschäftigten Personen mit einem Doktortitel oder einer Habilitation lag das durchschnittliche Einkommen bei 8.687 Euro. Allerdings hat das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung an der Universität Tübingen 2019 festgestellt, dass die Einkommen konvergieren und es "genauso sinnvoll ist, Meister oder Techniker zu werden wie ein Studium zu absolvieren".

Mehr Prestige durch Abitur und Uni

Aber es geht nicht nur ums Geld, auch Prestige spielt eine Rolle. Der Bildungsforscher Rainer Dollase von der Universität Bielefeld hat 6.500 Männer und Frauen befragt, welche Informationen sie für die Beurteilung anderer als wichtig erachten. Die Befragten rangen die folgenden sechs Faktoren in dieser Reihenfolge an: Schulabschluss, Beruf, Alter, Geschlecht, Nationalität und Religion. "Für viele beginnt Bildung noch immer mit dem Abitur", klagte Josef Kraus, Autor und ehemaliger Präsident des Deutschen Lehrerverbands, auf einer Expertenkonferenz zum Thema "Akademischer Überhang versus Fachkräftemangel".

Tatsächlich melden sich viele zur Uni an, obwohl sie kein Interesse an dem Studiengang haben. "Viele wollen keine genuine akademische Bildung – sie wollen Respekt und Prestige", schreibt Dollase. Diese falsche Bildungsarroganz hat Konsequenzen: Fast ein Drittel (28 Prozent) bricht das Bachelor-Studium ab.

Diese Bildungsarroganz ist weit verbreitet und zeigt sich, wenn lokale Zeitungen nur die Namen derjenigen veröffentlichen, die ihr Abitur bestanden haben, als wäre dies der einzige Schulabschluss, der öffentliche Anerkennung verdient. Es zeigt sich, wenn Dirk Rossmann, einer der reichsten Menschen in Deutschland, in einem Interview gefragt wird, ob er sein Abitur bereut, wie kürzlich. Solche Fragen implizieren, dass das Fehlen eines Abiturs ein Mangel ist.

Rossmann hat ein Imperium aufgebaut, nachdem er eine Ausbildung zum Drogeriegehilfen absolviert hat. Robert Geiss hat nach dem Hauptschulabschluss das Modeunternehmen Uncle Sam gegründet. Der Rest ist Geschichte. Heutzutage kann man den Reichtum der Familie im Fernsehen verfolgen. Rossmann und Geiss würden wahrscheinlich die idealen Professoren für einen Gastvortrag in Betriebswirtschaftslehre an der Uni sein. Die Bildungsarroganz erreichte ihren Höhepunkt in der skandalösen Frage, ob jemand ohne Abitur Kanzler werden könne, die Journalisten 2017 stellten, als Martin Schulz (SPD) Kandidat war.

Lehrlingsmangel verschärft Fachkräftemangel

Zimmermänner, die Fenster auf der 20. Etage einbauen können, brauchen keine zwei Fremdsprachen oder Latein. Sie verlassen einfach die Schule ein paar Jahre früher, weil sie dringend gebraucht werden. Der aktuelle Lehrlingsmangel verschärft den bereits bestehenden Fachkräftemangel. Noch nie haben Menschen in Deutschland so lange auf Handwerker warten müssen. In Mitteldeutschland kann es Wochen, manchmal sogar Monate dauern, bis ein Handwerker kommt, wie der MDR herausgefunden hat.

Der Sender hat 22.000 Menschen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zu ihren Erfahrungen befragt. Zwei von drei Handwerksbetrieben klagen darüber, dass sie offene Stellen nicht besetzen können. Die Situation ist ähnlich im Westen. In Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, müssen Menschen im Durchschnitt fast zehn Wochen warten, um einen Handwerker zu finden, wie die Handwerkskammer Düsseldorf berichtet. Wenn Handwerker noch knapper werden, ist es wahrscheinlich, dass sie Akademiker in puncto Gehalt überholen. Trotzdem ist die Zahl der Meisterprüfungen innerhalb von 20 Jahren von 9,3 Millionen auf 6,9 Millionen gesunken.

Automobilmeister Patrick Lippick sucht wieder zwei Auszubildende im Jahr 2025. "Wir haben genug Arbeit", sagt er. Sein Unternehmen ist eines der wenigen in Deutschland, das sich auf die Wartung des Mercedes G-Klasse spezialisiert hat. "Unser Auszubildender lernt hier alles – von Karosserie, Lackierung, Mechanik, Polsterung, er ist in allem beteiligt." Und das Angebot mit dem klassischen Mercedes gilt auch im kommenden Jahr.

Der aktuelle Lehrlingsmangel in Deutschland ist ein erhebliches Problem, mit über 200.000 unbesetzten Stellen, die von der Bundesagentur für Arbeit im Juli 2024 gemeldet wurden, darunter rund 20.000 im Handwerk. Dieser Mangel betrifft viele Unternehmen, einschließlich des Ausbildungsmarkts von Meister Lippick im Automobilsektor.

Angesichts dieses Mangels entscheiden sich viele junge Menschen in Deutschland für ein Universitätsstudium anstatt eine Berufsausbildung oder eine Lehre, mit fast 2,9 Millionen Studierenden im Wintersemester 2023/24, mehr als doppelt so viele wie diejenigen in der beruflichen Bildung. Diese Bildungsarroganz, wie sie von Bildungsforscher Rainer Dollase beschrieben wird, führt zu einer verfehlten Priorisierung von Prestige gegenüber praktischen Fähigkeiten, was dazu führt, dass eine beträchtliche Anzahl von Universitätsstudenten ihr Bachelorstudium abbricht und zum Fachkräftemangel beiträgt.

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