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„Von Luftangriffen betroffene Schiffe“

Houthis starten Angriff im Roten Meer

Im November kaperten Huthi-Rebellen ein Schiff im Roten Meer..aussiedlerbote.de
Im November kaperten Huthi-Rebellen ein Schiff im Roten Meer..aussiedlerbote.de

„Von Luftangriffen betroffene Schiffe“

Die Pandemie und der Krieg in der Ukraine zeigen, wie leicht Lieferketten instabil werden können. Die jüngsten Huthi-Angriffe in der Nähe des Suezkanals haben in der Schifffahrtsbranche Anlass zur Sorge gegeben. Irina Haesle, Mitglied der Geschäftsführung des Verbandes Deutscher Reeder (VDR) und Expertin für Fragen der Sicherheit im Seeverkehr, erklärte im Interview, wann es „zu gefährlich“ wird, die Meerenge zu überqueren.

Diese Woche wurde erneut ein Handelsschiff auf einer Seeroute im Nahen Osten angegriffen. Berichten zufolge wollen die Huthi-Rebellen lediglich Frachtschiffe mit Hilfsgütern für den Gazastreifen passieren lassen und betrachten alle anderen Schiffe als „legitime Ziele“ ihrer Streitkräfte. Was bedeutet das für den Seehandel?

Irina Heisler: Was die Huthi-Rebellen jetzt erklären, ist in Wirklichkeit eine Blockade Israels. Sie wollen sicherstellen, dass keine Waren mehr nach Israel gelangen. Das vom Roten Meer betroffene Gebiet ist jedoch die Zufahrtsstraße zum Suezkanal. Es handelt sich um eine der verkehrsreichsten Wasserstraßen der Welt. Täglich verkehren 65 Schiffe auf ihr und 12 % des weltweiten Güterverkehrs werden über sie abgewickelt. Die aktuelle Situation stellt daher eindeutig eine Bedrohung für den freien Warenverkehr und die Lieferketten dar. Die Houthis haben der Angelegenheit eine neue Qualität verliehen, indem sie erklärt haben, dass sie alle Schiffe, die nach Israel fahren, unabhängig von der Flagge, angreifen werden.

Können die Houthis überhaupt unterscheiden, welches Schiff Israel im Visier hat und welches nicht?

Genau diesem Risiko sind Reedereien ausgesetzt. Niemand weiß, auf welche Kriterien die Houthis ihre Entscheidung letztendlich stützen werden, und der Angriff könnte schiefgehen und versehentlich andere Schiffe treffen. Infolgedessen sind alle Handelsschiffe, die derzeit die Region des Roten Meeres durchqueren, weitreichenden Gefahren ausgesetzt.

Das Hauptaugenmerk liegt derzeit auf der Bab el-Mandeb-Straße, die das Rote Meer und den Golf von Aden trennt. Welche Fracht wird dort transportiert?

Dort wird alles transportiert: Lebensmittel, Möbel, Medikamente, Getreide, Zement, Kohle und natürlich Öl und LNG, was besonders für Europa wichtig ist. Wenn dieser Aspekt nicht funktioniert, betrifft das nicht nur ein bestimmtes Warensortiment, sondern alle Waren.

Der größte Teil des europäischen Öls und LNG stammt aus dem Roten Meer. Besonders hart wird es Europa und Deutschland treffen.

Grundsätzlich ist die aktuelle Sicherheitslage ein Problem für alle Länder. Aber der Suezkanal ist das Import- und Exporttor nach Europa. Hier fand der Handel zwischen Europa und Asien statt. Einerseits ist der Transport dorthin wichtig, um unsere Vorräte zu sichern. Andererseits ist Deutschland als Exportland besonders betroffen, wenn die Handelsschifffahrt durch unsichere Seewege beeinträchtigt wird.

Gibt es offensichtliche Auswirkungen?

Bisher gibt es keine kurzfristigen Auswirkungen. Wir hatten keine leeren Supermarktregale wie während der Corona-Pandemie. Dies könnte sich jedoch mittelfristig ändern, wenn sich die Bedingungen verschlechtern und Schiffe zum Kap der Guten Hoffnung in der Nähe von Kapstadt umgeleitet werden müssen. Dies ist die einzige alternative Route und verlängert den Seeweg um 14 Tage. Dies wird natürlich zu Verzögerungen in der Lieferkette führen. Bisher wurde diese Alternativroute nur sporadisch genutzt.

Längere Seewege können auch höhere Kosten bedeuten.

Die Berechnung ist schwierig, da auch der Transit durch den Suezkanal mit hohen Kosten verbunden ist und auch die Versicherungsprämien für die Schifffahrt durch das Rote Meer deutlich gestiegen sind. Bei den mit längeren Seewegen verbundenen Kosten handelt es sich in erster Linie um Treibstoffkosten. Wenn das Schiff nach 14 Tagen in den Hafen einläuft, können sich die Betriebsabläufe ändern. Natürlich wäre die längere Route auch klimaschädlicher, da sie mehr CO2-Emissionen verursachen würde als die kürzere Route durch den Suezkanal.

Wie viel mehr Versicherung müssen Schiffseigner bezahlen, wenn sie das Rote Meer überqueren wollen?

Leider haben wir hierzu keinen Einblick. Die Höhe der Prämie hängt von der Risikoeinschätzung der Versicherung ab, also davon, ob das Schiff Verbindungen in die USA oder gar nach Israel hat. Einige israelische Schiffe sind überhaupt nicht mehr versichert.

Welche Reedereien und Länder befahren die Wasserstraßen des Roten Meeres?

Da fahren viele Leute vorbei. Allerdings ist der Anteil der Schiffe mit Verbindungen nach Europa sehr groß. Deshalb wünscht sich unser Verband auch Maßnahmen von nationaler oder europäischer Seite.

Wann wird es zu gefährlich, durch die betroffenen Meerengen zu segeln? Diese Frage ist schwer zu beantworten. Reedereien entscheiden derzeit sehr kurzfristig, ob sie ihre Schiffe auf der Grundlage von Statusmeldungen und Sicherheitsbewertungen durch bestimmte Seegebiete bewegen. Im Moment sagt niemand: Mein Schiff fährt in einer Woche ab, und es wird kein Problem sein, es loszuschicken. Im Gegensatz zu Piratenangriffen, bei denen sich Angreifer mit Booten Schiffen nähern, setzten die Houthis in den jüngsten Vorfällen Luftgeschosse ein. Obwohl es an Bord zahlreiche Sicherheitsvorkehrungen und klare Verfahren für den Fall bestimmter Bedrohungen gibt, sind Schiffe immer noch anfällig für Luftangriffe. Deshalb ist die Situation so heikel.

Reedereien fordern verstärkten militärischen Schutz im Nahen Osten. Gibt es derzeit keine Möglichkeit, diesen Bereich aufzuwerten?

Ich würde es nicht Rüstung nennen, sondern mehr militärische Ressourcen. Die USA riefen letzte Woche zu einer internationalen Partnerschaft auf und haben wie Frankreich Fregatten aufgestellt. Andernfalls hätte es den unter norwegischer Flagge fahrenden Tanker, auf den am Montag geschossen wurde, noch härter treffen können. Jetzt müssen wir die EU-Mission mit Norwegen, den USA, dem Vereinigten Königreich und anderen Ländern koordinieren, die beitreten möchten. Dies ist ein viel größeres Problem, das letztendlich den Wohlstand und die Freiheit von uns allen bedroht. Alle europäischen Schifffahrtsverbände haben diese Woche miteinander gesprochen und waren sich einig, dass auf EU-Seite Maßnahmen ergriffen werden müssen. Die militärische Präsenz der Länderkoalition dient lediglich der Gewährleistung der Sicherheit der Seewege, was das Signal an die Region ist.

Was braucht es, damit eine Mission im Roten Meer effektiv ist? Ein Schiff oder eine Fregatte reicht nicht aus. Als Reeder empfehlen wir, den Umfang der Atlanta-Mission zu erweitern. Die Mission, die am Horn von Afrika in der Nähe von Somalia durchgeführt wurde, hatte das Ziel, die Piraterie einzudämmen, und wurde durchgeführt. Wir haben jetzt keine Zeit, zwei Jahre lang darüber zu reden, wir müssen schnell für mehr Sicherheit sorgen. Eine gute Idee sind bereits laufende Aufgaben.

Wie explosiv ist die aktuelle Situation angesichts der Aussicht auf eine weitere Eskalation des Konflikts im Nahen Osten?

Eine Eskalation, wie sie jetzt die Hamas beim Angriff auf Israel erlebt, hat es in der Region schon lange nicht mehr gegeben. Dies destabilisiert die gesamte Region zusätzlich zu einer bereits instabilen geopolitischen Situation. Meiner Meinung nach ist alles vorhersehbar. Es ist falsch zu sagen, dass es eine Katastrophe gibt. Aber es wäre auch ein Fehler, einfach davon auszugehen, dass die Spannungen nachlassen werden. Wir müssen zumindest darauf vorbereitet sein, dass der Konflikt länger andauert und sich möglicherweise sogar verschlimmert.

Die COVID-19-Pandemie und der Angriffskrieg Russlands haben gezeigt, wie leicht Lieferketten ins Wanken geraten können. Was bedeutet der derzeitige Rückgang des Verkehrs durch diese Meerengen für die Weltwirtschaft?

Einschränkungen auf Handelsrouten haben immer Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, sei es die Blockade des Suezkanals oder die Unterbrechung von Lieferketten während der Coronavirus-Pandemie. Wenn Waren nicht mehr rechtzeitig und in ausreichender Menge geliefert werden können, wird dies – insbesondere mittel- bis langfristig – Folgen für die Weltwirtschaft haben. Je länger dieser Lockdown andauert und je weniger Hoffnung die Ökonomen in dieses Szenario äußern, desto größer werden die Auswirkungen sein. In der Schifffahrtsbranche waren die Auswirkungen sicherlich unmittelbar.

Wie wahrscheinlich ist es also, dass die Situation im Roten Meer die Versorgungslage gefährdet?

Ich kann keinen Prozentsatz nennen, es ist zu komplex. Klar ist: Wenn maritime Lieferketten gestört werden, ist die Versorgung aus den beteiligten Ländern gefährdet. Ein großer Teil der Ladung gelangt letztlich per Seefracht an. Das bedeutet nicht, dass wir in Europa hungern müssen. Aber wir werden feststellen, dass es nicht mehr vorrätig ist oder dass die Lieferzeit für das Sofa drei Monate statt drei Wochen beträgt.

Victoria Roberts spricht mit Irina Heisler

Interview zuvor veröffentlicht auf Capital.de.

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Quelle: www.ntv.de

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